Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.stellen? Wer giebt Euch das Recht, in dieses Haus einzudringen? Wisset Ihr nicht, daß -- Der Scharfrichter zog unter seinem rothen Mantel einen beschriebenen und besiegelten Papierbogen hervor und hielt ihn hoch über die Häupter des Volkes. Hier mein Recht! Hat der Teufelswind über Nacht das Dach mir über dem Kopf weggenommen, so muß ich schauen, daß ich ein ander krieg'. Hier mein Recht! Und nun zum letzten Mal: wo ist Euer Vater, Jungfer Heyligerin? Ich weiß es nicht -- o käme er! -- Georg, Georg, was ist das? Was ist geschehen? Was soll geschehen? Still, Lieb, ich bin dein Schutz hier und überall. Herr Bürgermeister von Rothenburg, nehmt und lest, sagte der Scharfrichter, dem Herrn das Papier reichend. Derweilen will ich selbsten Umschau halten nach Christian Jakob Heyliger und ihn herschaffen, daß er mir mein Recht gebe. Auseinander wich die Menge, und der Scharfrichter schritt aus der Thür, das vergilbte Papierblatt in der Hand des Bürgermeisters zurücklassend. Dem kaiserlichen Notarius Cyprian Schnäubele reichte der regierende Herr das inhaltschwere Document. Leset Ihr, Gevatter. Meine Augen sind zu blöde, und meine Brille lieget zu Hause. Einen fliegenden Blick warf der Notarius über das Papier, die Unterschriften und Siegel, dann zuckte er die Achseln, wie sie nur ein Advocat zucken kann, und stellen? Wer giebt Euch das Recht, in dieses Haus einzudringen? Wisset Ihr nicht, daß — Der Scharfrichter zog unter seinem rothen Mantel einen beschriebenen und besiegelten Papierbogen hervor und hielt ihn hoch über die Häupter des Volkes. Hier mein Recht! Hat der Teufelswind über Nacht das Dach mir über dem Kopf weggenommen, so muß ich schauen, daß ich ein ander krieg'. Hier mein Recht! Und nun zum letzten Mal: wo ist Euer Vater, Jungfer Heyligerin? Ich weiß es nicht — o käme er! — Georg, Georg, was ist das? Was ist geschehen? Was soll geschehen? Still, Lieb, ich bin dein Schutz hier und überall. Herr Bürgermeister von Rothenburg, nehmt und lest, sagte der Scharfrichter, dem Herrn das Papier reichend. Derweilen will ich selbsten Umschau halten nach Christian Jakob Heyliger und ihn herschaffen, daß er mir mein Recht gebe. Auseinander wich die Menge, und der Scharfrichter schritt aus der Thür, das vergilbte Papierblatt in der Hand des Bürgermeisters zurücklassend. Dem kaiserlichen Notarius Cyprian Schnäubele reichte der regierende Herr das inhaltschwere Document. Leset Ihr, Gevatter. Meine Augen sind zu blöde, und meine Brille lieget zu Hause. Einen fliegenden Blick warf der Notarius über das Papier, die Unterschriften und Siegel, dann zuckte er die Achseln, wie sie nur ein Advocat zucken kann, und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="7"> <p><pb facs="#f0060"/> stellen? Wer giebt Euch das Recht, in dieses Haus einzudringen? Wisset Ihr nicht, daß —</p><lb/> <p>Der Scharfrichter zog unter seinem rothen Mantel einen beschriebenen und besiegelten Papierbogen hervor und hielt ihn hoch über die Häupter des Volkes.</p><lb/> <p>Hier mein Recht! Hat der Teufelswind über Nacht das Dach mir über dem Kopf weggenommen, so muß ich schauen, daß ich ein ander krieg'. Hier mein Recht! Und nun zum letzten Mal: wo ist Euer Vater, Jungfer Heyligerin?</p><lb/> <p>Ich weiß es nicht — o käme er! — Georg, Georg, was ist das? Was ist geschehen? Was soll geschehen?</p><lb/> <p>Still, Lieb, ich bin dein Schutz hier und überall.</p><lb/> <p>Herr Bürgermeister von Rothenburg, nehmt und lest, sagte der Scharfrichter, dem Herrn das Papier reichend. Derweilen will ich selbsten Umschau halten nach Christian Jakob Heyliger und ihn herschaffen, daß er mir mein Recht gebe.</p><lb/> <p>Auseinander wich die Menge, und der Scharfrichter schritt aus der Thür, das vergilbte Papierblatt in der Hand des Bürgermeisters zurücklassend. Dem kaiserlichen Notarius Cyprian Schnäubele reichte der regierende Herr das inhaltschwere Document.</p><lb/> <p>Leset Ihr, Gevatter. Meine Augen sind zu blöde, und meine Brille lieget zu Hause.</p><lb/> <p>Einen fliegenden Blick warf der Notarius über das Papier, die Unterschriften und Siegel, dann zuckte er die Achseln, wie sie nur ein Advocat zucken kann, und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0060]
stellen? Wer giebt Euch das Recht, in dieses Haus einzudringen? Wisset Ihr nicht, daß —
Der Scharfrichter zog unter seinem rothen Mantel einen beschriebenen und besiegelten Papierbogen hervor und hielt ihn hoch über die Häupter des Volkes.
Hier mein Recht! Hat der Teufelswind über Nacht das Dach mir über dem Kopf weggenommen, so muß ich schauen, daß ich ein ander krieg'. Hier mein Recht! Und nun zum letzten Mal: wo ist Euer Vater, Jungfer Heyligerin?
Ich weiß es nicht — o käme er! — Georg, Georg, was ist das? Was ist geschehen? Was soll geschehen?
Still, Lieb, ich bin dein Schutz hier und überall.
Herr Bürgermeister von Rothenburg, nehmt und lest, sagte der Scharfrichter, dem Herrn das Papier reichend. Derweilen will ich selbsten Umschau halten nach Christian Jakob Heyliger und ihn herschaffen, daß er mir mein Recht gebe.
Auseinander wich die Menge, und der Scharfrichter schritt aus der Thür, das vergilbte Papierblatt in der Hand des Bürgermeisters zurücklassend. Dem kaiserlichen Notarius Cyprian Schnäubele reichte der regierende Herr das inhaltschwere Document.
Leset Ihr, Gevatter. Meine Augen sind zu blöde, und meine Brille lieget zu Hause.
Einen fliegenden Blick warf der Notarius über das Papier, die Unterschriften und Siegel, dann zuckte er die Achseln, wie sie nur ein Advocat zucken kann, und
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Zitationshilfe: | Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_recht_1910/60>, abgerufen am 16.02.2025. |