Raabe, Wilhelm: Das letzte Recht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Peter Kurz. Bd. 21. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 205–280. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.in der Gruppe und auf die bleiche Laurentia. Er lächelte, schlug auf das Papier, hielt es in die Höhe und rief: Ihr Herren und Ihr, Jungfer Heyligerin, das Recht, so dieses Blatt giebt, will ich wohl anfechten und hoff' meine Sach' zu gewinnen; während der Proceß aber schwebt -- beati possidentes! Weshalb wollt Ihr dieses Recht anfechten? fragte die scharfe Stimme Wolf Scheffer's des Scharfrichters, der von seinem Gang durchs Haus zurückkehrte und vor dem die Gruppe sich eben wieder öffnete. Weshalb soll dieser besiegelte und manu propria von den Parteien unterschriebene Pact ungiltig sein? Will's Euch sagen, Meister, sprach der Rechtsgelehrte. Hier stehet freilich geschrieben, daß die Silberburg übergeben werden soll am ersten April 1705; aber hier steht auch geschrieben: gerechnet vom ersten April 1675 an dreißig Jahre. Merkt's wohl, dreißig Jahre. Wird der Termin verpaßt, so ist der Vertrag null und nichtig. Was weiter? fragte der Scharfrichter, sich auf sein Schwert stützend. Zehen Tage zu spät ist dieses Schriftstück vorgewiesen, Meister! rief der Doctor Schnäubele. Im Jahr nach unseres Herrn und Erlösers Geburt Siebenzehnhundert ist durch das Edict glorreicher kaiserlicher Majestät Leopoldi Primi der verbesserte Gregorianische Kalender eingeführet worden, und die Einführung von allen Canzeln abgelesen, auf allen Wegen und Kreuzwegen des in der Gruppe und auf die bleiche Laurentia. Er lächelte, schlug auf das Papier, hielt es in die Höhe und rief: Ihr Herren und Ihr, Jungfer Heyligerin, das Recht, so dieses Blatt giebt, will ich wohl anfechten und hoff' meine Sach' zu gewinnen; während der Proceß aber schwebt — beati possidentes! Weshalb wollt Ihr dieses Recht anfechten? fragte die scharfe Stimme Wolf Scheffer's des Scharfrichters, der von seinem Gang durchs Haus zurückkehrte und vor dem die Gruppe sich eben wieder öffnete. Weshalb soll dieser besiegelte und manu propria von den Parteien unterschriebene Pact ungiltig sein? Will's Euch sagen, Meister, sprach der Rechtsgelehrte. Hier stehet freilich geschrieben, daß die Silberburg übergeben werden soll am ersten April 1705; aber hier steht auch geschrieben: gerechnet vom ersten April 1675 an dreißig Jahre. Merkt's wohl, dreißig Jahre. Wird der Termin verpaßt, so ist der Vertrag null und nichtig. Was weiter? fragte der Scharfrichter, sich auf sein Schwert stützend. Zehen Tage zu spät ist dieses Schriftstück vorgewiesen, Meister! rief der Doctor Schnäubele. Im Jahr nach unseres Herrn und Erlösers Geburt Siebenzehnhundert ist durch das Edict glorreicher kaiserlicher Majestät Leopoldi Primi der verbesserte Gregorianische Kalender eingeführet worden, und die Einführung von allen Canzeln abgelesen, auf allen Wegen und Kreuzwegen des <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0068"/> in der Gruppe und auf die bleiche Laurentia. Er lächelte, schlug auf das Papier, hielt es in die Höhe und rief:</p><lb/> <p>Ihr Herren und Ihr, Jungfer Heyligerin, das Recht, so dieses Blatt giebt, will ich wohl anfechten und hoff' meine Sach' zu gewinnen; während der Proceß aber schwebt — beati possidentes!</p><lb/> <p>Weshalb wollt Ihr dieses Recht anfechten? fragte die scharfe Stimme Wolf Scheffer's des Scharfrichters, der von seinem Gang durchs Haus zurückkehrte und vor dem die Gruppe sich eben wieder öffnete. Weshalb soll dieser besiegelte und manu propria von den Parteien unterschriebene Pact ungiltig sein?</p><lb/> <p>Will's Euch sagen, Meister, sprach der Rechtsgelehrte. Hier stehet freilich geschrieben, daß die Silberburg übergeben werden soll am ersten April 1705; aber hier steht auch geschrieben: gerechnet vom ersten April 1675 an dreißig Jahre. Merkt's wohl, dreißig Jahre. Wird der Termin verpaßt, so ist der Vertrag null und nichtig.</p><lb/> <p>Was weiter? fragte der Scharfrichter, sich auf sein Schwert stützend.</p><lb/> <p>Zehen Tage zu spät ist dieses Schriftstück vorgewiesen, Meister! rief der Doctor Schnäubele. Im Jahr nach unseres Herrn und Erlösers Geburt Siebenzehnhundert ist durch das Edict glorreicher kaiserlicher Majestät Leopoldi Primi der verbesserte Gregorianische Kalender eingeführet worden, und die Einführung von allen Canzeln abgelesen, auf allen Wegen und Kreuzwegen des<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0068]
in der Gruppe und auf die bleiche Laurentia. Er lächelte, schlug auf das Papier, hielt es in die Höhe und rief:
Ihr Herren und Ihr, Jungfer Heyligerin, das Recht, so dieses Blatt giebt, will ich wohl anfechten und hoff' meine Sach' zu gewinnen; während der Proceß aber schwebt — beati possidentes!
Weshalb wollt Ihr dieses Recht anfechten? fragte die scharfe Stimme Wolf Scheffer's des Scharfrichters, der von seinem Gang durchs Haus zurückkehrte und vor dem die Gruppe sich eben wieder öffnete. Weshalb soll dieser besiegelte und manu propria von den Parteien unterschriebene Pact ungiltig sein?
Will's Euch sagen, Meister, sprach der Rechtsgelehrte. Hier stehet freilich geschrieben, daß die Silberburg übergeben werden soll am ersten April 1705; aber hier steht auch geschrieben: gerechnet vom ersten April 1675 an dreißig Jahre. Merkt's wohl, dreißig Jahre. Wird der Termin verpaßt, so ist der Vertrag null und nichtig.
Was weiter? fragte der Scharfrichter, sich auf sein Schwert stützend.
Zehen Tage zu spät ist dieses Schriftstück vorgewiesen, Meister! rief der Doctor Schnäubele. Im Jahr nach unseres Herrn und Erlösers Geburt Siebenzehnhundert ist durch das Edict glorreicher kaiserlicher Majestät Leopoldi Primi der verbesserte Gregorianische Kalender eingeführet worden, und die Einführung von allen Canzeln abgelesen, auf allen Wegen und Kreuzwegen des
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