Sommer oder Herbst; vom Winter aber wußten sie nichts, -- da schlafen sie. Dabei hörte ich aber immer den Herrn Lehrer lesen und Herr Brennnessel brummte dann dazwischen. Der war auch der Einzige, welcher vom Winter erzählen wollte, es ward aber nicht gelitten. -- Auf einmal hörte Herr Roder auf zu lesen und ich lag wieder bei Dir, Onkel Wachholder, im Grase und Rezensent steckte dicht vor meinem Gesicht seine schwarze Nase zwischen den Halmen durch und schaute mich groß an! Das habe ich gesehen! -- War das nicht hübsch? Und nun Herr Roder -- lesen Sie Ihre Geschichten noch einmal -- bitte, bitte!"
"Danke schön," sagte lachend der Lehrer. "Der kluge Herr Brennnessel hatte ganz Recht, und jetzt sehe ich auch ein; meine Geschichten sind gar nicht hübsch!" -- Wie lange haben wir so geträumt und erzählt und im grünen Gras und weichen Moos gelegen? -- Schon steigt die Sonne wieder abwärts am blauen Himmel! -- Muß nicht der Doctor heute noch durch den Wald nach der nächsten Eisenbahnstation? -- Auf, Lise, winde dem Rezensenten den letzten Kranz um den schwarzen Pelz! Laßt nichts zurück von Euern Sachen! Vorwärts! -- -- -- Auf engen schattigen Waldpfaden geht's nun quer durch das Holz, bis wir endlich das Rollen der Wagen auf der großen Landstraße hören und zuletzt den
9
Sommer oder Herbſt; vom Winter aber wußten ſie nichts, — da ſchlafen ſie. Dabei hörte ich aber immer den Herrn Lehrer leſen und Herr Brennneſſel brummte dann dazwiſchen. Der war auch der Einzige, welcher vom Winter erzählen wollte, es ward aber nicht gelitten. — Auf einmal hörte Herr Roder auf zu leſen und ich lag wieder bei Dir, Onkel Wachholder, im Graſe und Rezenſent ſteckte dicht vor meinem Geſicht ſeine ſchwarze Naſe zwiſchen den Halmen durch und ſchaute mich groß an! Das habe ich geſehen! — War das nicht hübſch? Und nun Herr Roder — leſen Sie Ihre Geſchichten noch einmal — bitte, bitte!“
„Danke ſchön,“ ſagte lachend der Lehrer. „Der kluge Herr Brennneſſel hatte ganz Recht, und jetzt ſehe ich auch ein; meine Geſchichten ſind gar nicht hübſch!“ — Wie lange haben wir ſo geträumt und erzählt und im grünen Gras und weichen Moos gelegen? — Schon ſteigt die Sonne wieder abwärts am blauen Himmel! — Muß nicht der Doctor heute noch durch den Wald nach der nächſten Eiſenbahnſtation? — Auf, Liſe, winde dem Rezenſenten den letzten Kranz um den ſchwarzen Pelz! Laßt nichts zurück von Euern Sachen! Vorwärts! — — — Auf engen ſchattigen Waldpfaden geht’s nun quer durch das Holz, bis wir endlich das Rollen der Wagen auf der großen Landſtraße hören und zuletzt den
9
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0139"n="129"/>
Sommer oder Herbſt; vom Winter aber wußten ſie<lb/>
nichts, — da ſchlafen ſie. Dabei hörte ich aber immer<lb/>
den Herrn Lehrer leſen und Herr Brennneſſel brummte<lb/>
dann dazwiſchen. Der war auch der Einzige, welcher vom<lb/>
Winter erzählen wollte, es ward aber nicht gelitten.<lb/>— Auf einmal hörte Herr Roder auf zu leſen und ich<lb/>
lag wieder bei Dir, Onkel Wachholder, im Graſe und<lb/>
Rezenſent ſteckte dicht vor meinem Geſicht ſeine ſchwarze<lb/>
Naſe zwiſchen den Halmen durch und ſchaute mich groß<lb/>
an! Das habe ich geſehen! — War das nicht hübſch?<lb/>
Und nun Herr Roder — leſen Sie Ihre Geſchichten<lb/>
noch einmal — bitte, bitte!“</p><lb/><p>„Danke ſchön,“ſagte lachend der Lehrer. „Der kluge<lb/>
Herr Brennneſſel hatte ganz Recht, und <hirendition="#g">jetzt</hi>ſehe ich auch<lb/>
ein; <hirendition="#g">meine</hi> Geſchichten ſind gar nicht hübſch!“— Wie<lb/>
lange haben wir ſo geträumt und erzählt und im grünen<lb/>
Gras und weichen Moos gelegen? — Schon ſteigt die<lb/>
Sonne wieder abwärts am blauen Himmel! — Muß<lb/>
nicht der Doctor heute noch durch den Wald nach der<lb/>
nächſten Eiſenbahnſtation? — Auf, Liſe, winde dem<lb/>
Rezenſenten den letzten Kranz um den ſchwarzen Pelz!<lb/>
Laßt nichts zurück von Euern Sachen! Vorwärts! —<lb/>—— Auf engen ſchattigen Waldpfaden geht’s nun<lb/>
quer durch das Holz, bis wir endlich das Rollen der<lb/>
Wagen auf der großen Landſtraße hören und zuletzt den<lb/><fwplace="bottom"type="sig">9</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[129/0139]
Sommer oder Herbſt; vom Winter aber wußten ſie
nichts, — da ſchlafen ſie. Dabei hörte ich aber immer
den Herrn Lehrer leſen und Herr Brennneſſel brummte
dann dazwiſchen. Der war auch der Einzige, welcher vom
Winter erzählen wollte, es ward aber nicht gelitten.
— Auf einmal hörte Herr Roder auf zu leſen und ich
lag wieder bei Dir, Onkel Wachholder, im Graſe und
Rezenſent ſteckte dicht vor meinem Geſicht ſeine ſchwarze
Naſe zwiſchen den Halmen durch und ſchaute mich groß
an! Das habe ich geſehen! — War das nicht hübſch?
Und nun Herr Roder — leſen Sie Ihre Geſchichten
noch einmal — bitte, bitte!“
„Danke ſchön,“ ſagte lachend der Lehrer. „Der kluge
Herr Brennneſſel hatte ganz Recht, und jetzt ſehe ich auch
ein; meine Geſchichten ſind gar nicht hübſch!“ — Wie
lange haben wir ſo geträumt und erzählt und im grünen
Gras und weichen Moos gelegen? — Schon ſteigt die
Sonne wieder abwärts am blauen Himmel! — Muß
nicht der Doctor heute noch durch den Wald nach der
nächſten Eiſenbahnſtation? — Auf, Liſe, winde dem
Rezenſenten den letzten Kranz um den ſchwarzen Pelz!
Laßt nichts zurück von Euern Sachen! Vorwärts! —
— — Auf engen ſchattigen Waldpfaden geht’s nun
quer durch das Holz, bis wir endlich das Rollen der
Wagen auf der großen Landſtraße hören und zuletzt den
9
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/139>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.