meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und steht, -- "mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der schöne Wahn entzwei," -- fürchterlich unter dem Pantoffel. Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, steckt ihm das Butterbrod, in die gestrige Zeitung ge- wickelt, in die Rocktasche und sieht ihm stolz nach aus dem Fenster, wie er über die Friedensbrücke nach dem Schimmelstädtischen Gymnasium wandelt.
Und Gustav und Elise? -- -- -- Ich werde nachher dieses Blatt der Chronik herübertragen zu jener schönen ältlichen Frau -- in No. 12 der Sperlingsgasse, deren Fortepianoklänge sich schon den ganzen Nachmittag über in meine Gedanken verwoben haben. -- Dann werden wir von Gustav und Elise sprechen! --
Am 14. März. --
"Hören Sie, Wachholder," sagte heute Strobel, mit den zusammengehefteten Bogen der Chronik auf's Knie schlagend, "wenn Ihnen einmal Freund Hain das Lebenslicht ausgeblasen hat; irgend Jemand unter ihrem Nachlaß diese Blätter aufwühlt, und er sich die Mühe
14*
meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und ſteht, — „mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der ſchöne Wahn entzwei,“ — fürchterlich unter dem Pantoffel. Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, ſteckt ihm das Butterbrod, in die geſtrige Zeitung ge- wickelt, in die Rocktaſche und ſieht ihm ſtolz nach aus dem Fenſter, wie er über die Friedensbrücke nach dem Schimmelſtädtiſchen Gymnaſium wandelt.
Und Guſtav und Eliſe? — — — Ich werde nachher dieſes Blatt der Chronik herübertragen zu jener ſchönen ältlichen Frau — in No. 12 der Sperlingsgaſſe, deren Fortepianoklänge ſich ſchon den ganzen Nachmittag über in meine Gedanken verwoben haben. — Dann werden wir von Guſtav und Eliſe ſprechen! —
Am 14. März. —
„Hören Sie, Wachholder,“ ſagte heute Strobel, mit den zuſammengehefteten Bogen der Chronik auf’s Knie ſchlagend, „wenn Ihnen einmal Freund Hain das Lebenslicht ausgeblaſen hat; irgend Jemand unter ihrem Nachlaß dieſe Blätter aufwühlt, und er ſich die Mühe
14*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0221"n="211"/>
meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und ſteht, —<lb/>„mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der ſchöne<lb/>
Wahn entzwei,“— fürchterlich unter dem Pantoffel.<lb/>
Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer<lb/>
alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, ſteckt<lb/>
ihm das Butterbrod, in die geſtrige Zeitung ge-<lb/>
wickelt, in die Rocktaſche und ſieht ihm ſtolz nach aus<lb/>
dem Fenſter, wie er über die Friedensbrücke nach dem<lb/>
Schimmelſtädtiſchen Gymnaſium wandelt.</p><lb/><p>Und <hirendition="#g">Guſtav</hi> und <hirendition="#g">Eliſe</hi>? ——— Ich werde<lb/>
nachher dieſes Blatt der Chronik herübertragen zu jener<lb/>ſchönen ältlichen Frau — in No. 12 der Sperlingsgaſſe,<lb/>
deren Fortepianoklänge ſich ſchon den ganzen Nachmittag<lb/>
über in meine Gedanken verwoben haben. — Dann<lb/>
werden wir von <hirendition="#g">Guſtav</hi> und <hirendition="#g">Eliſe</hi>ſprechen! —</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div><divn="1"><dateline><hirendition="#right">Am 14. März. —</hi></dateline><lb/><p>„Hören Sie, Wachholder,“ſagte heute Strobel,<lb/>
mit den zuſammengehefteten Bogen der Chronik auf’s<lb/>
Knie ſchlagend, „wenn Ihnen einmal Freund Hain das<lb/>
Lebenslicht ausgeblaſen hat; irgend Jemand unter ihrem<lb/>
Nachlaß dieſe Blätter aufwühlt, und er ſich die Mühe<lb/><fwplace="bottom"type="sig">14*</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[211/0221]
meier hat Fräulein Julie Frey geheirathet und ſteht, —
„mit dem Gürtel, mit dem Schleier reißt der ſchöne
Wahn entzwei,“ — fürchterlich unter dem Pantoffel.
Die Frau Rector Dippelmann knüpft noch wie immer
alle Morgen ihrem Gemahl die Halsbinde um, ſteckt
ihm das Butterbrod, in die geſtrige Zeitung ge-
wickelt, in die Rocktaſche und ſieht ihm ſtolz nach aus
dem Fenſter, wie er über die Friedensbrücke nach dem
Schimmelſtädtiſchen Gymnaſium wandelt.
Und Guſtav und Eliſe? — — — Ich werde
nachher dieſes Blatt der Chronik herübertragen zu jener
ſchönen ältlichen Frau — in No. 12 der Sperlingsgaſſe,
deren Fortepianoklänge ſich ſchon den ganzen Nachmittag
über in meine Gedanken verwoben haben. — Dann
werden wir von Guſtav und Eliſe ſprechen! —
Am 14. März. —
„Hören Sie, Wachholder,“ ſagte heute Strobel,
mit den zuſammengehefteten Bogen der Chronik auf’s
Knie ſchlagend, „wenn Ihnen einmal Freund Hain das
Lebenslicht ausgeblaſen hat; irgend Jemand unter ihrem
Nachlaß dieſe Blätter aufwühlt, und er ſich die Mühe
14*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/221>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.