Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.4 Uhr. -- Es ist merkwürdig; seit ich dieses Blatt Wo war ich eben, als das Kindergeschrei drunten Es war an einem Sonntagmorgen im Juli, als 4 Uhr. — Es iſt merkwürdig; ſeit ich dieſes Blatt Wo war ich eben, als das Kindergeſchrei drunten Es war an einem Sonntagmorgen im Juli, als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0230" n="220"/> <p>4 <hi rendition="#g">Uhr</hi>. — Es iſt merkwürdig; ſeit ich dieſes Blatt<lb/> bemale, iſt dieſelbe Traumſeligkeit über mich gekommen,<lb/> die dieſer Chronik ein ſo zerfetztes, zerlumptes Anſehen<lb/> gegeben hat. Wachholder hat Recht, es iſt ein eigen-<lb/> thümlich-behagliches Gefühl, ſeinen Gedankenſpielen ſich<lb/> ſo ganz und gar hinzugeben, ohne ſich Geiſt-heraus-<lb/> quälend im Kreiſe zu drehn, wie ein hartleibiger<lb/> Pudel. — —</p><lb/> <p>Wo war ich eben, als das Kindergeſchrei drunten<lb/> auf der Straße mich aufweckte? Ich will verſuchen, es<lb/> der Chronik einzuverleiben, worin zugleich für meinen<lb/> ehrenwerthen Freund Wachholder die größte Genugthuung<lb/> für meine vorigen Reden liegen wird:</p><lb/> <p>Es war an einem Sonntagmorgen im Juli, als<lb/> ich auf Braunſchweig’ſchem Grund und Boden am Ufer-<lb/> rand der Weſer lag und hinüberſchaute nach dem jenſei-<lb/> tigen Weſtphalen. Früh vor Sonnenaufgang war ich,<lb/> über Berg und Thal ſtreifend, mit dem erſten Strahl<lb/> im Oſten, in ein gleichgültiges Dorf hinabgeſtiegen. Ich<lb/> hatte Kaffee getrunken unter der Linde vor dem Dorf-<lb/> krug, hatte behaglich das Treiben des Sonntagsmorgens<lb/> im Dorf belauſcht und andächtig der kleinen Glocke zu-<lb/> gehört, die in dem ſpitzen ſchiefergedeckten Kirchthurm<lb/> läutete. Manchem hübſchen, drallen, niederſächſiſchen Mäd-<lb/> chen, das ſich über den ſonderbaren, plötzlich in’s Dorf<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [220/0230]
4 Uhr. — Es iſt merkwürdig; ſeit ich dieſes Blatt
bemale, iſt dieſelbe Traumſeligkeit über mich gekommen,
die dieſer Chronik ein ſo zerfetztes, zerlumptes Anſehen
gegeben hat. Wachholder hat Recht, es iſt ein eigen-
thümlich-behagliches Gefühl, ſeinen Gedankenſpielen ſich
ſo ganz und gar hinzugeben, ohne ſich Geiſt-heraus-
quälend im Kreiſe zu drehn, wie ein hartleibiger
Pudel. — —
Wo war ich eben, als das Kindergeſchrei drunten
auf der Straße mich aufweckte? Ich will verſuchen, es
der Chronik einzuverleiben, worin zugleich für meinen
ehrenwerthen Freund Wachholder die größte Genugthuung
für meine vorigen Reden liegen wird:
Es war an einem Sonntagmorgen im Juli, als
ich auf Braunſchweig’ſchem Grund und Boden am Ufer-
rand der Weſer lag und hinüberſchaute nach dem jenſei-
tigen Weſtphalen. Früh vor Sonnenaufgang war ich,
über Berg und Thal ſtreifend, mit dem erſten Strahl
im Oſten, in ein gleichgültiges Dorf hinabgeſtiegen. Ich
hatte Kaffee getrunken unter der Linde vor dem Dorf-
krug, hatte behaglich das Treiben des Sonntagsmorgens
im Dorf belauſcht und andächtig der kleinen Glocke zu-
gehört, die in dem ſpitzen ſchiefergedeckten Kirchthurm
läutete. Manchem hübſchen, drallen, niederſächſiſchen Mäd-
chen, das ſich über den ſonderbaren, plötzlich in’s Dorf
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