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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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geschneiten Fremdling wunderte, hatte ich lächelnd zuge-
nickt; ich hatte Bekanntschaft mit der gesammten Kinder-,
Hühner-, Gänse- und Enten-Welt des "Krugs" gemacht,
dem weißen Spitz den Pelz gestreichelt und manche Frage
über "Woher und Wohin" beantwortet. Mit meinem
Wirth, (der zugleich Ortsvorsteher war), hatte ich das
Bienenhaus besucht; darauf die Gemeinde, den Cantor
und Pastor in die Kirche gehen sehen, und hatte mich
zuletzt allein im Hofe unter der Linde gefunden, nur
umgeben von der quackenden, pipsenden, geflügelten
Schaar des Federviehs. Aus diesem süßen dolce far
niente
hatte mich plötzlich das Schreien eines Kindes
aufgeschreckt. Es drang aus dem Haus hinter mir, und
bewog mich aufzustehen und in das niedere, vom Wein-
stock umsponnene Fenster zu schauen. Eine alte Frau
war eben beschäftigt, einen widerspänstigen, heulenden,
strampelnden Bengel von vier Jahren mit Wasser, Seife
und einem wollenen Lappen tüchtig zu waschen, wel-
cher Procedur drei bis vier andere kleine "Blaen"
angstvoll zusahen, wartend bis die Reihe an sie kommen
würde. --

"Nun Mutter," sagte ich, mich auf die Fensterbank
lehnend; "und Ihr seid nicht in der Kirche?"

Die Alte sah auf und sagte lachend: Et geit nich
immer; ek mott düsse lüttgen Panzen waschen und an-

geſchneiten Fremdling wunderte, hatte ich lächelnd zuge-
nickt; ich hatte Bekanntſchaft mit der geſammten Kinder-,
Hühner-, Gänſe- und Enten-Welt des „Krugs“ gemacht,
dem weißen Spitz den Pelz geſtreichelt und manche Frage
über „Woher und Wohin“ beantwortet. Mit meinem
Wirth, (der zugleich Ortsvorſteher war), hatte ich das
Bienenhaus beſucht; darauf die Gemeinde, den Cantor
und Paſtor in die Kirche gehen ſehen, und hatte mich
zuletzt allein im Hofe unter der Linde gefunden, nur
umgeben von der quackenden, pipſenden, geflügelten
Schaar des Federviehs. Aus dieſem ſüßen dolce far
niente
hatte mich plötzlich das Schreien eines Kindes
aufgeſchreckt. Es drang aus dem Haus hinter mir, und
bewog mich aufzuſtehen und in das niedere, vom Wein-
ſtock umſponnene Fenſter zu ſchauen. Eine alte Frau
war eben beſchäftigt, einen widerſpänſtigen, heulenden,
ſtrampelnden Bengel von vier Jahren mit Waſſer, Seife
und einem wollenen Lappen tüchtig zu waſchen, wel-
cher Procedur drei bis vier andere kleine „Blaen“
angſtvoll zuſahen, wartend bis die Reihe an ſie kommen
würde. —

„Nun Mutter,“ ſagte ich, mich auf die Fenſterbank
lehnend; „und Ihr ſeid nicht in der Kirche?“

Die Alte ſah auf und ſagte lachend: Et geit nich
immer; ek mott düſſe lüttgen Panzen waſchen und an-

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[221/0231] geſchneiten Fremdling wunderte, hatte ich lächelnd zuge- nickt; ich hatte Bekanntſchaft mit der geſammten Kinder-, Hühner-, Gänſe- und Enten-Welt des „Krugs“ gemacht, dem weißen Spitz den Pelz geſtreichelt und manche Frage über „Woher und Wohin“ beantwortet. Mit meinem Wirth, (der zugleich Ortsvorſteher war), hatte ich das Bienenhaus beſucht; darauf die Gemeinde, den Cantor und Paſtor in die Kirche gehen ſehen, und hatte mich zuletzt allein im Hofe unter der Linde gefunden, nur umgeben von der quackenden, pipſenden, geflügelten Schaar des Federviehs. Aus dieſem ſüßen dolce far niente hatte mich plötzlich das Schreien eines Kindes aufgeſchreckt. Es drang aus dem Haus hinter mir, und bewog mich aufzuſtehen und in das niedere, vom Wein- ſtock umſponnene Fenſter zu ſchauen. Eine alte Frau war eben beſchäftigt, einen widerſpänſtigen, heulenden, ſtrampelnden Bengel von vier Jahren mit Waſſer, Seife und einem wollenen Lappen tüchtig zu waſchen, wel- cher Procedur drei bis vier andere kleine „Blaen“ angſtvoll zuſahen, wartend bis die Reihe an ſie kommen würde. — „Nun Mutter,“ ſagte ich, mich auf die Fenſterbank lehnend; „und Ihr ſeid nicht in der Kirche?“ Die Alte ſah auf und ſagte lachend: Et geit nich immer; ek mott düſſe lüttgen Panzen waſchen und an-

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/231>, abgerufen am 21.11.2024.