Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.verirrter Schmetterling seinen Weg durch die geöffnete "Kinderschrieen is ok een Gesangbauksversch!" rief Ein näher kommender Gesang weckte mich plötzlich; verirrter Schmetterling ſeinen Weg durch die geöffnete „Kinderſchrieen is ok een Geſangbauksverſch!“ rief Ein näher kommender Geſang weckte mich plötzlich; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0233" n="223"/> verirrter Schmetterling ſeinen Weg durch die geöffnete<lb/> Kirchthür eben wieder zurück fand.</p><lb/> <p>„Kinderſchrieen is ok een Geſangbauksverſch!“ rief<lb/> ich, über die niedere Mauer in das freie Feld ſpringend,<lb/> und durch die gelben Kornwogen mit ihrem Kranz von<lb/> Flatterroſen am Rande, der Weſer zuwandernd. Da<lb/> hatte ich mich in’s Gras unter einen Weidenbuſch ge-<lb/> worfen und träumte in das Murren des alten Stromes<lb/> neben mir hinein; während drüben im katholiſchen Lande<lb/> eine Prozeſſion ſingend den Capellenberg zu dem Marien-<lb/> bild hinaufzog und hinter mir die proteſtantiſchen Orgel-<lb/> töne leiſe verklangen. Welch’ ein wundervoller, blauer, lä-<lb/> chelnder Himmel über beiden Ufern, über beiden Religio-<lb/> nen; welch’ eine wogende Gefühlswelt im Buſen, anknüpfend<lb/> an die fünf Worte der alten Bäuerin! Ich war damals<lb/> jünger als jetzt und legte das Geſicht in die Hände:<lb/><hi rendition="#et">„Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!<lb/> „Ich habe keinen Namen<lb/> „Dafür! Gefühl iſt Alles“ — — — —</hi></p><lb/> <p>Ein näher kommender Geſang weckte mich plötzlich;<lb/> ich ſchaute auf. Brauſend und ſchnaufend, die gelben<lb/> Fluthen gewaltig peitſchend, kam der „Hermann“ die<lb/> Weſer herunter. Der Kapitain ſtand auf dem Räder-<lb/> kaſten und griff grüßend an den Hut, als das Schiff<lb/> vorbeiſchoß. — — Hunderte von Auswandrern trug der<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [223/0233]
verirrter Schmetterling ſeinen Weg durch die geöffnete
Kirchthür eben wieder zurück fand.
„Kinderſchrieen is ok een Geſangbauksverſch!“ rief
ich, über die niedere Mauer in das freie Feld ſpringend,
und durch die gelben Kornwogen mit ihrem Kranz von
Flatterroſen am Rande, der Weſer zuwandernd. Da
hatte ich mich in’s Gras unter einen Weidenbuſch ge-
worfen und träumte in das Murren des alten Stromes
neben mir hinein; während drüben im katholiſchen Lande
eine Prozeſſion ſingend den Capellenberg zu dem Marien-
bild hinaufzog und hinter mir die proteſtantiſchen Orgel-
töne leiſe verklangen. Welch’ ein wundervoller, blauer, lä-
chelnder Himmel über beiden Ufern, über beiden Religio-
nen; welch’ eine wogende Gefühlswelt im Buſen, anknüpfend
an die fünf Worte der alten Bäuerin! Ich war damals
jünger als jetzt und legte das Geſicht in die Hände:
„Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!
„Ich habe keinen Namen
„Dafür! Gefühl iſt Alles“ — — — —
Ein näher kommender Geſang weckte mich plötzlich;
ich ſchaute auf. Brauſend und ſchnaufend, die gelben
Fluthen gewaltig peitſchend, kam der „Hermann“ die
Weſer herunter. Der Kapitain ſtand auf dem Räder-
kaſten und griff grüßend an den Hut, als das Schiff
vorbeiſchoß. — — Hunderte von Auswandrern trug der
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