Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

tröpfchen, das in einem blauen Auge hängt, spiegeln, und
als das Köpfchen sich wieder erhebt aus dem grünen
Blätterwerk, ist an Gustav die Reihe, Elise die Locken
aus der Stirn zu streichen.

"Sieh, wie der Mond da oben schwimmt," sagt
Elise. "Warum macht er uns oft so tiefes Heimweh,
als ob wir hier auf der Erde gar nicht recht zu Hause
wären, Gustav? Sieh, da ist nur noch ein einziger,
kleiner Stern, mutterseelenallein, wie ein goldener Fun-
ken. Sieh, -- rechts vom Monde!"

"Ich sehe noch zwei!" sagt Gustav. "Ganz nah',
und habe darum auch gar kein Heimweh und -- willst
Du wohl wieder die Augen aufmachen, Blondkopf! --
Sieh, das hast Du davon; was ich noch Weises sagen
wollte, hab' ich nun rein vergessen!"

"Dann war's gewiß eine Lüge, Braunkopf!" meint
Elise lachend. "Und nun steh' auf, der Onkel und die
Tante sitzen da den ganzen Abend im Dunkeln; -- es
ist sehr unrecht, daß wir uns gar nicht darum beküm-
mern. Komm, wir müssen wirklich zusehen, ob sie nicht
eingeschlafen sind."

Gewiß waren sie nicht eingeschlafen. Nur das Spinn-
rad der alten Martha hatte aufgehört zu schnurren und
schlummernd saß sie in ihrem Winkel.

"Soll ich Euch Licht anzünden, oder -- sollen wir

tröpfchen, das in einem blauen Auge hängt, ſpiegeln, und
als das Köpfchen ſich wieder erhebt aus dem grünen
Blätterwerk, iſt an Guſtav die Reihe, Eliſe die Locken
aus der Stirn zu ſtreichen.

„Sieh, wie der Mond da oben ſchwimmt,“ ſagt
Eliſe. „Warum macht er uns oft ſo tiefes Heimweh,
als ob wir hier auf der Erde gar nicht recht zu Hauſe
wären, Guſtav? Sieh, da iſt nur noch ein einziger,
kleiner Stern, mutterſeelenallein, wie ein goldener Fun-
ken. Sieh, — rechts vom Monde!“

„Ich ſehe noch zwei!“ ſagt Guſtav. „Ganz nah’,
und habe darum auch gar kein Heimweh und — willſt
Du wohl wieder die Augen aufmachen, Blondkopf! —
Sieh, das haſt Du davon; was ich noch Weiſes ſagen
wollte, hab’ ich nun rein vergeſſen!“

„Dann war’s gewiß eine Lüge, Braunkopf!“ meint
Eliſe lachend. „Und nun ſteh’ auf, der Onkel und die
Tante ſitzen da den ganzen Abend im Dunkeln; — es
iſt ſehr unrecht, daß wir uns gar nicht darum beküm-
mern. Komm, wir müſſen wirklich zuſehen, ob ſie nicht
eingeſchlafen ſind.“

Gewiß waren ſie nicht eingeſchlafen. Nur das Spinn-
rad der alten Martha hatte aufgehört zu ſchnurren und
ſchlummernd ſaß ſie in ihrem Winkel.

„Soll ich Euch Licht anzünden, oder — ſollen wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0242" n="232"/>
tröpfchen, das in einem blauen Auge hängt, &#x017F;piegeln, und<lb/>
als das Köpfchen &#x017F;ich wieder erhebt aus dem grünen<lb/>
Blätterwerk, i&#x017F;t an Gu&#x017F;tav die Reihe, Eli&#x017F;e die Locken<lb/>
aus der Stirn zu &#x017F;treichen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sieh, wie der Mond da oben &#x017F;chwimmt,&#x201C; &#x017F;agt<lb/>
Eli&#x017F;e. &#x201E;Warum macht er uns oft &#x017F;o tiefes Heimweh,<lb/>
als ob wir hier auf der Erde gar nicht recht zu Hau&#x017F;e<lb/>
wären, Gu&#x017F;tav? Sieh, da i&#x017F;t nur noch ein einziger,<lb/>
kleiner Stern, mutter&#x017F;eelenallein, wie ein goldener Fun-<lb/>
ken. Sieh, &#x2014; rechts vom Monde!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;ehe noch zwei!&#x201C; &#x017F;agt Gu&#x017F;tav. &#x201E;Ganz nah&#x2019;,<lb/>
und habe darum auch gar kein Heimweh und &#x2014; will&#x017F;t<lb/>
Du wohl wieder die Augen aufmachen, Blondkopf! &#x2014;<lb/>
Sieh, das ha&#x017F;t Du davon; was ich noch Wei&#x017F;es &#x017F;agen<lb/>
wollte, hab&#x2019; ich nun rein verge&#x017F;&#x017F;en!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Dann war&#x2019;s gewiß eine Lüge, Braunkopf!&#x201C; meint<lb/>
Eli&#x017F;e lachend. &#x201E;Und nun &#x017F;teh&#x2019; auf, der Onkel und die<lb/>
Tante &#x017F;itzen da den ganzen Abend im Dunkeln; &#x2014; es<lb/>
i&#x017F;t &#x017F;ehr unrecht, daß wir uns gar nicht darum beküm-<lb/>
mern. Komm, wir mü&#x017F;&#x017F;en wirklich zu&#x017F;ehen, ob &#x017F;ie nicht<lb/>
einge&#x017F;chlafen &#x017F;ind.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Gewiß waren &#x017F;ie nicht einge&#x017F;chlafen. Nur das Spinn-<lb/>
rad der alten Martha hatte aufgehört zu &#x017F;chnurren und<lb/>
&#x017F;chlummernd &#x017F;&#x017F;ie in ihrem Winkel.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Soll ich Euch Licht anzünden, oder &#x2014; &#x017F;ollen wir<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0242] tröpfchen, das in einem blauen Auge hängt, ſpiegeln, und als das Köpfchen ſich wieder erhebt aus dem grünen Blätterwerk, iſt an Guſtav die Reihe, Eliſe die Locken aus der Stirn zu ſtreichen. „Sieh, wie der Mond da oben ſchwimmt,“ ſagt Eliſe. „Warum macht er uns oft ſo tiefes Heimweh, als ob wir hier auf der Erde gar nicht recht zu Hauſe wären, Guſtav? Sieh, da iſt nur noch ein einziger, kleiner Stern, mutterſeelenallein, wie ein goldener Fun- ken. Sieh, — rechts vom Monde!“ „Ich ſehe noch zwei!“ ſagt Guſtav. „Ganz nah’, und habe darum auch gar kein Heimweh und — willſt Du wohl wieder die Augen aufmachen, Blondkopf! — Sieh, das haſt Du davon; was ich noch Weiſes ſagen wollte, hab’ ich nun rein vergeſſen!“ „Dann war’s gewiß eine Lüge, Braunkopf!“ meint Eliſe lachend. „Und nun ſteh’ auf, der Onkel und die Tante ſitzen da den ganzen Abend im Dunkeln; — es iſt ſehr unrecht, daß wir uns gar nicht darum beküm- mern. Komm, wir müſſen wirklich zuſehen, ob ſie nicht eingeſchlafen ſind.“ Gewiß waren ſie nicht eingeſchlafen. Nur das Spinn- rad der alten Martha hatte aufgehört zu ſchnurren und ſchlummernd ſaß ſie in ihrem Winkel. „Soll ich Euch Licht anzünden, oder — ſollen wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/242
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/242>, abgerufen am 21.05.2024.