Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.Seite und ein stubengesichtiger junger Mann, dem ein Es war auch ein erster Mai. Da war der Frühling 17
Seite und ein ſtubengeſichtiger junger Mann, dem ein Es war auch ein erſter Mai. Da war der Frühling 17
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0267" n="257"/> Seite und ein ſtubengeſichtiger junger Mann, dem ein<lb/> Buch hinten aus der Rocktaſche ſchaute, grub ſorgſam<lb/> eine Pflanze aus. Es war ein prächtiger Frühlings-<lb/> Nachmittag. Da begannen auf einmal in der Stadt<lb/> die Glocken zu läuten, den morgenden Sonntag zu ver-<lb/> künden und wieder ſchwebte, von den „Himmelstönen“<lb/> getragen, eine ſüße Erinnerung heran.</p><lb/> <p>Es war auch ein erſter Mai. Da war der Frühling<lb/> gekommen mit jungem Grün, bauenden Schwalben und<lb/> einem — Hochzeitstage in der alten, dunklen Sperlings-<lb/> Gaſſe. Sie hatten Blumen geſtreut, und mit Blumen<lb/> und Laubkränzen die Pfoſten umwunden; ſie hatten Sonn-<lb/> tagskleider angezogen in der Sperlingsgaſſe, und Alle<lb/> hatten fröhliche, fröhliche Geſichter. Und der Himmel<lb/> war blau, und die Sonne ſchien ſtrahlend durch das<lb/> Epheu, welches vor ſo langen Jahren Marie Ralff im<lb/> Ulfeldener Walde ausgegraben hatte; aber weder Him-<lb/> melsblau noch Sonnenſchein kamen an heiliger Reinheit<lb/> dem Geſichtchen gleich, das ſich an jenem erſten Mai<lb/> an meine Schulter ſchmiegte und durch Thränen lächelnd<lb/> zu mir aufſchaute. Das Bild der Mutter ſah aus<lb/> ſeinem Rahmen und den Kränzen, die es heute umwan-<lb/> den, ebenfalls lächelnd auf uns herab. Lächeln, Lächeln<lb/> überall! Und als das junge Herzchen an meiner Bruſt<lb/> pochte, auf der andern Seite Guſtav mir den Arm<lb/> <fw place="bottom" type="sig">17</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [257/0267]
Seite und ein ſtubengeſichtiger junger Mann, dem ein
Buch hinten aus der Rocktaſche ſchaute, grub ſorgſam
eine Pflanze aus. Es war ein prächtiger Frühlings-
Nachmittag. Da begannen auf einmal in der Stadt
die Glocken zu läuten, den morgenden Sonntag zu ver-
künden und wieder ſchwebte, von den „Himmelstönen“
getragen, eine ſüße Erinnerung heran.
Es war auch ein erſter Mai. Da war der Frühling
gekommen mit jungem Grün, bauenden Schwalben und
einem — Hochzeitstage in der alten, dunklen Sperlings-
Gaſſe. Sie hatten Blumen geſtreut, und mit Blumen
und Laubkränzen die Pfoſten umwunden; ſie hatten Sonn-
tagskleider angezogen in der Sperlingsgaſſe, und Alle
hatten fröhliche, fröhliche Geſichter. Und der Himmel
war blau, und die Sonne ſchien ſtrahlend durch das
Epheu, welches vor ſo langen Jahren Marie Ralff im
Ulfeldener Walde ausgegraben hatte; aber weder Him-
melsblau noch Sonnenſchein kamen an heiliger Reinheit
dem Geſichtchen gleich, das ſich an jenem erſten Mai
an meine Schulter ſchmiegte und durch Thränen lächelnd
zu mir aufſchaute. Das Bild der Mutter ſah aus
ſeinem Rahmen und den Kränzen, die es heute umwan-
den, ebenfalls lächelnd auf uns herab. Lächeln, Lächeln
überall! Und als das junge Herzchen an meiner Bruſt
pochte, auf der andern Seite Guſtav mir den Arm
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