Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.Bäumen rauschte, hinauf gestiegen in eine hohe Tanne, Und dann, wenn draußen die heiße Julisonne auf Welche Winterabende waren das, wenn ich dem al- Bäumen rauſchte, hinauf geſtiegen in eine hohe Tanne, Und dann, wenn draußen die heiße Juliſonne auf Welche Winterabende waren das, wenn ich dem al- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0056" n="46"/> Bäumen rauſchte, hinauf geſtiegen in eine hohe Tanne,<lb/> um mich, die Arme feſt um den rauhen, harzigen Stamm<lb/> geſchlungen, das Herz gepreßt von Angſt und unſäglicher<lb/> Seligkeit — hin und her ſchleudern zu laſſen vom<lb/> Winde.</p><lb/> <p>Und dann, wenn draußen die heiße Juliſonne auf<lb/> der Welt lag, die in dieſe Waldnacht nur vorſichtig<lb/> neugierig hinein zu lugen wagte: welch’ ein Träumen<lb/> war das! — Welch’ eine Wonne war’s, im Graſe zu<lb/> liegen, während der Rauhbach an meiner Seite rauſchte<lb/> und murmelte und ſeine Kieſel langſam weiterſchob;<lb/> während die Sonnenlichter an den ſchlanken Buchen-<lb/> ſtämmen oder über den Wellchen des Baches ſpielten<lb/> und zitterten; die Waſſerjungfer über mich hinſchoß;<lb/> rings umher die Glocken-Blumen ihre blauen Kelche der<lb/> Erde zuneigten und der ſtolze Fingerhut die ſeinen<lb/> trotzend emporhob, als wolle er die verirrten Strahlen<lb/> der Sonne darin auffangen.</p><lb/> <p>Welche Winterabende waren das, wenn ich dem al-<lb/> ten, weißbärtigen Mann, den ich Oheim nannte, auf<lb/> dem Knie ſaß, mit den Quaſten ſeiner kurzen Jäger-<lb/> pfeife ſpielte und ſeinen Geſchichten und Sagen lauſchte,<lb/> während die Hunde zu unſern Füßen ſchliefen und träum-<lb/> ten, und nur von Zeit zu Zeit aufhorchten, wenn der<lb/> alte Caro draußen anſchlug.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [46/0056]
Bäumen rauſchte, hinauf geſtiegen in eine hohe Tanne,
um mich, die Arme feſt um den rauhen, harzigen Stamm
geſchlungen, das Herz gepreßt von Angſt und unſäglicher
Seligkeit — hin und her ſchleudern zu laſſen vom
Winde.
Und dann, wenn draußen die heiße Juliſonne auf
der Welt lag, die in dieſe Waldnacht nur vorſichtig
neugierig hinein zu lugen wagte: welch’ ein Träumen
war das! — Welch’ eine Wonne war’s, im Graſe zu
liegen, während der Rauhbach an meiner Seite rauſchte
und murmelte und ſeine Kieſel langſam weiterſchob;
während die Sonnenlichter an den ſchlanken Buchen-
ſtämmen oder über den Wellchen des Baches ſpielten
und zitterten; die Waſſerjungfer über mich hinſchoß;
rings umher die Glocken-Blumen ihre blauen Kelche der
Erde zuneigten und der ſtolze Fingerhut die ſeinen
trotzend emporhob, als wolle er die verirrten Strahlen
der Sonne darin auffangen.
Welche Winterabende waren das, wenn ich dem al-
ten, weißbärtigen Mann, den ich Oheim nannte, auf
dem Knie ſaß, mit den Quaſten ſeiner kurzen Jäger-
pfeife ſpielte und ſeinen Geſchichten und Sagen lauſchte,
während die Hunde zu unſern Füßen ſchliefen und träum-
ten, und nur von Zeit zu Zeit aufhorchten, wenn der
alte Caro draußen anſchlug.
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