Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

Haus umgab. Hörte ich aus dem kleinen Stübchen
eine Stimme singen, die mir gar fremd und doch gar
bekannt vorkam. Sang die Stimme immer nur den
Anfang eines alten Liedes:

"Es trägt mein Lieb ein schwarzes Kleid,
Darunter trägt sie groß Herzenleid
In ihren jungen Tagen. ..."

"Nahm ich den Hut ab und trat in die Hausflur:
Grüß Gott, Jungfer Lieschen, bin zurück aus Franzo-
senland, -- wollte ich sagen, sprach aber kein Wort,
sondern fiel mir der Hut zur Erde und mußte ich mich
am Pfosten halten, um nicht selbst zu fallen. Da saß
ein bleiches Wesen mit eingefallenen Wangen im Win-
kel, hatte die Hände im Schooß gefaltet und zitterte,
als ob ein heftiger Frost es schüttle. --

"Louise, Louise! schrie ich auf, in die Knie vor
ihr stürzend, in unmenschlicher Angst.

"Die Gestalt erhob sich, kam schwankend auf mich
zu und sagte, indem sie mit eiskalter Hand mir über
die Stirn strich:

"Ei, mein schön's Lieb, bist zurück aus fremdem
Land? Hab' lange auf Dich gewartet, mein blankes
Herz! --"

"Schlug mir das Herz, daß mir der Harnisch zu

Haus umgab. Hörte ich aus dem kleinen Stübchen
eine Stimme ſingen, die mir gar fremd und doch gar
bekannt vorkam. Sang die Stimme immer nur den
Anfang eines alten Liedes:

„Es trägt mein Lieb ein ſchwarzes Kleid,
Darunter trägt ſie groß Herzenleid
In ihren jungen Tagen. …“

„Nahm ich den Hut ab und trat in die Hausflur:
Grüß Gott, Jungfer Lieschen, bin zurück aus Franzo-
ſenland, — wollte ich ſagen, ſprach aber kein Wort,
ſondern fiel mir der Hut zur Erde und mußte ich mich
am Pfoſten halten, um nicht ſelbſt zu fallen. Da ſaß
ein bleiches Weſen mit eingefallenen Wangen im Win-
kel, hatte die Hände im Schooß gefaltet und zitterte,
als ob ein heftiger Froſt es ſchüttle. —

„Louiſe, Louiſe! ſchrie ich auf, in die Knie vor
ihr ſtürzend, in unmenſchlicher Angſt.

„Die Geſtalt erhob ſich, kam ſchwankend auf mich
zu und ſagte, indem ſie mit eiskalter Hand mir über
die Stirn ſtrich:

„Ei, mein ſchön’s Lieb, biſt zurück aus fremdem
Land? Hab’ lange auf Dich gewartet, mein blankes
Herz! —“

„Schlug mir das Herz, daß mir der Harniſch zu

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0066" n="56"/>
Haus umgab. Hörte ich aus dem kleinen Stübchen<lb/>
eine Stimme &#x017F;ingen, die mir gar fremd und doch gar<lb/>
bekannt vorkam. Sang die Stimme immer nur den<lb/>
Anfang eines alten Liedes:</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Es trägt mein Lieb ein &#x017F;chwarzes Kleid,</l><lb/>
          <l>Darunter trägt &#x017F;ie groß Herzenleid</l><lb/>
          <l>In ihren jungen Tagen. &#x2026;&#x201C;</l>
        </lg><lb/>
        <p>&#x201E;Nahm ich den Hut ab und trat in die Hausflur:<lb/>
Grüß Gott, Jungfer Lieschen, bin zurück aus Franzo-<lb/>
&#x017F;enland, &#x2014; wollte ich &#x017F;agen, &#x017F;prach aber kein Wort,<lb/>
&#x017F;ondern fiel mir der Hut zur Erde und mußte ich mich<lb/>
am Pfo&#x017F;ten halten, um nicht &#x017F;elb&#x017F;t zu fallen. Da &#x017F;<lb/>
ein bleiches We&#x017F;en mit eingefallenen Wangen im Win-<lb/>
kel, hatte die Hände im Schooß gefaltet und zitterte,<lb/>
als ob ein heftiger Fro&#x017F;t es &#x017F;chüttle. &#x2014;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Loui&#x017F;e, Loui&#x017F;e! &#x017F;chrie ich auf, in die Knie vor<lb/>
ihr &#x017F;türzend, in unmen&#x017F;chlicher Ang&#x017F;t.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Die Ge&#x017F;talt erhob &#x017F;ich, kam &#x017F;chwankend auf mich<lb/>
zu und &#x017F;agte, indem &#x017F;ie mit eiskalter Hand mir über<lb/>
die Stirn &#x017F;trich:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ei, mein &#x017F;chön&#x2019;s Lieb, bi&#x017F;t zurück aus fremdem<lb/>
Land? Hab&#x2019; lange auf Dich gewartet, mein blankes<lb/>
Herz! &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schlug mir das Herz, daß mir der Harni&#x017F;ch zu<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0066] Haus umgab. Hörte ich aus dem kleinen Stübchen eine Stimme ſingen, die mir gar fremd und doch gar bekannt vorkam. Sang die Stimme immer nur den Anfang eines alten Liedes: „Es trägt mein Lieb ein ſchwarzes Kleid, Darunter trägt ſie groß Herzenleid In ihren jungen Tagen. …“ „Nahm ich den Hut ab und trat in die Hausflur: Grüß Gott, Jungfer Lieschen, bin zurück aus Franzo- ſenland, — wollte ich ſagen, ſprach aber kein Wort, ſondern fiel mir der Hut zur Erde und mußte ich mich am Pfoſten halten, um nicht ſelbſt zu fallen. Da ſaß ein bleiches Weſen mit eingefallenen Wangen im Win- kel, hatte die Hände im Schooß gefaltet und zitterte, als ob ein heftiger Froſt es ſchüttle. — „Louiſe, Louiſe! ſchrie ich auf, in die Knie vor ihr ſtürzend, in unmenſchlicher Angſt. „Die Geſtalt erhob ſich, kam ſchwankend auf mich zu und ſagte, indem ſie mit eiskalter Hand mir über die Stirn ſtrich: „Ei, mein ſchön’s Lieb, biſt zurück aus fremdem Land? Hab’ lange auf Dich gewartet, mein blankes Herz! —“ „Schlug mir das Herz, daß mir der Harniſch zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/66
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/66>, abgerufen am 24.11.2024.