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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857.

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Laut aufschreiend stürzte ich auf die Knie und ver-
barg den Kopf in dem Kissen des alten sterbenden Mannes.
Dieser saß jetzt auf den Ellenbogen gelehnt aufrecht, un-
terstützt von der weinenden Waldgrethe, seine Augen
funkelten; er legte mir die Hand auf den Kopf und
sagte leise:

"Er war jünger als Burchhard und ich; er wird
leben; -- -- -- such' ihn!" --

Damit sank er erschöpft zurück, während ich betäubt
liegen blieb. --

Endlich legte mir der alte Burchhard die Hand auf
die Schulter und führte mich heraus.

"Ich will dir ein Wahrzeichen geben," sagte er, als
wir unter den grünen Bäumen waren, die auf jene Tra-
gödie eben so grün und lustig herabgesehen hatten. Wieder
einmal folgte ich dem Laufe des Baches durch die grüne
Wildniß. Mit welchen Gefühlen?! -- Jetzt wußte ich,
woher der tiefinnere Zug nach dem stillen Waldteiche in
mir kam! Da lag die klare Fläche in der Abendgluth
vor uns, der leise Wind flüsterte in den Binsen, schlug
die gelben Irisglocken an einander und schaukelte die
auf ihren breiten saftigen Blättern schwimmenden Wasser-
rosen; das war alles so friedlich, so heimlich, so schön
und doch -- welch unnennbares Grauen gewährte mir
der Anblick! --

Laut aufſchreiend ſtürzte ich auf die Knie und ver-
barg den Kopf in dem Kiſſen des alten ſterbenden Mannes.
Dieſer ſaß jetzt auf den Ellenbogen gelehnt aufrecht, un-
terſtützt von der weinenden Waldgrethe, ſeine Augen
funkelten; er legte mir die Hand auf den Kopf und
ſagte leiſe:

„Er war jünger als Burchhard und ich; er wird
leben; — — — ſuch’ ihn!“ —

Damit ſank er erſchöpft zurück, während ich betäubt
liegen blieb. —

Endlich legte mir der alte Burchhard die Hand auf
die Schulter und führte mich heraus.

„Ich will dir ein Wahrzeichen geben,“ ſagte er, als
wir unter den grünen Bäumen waren, die auf jene Tra-
gödie eben ſo grün und luſtig herabgeſehen hatten. Wieder
einmal folgte ich dem Laufe des Baches durch die grüne
Wildniß. Mit welchen Gefühlen?! — Jetzt wußte ich,
woher der tiefinnere Zug nach dem ſtillen Waldteiche in
mir kam! Da lag die klare Fläche in der Abendgluth
vor uns, der leiſe Wind flüſterte in den Binſen, ſchlug
die gelben Irisglocken an einander und ſchaukelte die
auf ihren breiten ſaftigen Blättern ſchwimmenden Waſſer-
roſen; das war alles ſo friedlich, ſo heimlich, ſo ſchön
und doch — welch unnennbares Grauen gewährte mir
der Anblick! —

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[59/0069] Laut aufſchreiend ſtürzte ich auf die Knie und ver- barg den Kopf in dem Kiſſen des alten ſterbenden Mannes. Dieſer ſaß jetzt auf den Ellenbogen gelehnt aufrecht, un- terſtützt von der weinenden Waldgrethe, ſeine Augen funkelten; er legte mir die Hand auf den Kopf und ſagte leiſe: „Er war jünger als Burchhard und ich; er wird leben; — — — ſuch’ ihn!“ — Damit ſank er erſchöpft zurück, während ich betäubt liegen blieb. — Endlich legte mir der alte Burchhard die Hand auf die Schulter und führte mich heraus. „Ich will dir ein Wahrzeichen geben,“ ſagte er, als wir unter den grünen Bäumen waren, die auf jene Tra- gödie eben ſo grün und luſtig herabgeſehen hatten. Wieder einmal folgte ich dem Laufe des Baches durch die grüne Wildniß. Mit welchen Gefühlen?! — Jetzt wußte ich, woher der tiefinnere Zug nach dem ſtillen Waldteiche in mir kam! Da lag die klare Fläche in der Abendgluth vor uns, der leiſe Wind flüſterte in den Binſen, ſchlug die gelben Irisglocken an einander und ſchaukelte die auf ihren breiten ſaftigen Blättern ſchwimmenden Waſſer- roſen; das war alles ſo friedlich, ſo heimlich, ſo ſchön und doch — welch unnennbares Grauen gewährte mir der Anblick! —

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/69>, abgerufen am 21.11.2024.