Pflegevaters, auf Martha's Schooß tanzte, als ich auch von dem Begräbnisse zurückkehrte in diese vor kurzem noch so fröhliche, jetzt so öde Wohnung in No. 7. der Sperlingsgasse. Da stand -- es steht noch da -- auf dem Fenstertritt Mariens kleines Nähtischchen mit un- vollendeten Arbeiten, Zwirnknäulchen, Nadeln und Bän- dern, wie sie es an jenem Abend, über Kopfweh kla- gend, verlassen, um nicht wieder davor zu sitzen, nicht wieder durch die Rosen- und Resedastöcke und das Epheu- gitter in die dunkle Gasse hinaus zu schauen. Da waren noch allenthalben die Spuren ihrer zierlichen Geschäftig- keit. Franz hatte die letzten drei Monate wie ein Ar- gus über ihre Erhaltung gewacht. -- Dort auf jenem Stuhl hing ihr Hütchen, dort das Handkörbchen, welches sie bei ihren Einkäufen mit sich führte. --
Im zweiten Fenster stand Franzens Staffelei: das vollendete Bild Mariens, lächelnd, wie sie nur lächeln konnte, -- darauf lehnend. Seine farbenbedeckte Palette hing daneben, seine Skizzenmappen und Rollen lehnten und lagen allenthalben. Hinter der Thür hing sein zerdrückter Biber, den wir so oft auf unsern Spa- ziergängen mit Blumen und Laubgewinden umkränzten und der Marien, seines jämmerlichen manchen -sturm- durchlebten Aussehens wegen, ein solcher Dorn im Auge war.
Pflegevaters, auf Martha’s Schooß tanzte, als ich auch von dem Begräbniſſe zurückkehrte in dieſe vor kurzem noch ſo fröhliche, jetzt ſo öde Wohnung in No. 7. der Sperlingsgaſſe. Da ſtand — es ſteht noch da — auf dem Fenſtertritt Mariens kleines Nähtiſchchen mit un- vollendeten Arbeiten, Zwirnknäulchen, Nadeln und Bän- dern, wie ſie es an jenem Abend, über Kopfweh kla- gend, verlaſſen, um nicht wieder davor zu ſitzen, nicht wieder durch die Roſen- und Reſedaſtöcke und das Epheu- gitter in die dunkle Gaſſe hinaus zu ſchauen. Da waren noch allenthalben die Spuren ihrer zierlichen Geſchäftig- keit. Franz hatte die letzten drei Monate wie ein Ar- gus über ihre Erhaltung gewacht. — Dort auf jenem Stuhl hing ihr Hütchen, dort das Handkörbchen, welches ſie bei ihren Einkäufen mit ſich führte. —
Im zweiten Fenſter ſtand Franzens Staffelei: das vollendete Bild Mariens, lächelnd, wie ſie nur lächeln konnte, — darauf lehnend. Seine farbenbedeckte Palette hing daneben, ſeine Skizzenmappen und Rollen lehnten und lagen allenthalben. Hinter der Thür hing ſein zerdrückter Biber, den wir ſo oft auf unſern Spa- ziergängen mit Blumen und Laubgewinden umkränzten und der Marien, ſeines jämmerlichen manchen -ſturm- durchlebten Ausſehens wegen, ein ſolcher Dorn im Auge war.
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Pflegevaters, auf Martha’s Schooß tanzte, als ich auch
von dem Begräbniſſe zurückkehrte in dieſe vor kurzem
noch ſo fröhliche, jetzt ſo öde Wohnung in No. 7. der
Sperlingsgaſſe. Da ſtand — es ſteht noch da — auf
dem Fenſtertritt Mariens kleines Nähtiſchchen mit un-
vollendeten Arbeiten, Zwirnknäulchen, Nadeln und Bän-
dern, wie ſie es an jenem Abend, über Kopfweh kla-
gend, verlaſſen, um nicht wieder davor zu ſitzen, nicht
wieder durch die Roſen- und Reſedaſtöcke und das Epheu-
gitter in die dunkle Gaſſe hinaus zu ſchauen. Da waren
noch allenthalben die Spuren ihrer zierlichen Geſchäftig-
keit. Franz hatte die letzten drei Monate wie ein Ar-
gus über ihre Erhaltung gewacht. — Dort auf jenem
Stuhl hing ihr Hütchen, dort das Handkörbchen, welches
ſie bei ihren Einkäufen mit ſich führte. —
Im zweiten Fenſter ſtand Franzens Staffelei:
das vollendete Bild Mariens, lächelnd, wie ſie nur
lächeln konnte, — darauf lehnend. Seine farbenbedeckte
Palette hing daneben, ſeine Skizzenmappen und Rollen
lehnten und lagen allenthalben. Hinter der Thür hing
ſein zerdrückter Biber, den wir ſo oft auf unſern Spa-
ziergängen mit Blumen und Laubgewinden umkränzten
und der Marien, ſeines jämmerlichen manchen -ſturm-
durchlebten Ausſehens wegen, ein ſolcher Dorn im
Auge war.
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Raabe, Wilhelm: Die Chronik der Sperlingsgasse. Berlin, 1857, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_sperlingsgasse_1857/82>, abgerufen am 18.07.2024.
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