"Entschuldige, daß ich Dich unterbrochen habe. Erzähle weiter, Stopfkuchen."
"Nicht wahr, für den Schwiegersohn von Kien- baums Mörder erzähle ich hübsch gemüthlich? Ja, ja, es war im vollsten Sinne des Wortes eine Mord- wirthschaft, in welcher ich mich zum einzigen Haus- und Familienfreunde auswuchs! Die Versicherung kann ich Dir geben, Freund, daß nur sehr selten ein Schwiegervater sich seinen Schwiegersohn in so kurioser Weise groß und allgemach ans Herz gezogen hat wie Vater Quakatz mich, seinen dicken, braven Heinrich. Und dann der Heckenspatz, dem ich im Getümmel des Kampfes Salz auf den Schwanz gestreut hatte, oder vielmehr der Schmetterling, auf den ich mit blutender Nase und blauem Buckel die Schülermütze gedeckt hatte. Ja, ja, so einen saubern fängt sich nicht jeder ein, der auf diese Jagd ausgeht! Herrjeh, wie das Frauenzimmer in jenen Tagen aussah! solch ein Bündel, wie meine selige Mutter gesagt haben würde, solch ein vom Regen gewaschenes, von der Sonne getrocknetes, vom Winde zerzaustes, hülfloses, mutter- loses, sich selber die Kleider flickendes, sich nach dem Modejournal der rothen Schanze selber zusammen kostümirendes Bündel! und mit diesem Haut-gout von Blut, Moder und ungesühntem Todtschlag, diesem Kienbaums-Geruch an sich! Weißt Du, was sie, Frau Schaumann sagte, als sie mir unten im Grase von oben aus den Zweigen des Birnbaums ihre Birnen zuwarf? Sie meinte: ,Er ist jetzt im Hause, mein Vater, und wenn er Dich nicht sieht, ist es mir
„Entſchuldige, daß ich Dich unterbrochen habe. Erzähle weiter, Stopfkuchen.“
„Nicht wahr, für den Schwiegerſohn von Kien- baums Mörder erzähle ich hübſch gemüthlich? Ja, ja, es war im vollſten Sinne des Wortes eine Mord- wirthſchaft, in welcher ich mich zum einzigen Haus- und Familienfreunde auswuchs! Die Verſicherung kann ich Dir geben, Freund, daß nur ſehr ſelten ein Schwiegervater ſich ſeinen Schwiegerſohn in ſo kurioſer Weiſe groß und allgemach ans Herz gezogen hat wie Vater Quakatz mich, ſeinen dicken, braven Heinrich. Und dann der Heckenſpatz, dem ich im Getümmel des Kampfes Salz auf den Schwanz geſtreut hatte, oder vielmehr der Schmetterling, auf den ich mit blutender Naſe und blauem Buckel die Schülermütze gedeckt hatte. Ja, ja, ſo einen ſaubern fängt ſich nicht jeder ein, der auf dieſe Jagd ausgeht! Herrjeh, wie das Frauenzimmer in jenen Tagen ausſah! ſolch ein Bündel, wie meine ſelige Mutter geſagt haben würde, ſolch ein vom Regen gewaſchenes, von der Sonne getrocknetes, vom Winde zerzauſtes, hülfloſes, mutter- loſes, ſich ſelber die Kleider flickendes, ſich nach dem Modejournal der rothen Schanze ſelber zuſammen koſtümirendes Bündel! und mit dieſem Haut-gout von Blut, Moder und ungeſühntem Todtſchlag, dieſem Kienbaums-Geruch an ſich! Weißt Du, was ſie, Frau Schaumann ſagte, als ſie mir unten im Graſe von oben aus den Zweigen des Birnbaums ihre Birnen zuwarf? Sie meinte: ‚Er iſt jetzt im Hauſe, mein Vater, und wenn er Dich nicht ſieht, iſt es mir
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„Entſchuldige, daß ich Dich unterbrochen habe.
Erzähle weiter, Stopfkuchen.“
„Nicht wahr, für den Schwiegerſohn von Kien-
baums Mörder erzähle ich hübſch gemüthlich? Ja, ja,
es war im vollſten Sinne des Wortes eine Mord-
wirthſchaft, in welcher ich mich zum einzigen Haus-
und Familienfreunde auswuchs! Die Verſicherung
kann ich Dir geben, Freund, daß nur ſehr ſelten ein
Schwiegervater ſich ſeinen Schwiegerſohn in ſo kurioſer
Weiſe groß und allgemach ans Herz gezogen hat wie
Vater Quakatz mich, ſeinen dicken, braven Heinrich.
Und dann der Heckenſpatz, dem ich im Getümmel des
Kampfes Salz auf den Schwanz geſtreut hatte, oder
vielmehr der Schmetterling, auf den ich mit blutender
Naſe und blauem Buckel die Schülermütze gedeckt
hatte. Ja, ja, ſo einen ſaubern fängt ſich nicht jeder
ein, der auf dieſe Jagd ausgeht! Herrjeh, wie das
Frauenzimmer in jenen Tagen ausſah! ſolch ein
Bündel, wie meine ſelige Mutter geſagt haben würde,
ſolch ein vom Regen gewaſchenes, von der Sonne
getrocknetes, vom Winde zerzauſtes, hülfloſes, mutter-
loſes, ſich ſelber die Kleider flickendes, ſich nach dem
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koſtümirendes Bündel! und mit dieſem Haut-gout
von Blut, Moder und ungeſühntem Todtſchlag, dieſem
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Frau Schaumann ſagte, als ſie mir unten im Graſe
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/124>, abgerufen am 19.05.2024.
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