er sagte: ,Ich kann nicht helfen, Du, Wurm, geh' zu Bett und schlafe Du, ich komme und sehe nach, ob Du nichts mehr von Dir weißt!' ja, dann hatte ich einen Trost, der mir das Herz in die Kehle trieb. Manchmal bin ich wieder in später Nacht aus dem Bette gekrochen und bin an die Stubenthür auf nackten Füßen geschlichen und habe ihn dann noch ohne Schlaf sitzen sehen. Ach, Herr Eduard, es haben wohl wenige Leute so wenig geschlafen, wie mein armer seliger Vater! Und dann die Dienst- boten, -- die Knechte und Mägde: o wie hat es da an einem Haar gehangen, daß ich wirklich schlecht, wirklich vielleicht zu einer Mörderin oder Todtschläge- rin wurde! Sie brachten mir jedes Orgellied und alles was sich sonst in der Art auf dem Jahrmarkte kaufen läßt, und sangen es mir, und pfiffen mir es und, wenn sie zu einander davon redeten und bloß nach mir dabei hinübersahen, so war's noch schlimmer. Auf jede grüne Wiese, wo andere Kinder Blumen pflücken und Ringelkränze von Kuhblumenstielen machen durften, wurde mir ein Galgen hingebaut; und mitten unter die Erdbeeren, die Heidelbeeren und Himbeeren im Wald ein Schaffot. Der Hirte und der Pflug- knecht im Felde, die Weiber und Mädchen beim Rübenjäten und Kartoffelroden, hatten alle ihre Ge- schichten für mich und gaben sie mir mit nach Hause, auf den Wall von meines Vaters Schanze und nachts mit unter das Deckbett, das ich im heißesten Sommer oft über mich zog, auf die Gefahr hin, darunter vor Herzbeben und Grauen zu ersticken. O wie manche
er ſagte: ‚Ich kann nicht helfen, Du, Wurm, geh' zu Bett und ſchlafe Du, ich komme und ſehe nach, ob Du nichts mehr von Dir weißt!‘ ja, dann hatte ich einen Troſt, der mir das Herz in die Kehle trieb. Manchmal bin ich wieder in ſpäter Nacht aus dem Bette gekrochen und bin an die Stubenthür auf nackten Füßen geſchlichen und habe ihn dann noch ohne Schlaf ſitzen ſehen. Ach, Herr Eduard, es haben wohl wenige Leute ſo wenig geſchlafen, wie mein armer ſeliger Vater! Und dann die Dienſt- boten, — die Knechte und Mägde: o wie hat es da an einem Haar gehangen, daß ich wirklich ſchlecht, wirklich vielleicht zu einer Mörderin oder Todtſchläge- rin wurde! Sie brachten mir jedes Orgellied und alles was ſich ſonſt in der Art auf dem Jahrmarkte kaufen läßt, und ſangen es mir, und pfiffen mir es und, wenn ſie zu einander davon redeten und bloß nach mir dabei hinüberſahen, ſo war's noch ſchlimmer. Auf jede grüne Wieſe, wo andere Kinder Blumen pflücken und Ringelkränze von Kuhblumenſtielen machen durften, wurde mir ein Galgen hingebaut; und mitten unter die Erdbeeren, die Heidelbeeren und Himbeeren im Wald ein Schaffot. Der Hirte und der Pflug- knecht im Felde, die Weiber und Mädchen beim Rübenjäten und Kartoffelroden, hatten alle ihre Ge- ſchichten für mich und gaben ſie mir mit nach Hauſe, auf den Wall von meines Vaters Schanze und nachts mit unter das Deckbett, das ich im heißeſten Sommer oft über mich zog, auf die Gefahr hin, darunter vor Herzbeben und Grauen zu erſticken. O wie manche
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er ſagte: ‚Ich kann nicht helfen, Du, Wurm, geh'
zu Bett und ſchlafe Du, ich komme und ſehe nach,
ob Du nichts mehr von Dir weißt!‘ ja, dann hatte
ich einen Troſt, der mir das Herz in die Kehle trieb.
Manchmal bin ich wieder in ſpäter Nacht aus dem
Bette gekrochen und bin an die Stubenthür auf
nackten Füßen geſchlichen und habe ihn dann noch
ohne Schlaf ſitzen ſehen. Ach, Herr Eduard, es
haben wohl wenige Leute ſo wenig geſchlafen, wie
mein armer ſeliger Vater! Und dann die Dienſt-
boten, — die Knechte und Mägde: o wie hat es da
an einem Haar gehangen, daß ich wirklich ſchlecht,
wirklich vielleicht zu einer Mörderin oder Todtſchläge-
rin wurde! Sie brachten mir jedes Orgellied und
alles was ſich ſonſt in der Art auf dem Jahrmarkte
kaufen läßt, und ſangen es mir, und pfiffen mir es
und, wenn ſie zu einander davon redeten und bloß
nach mir dabei hinüberſahen, ſo war's noch ſchlimmer.
Auf jede grüne Wieſe, wo andere Kinder Blumen
pflücken und Ringelkränze von Kuhblumenſtielen machen
durften, wurde mir ein Galgen hingebaut; und mitten
unter die Erdbeeren, die Heidelbeeren und Himbeeren
im Wald ein Schaffot. Der Hirte und der Pflug-
knecht im Felde, die Weiber und Mädchen beim
Rübenjäten und Kartoffelroden, hatten alle ihre Ge-
ſchichten für mich und gaben ſie mir mit nach Hauſe,
auf den Wall von meines Vaters Schanze und nachts
mit unter das Deckbett, das ich im heißeſten Sommer
oft über mich zog, auf die Gefahr hin, darunter vor
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]
Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte" entstand ca. 1888/90. Der Text erschien zuerst 1891 in der Deutschen Roman-Zeitung (28. Jg., Nr. 1–6) und wurde für das Deutsche Textarchiv, gemäß den DTA-Leitlinien, nach der ersten selbstständigen Veröffentlichung digitalisiert.
Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/150>, abgerufen am 24.11.2024.
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