Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Und, Herr Eduard, dazu, dazu hatte der Stadtjunge,
der mich vor den Dorfjungen und Mädchen in seinen
Schutz genommen hatte, unter der Hecke da drüben
auf der städtischen Feldmark gelegen! Und dazu hatte
er auch genug Latein, daß er es meinem Vater in
seinem dicken Wörterbuch nachschlug und übersetzte
für seine Schriften und Akten, wo der selbst seinem
Advokaten nicht mehr traute. Herr Eduard, bitte,
achten Sie jetzt gar nicht auf meinen Mann! Er
mag nachher, bis er mit Ihnen als angehender
Student hier stand und von uns Abschied nahm, in
seinen Schulzeiten noch etwas mehr gelernt haben,
-- das kann ich nicht beurtheilen, aber für die rothe
Schanze war er damals genügend mit allen Kennt-
nissen ausgestattet. Er brachte nicht bloß die Hunde
zur Ruhe, er brachte auch meinem seligen Vater
ruhigere Stunden."

"Nu höre sie, Eduard! Ja, ja, aber sie hat
Recht: die Klugen haben wahrhaftig lange nicht so
viel Behaglichkeit in die Welt gebracht und so viele
Glückliche drin gemacht, wie die Einfältigen."

"Ganz sicher, Heinrich! Mein seliger Vater
meinte das wenigstens auch. Er drückte sich nur
etwas anders aus. ,Tinchen,' sagte er, ,ich will
nichts dagegen sagen, daß dieser dicke, stille Junge
sich an uns herangemacht hat. Wenn Du mit ihm
auskommen kannst, soll es mir Recht sein. Mich stört
er nicht, und man hat doch Einen in der Stube, der
nicht zu den Andern gehört.'"

"Das war ein großes Wort von Deinem ver-

Und, Herr Eduard, dazu, dazu hatte der Stadtjunge,
der mich vor den Dorfjungen und Mädchen in ſeinen
Schutz genommen hatte, unter der Hecke da drüben
auf der ſtädtiſchen Feldmark gelegen! Und dazu hatte
er auch genug Latein, daß er es meinem Vater in
ſeinem dicken Wörterbuch nachſchlug und überſetzte
für ſeine Schriften und Akten, wo der ſelbſt ſeinem
Advokaten nicht mehr traute. Herr Eduard, bitte,
achten Sie jetzt gar nicht auf meinen Mann! Er
mag nachher, bis er mit Ihnen als angehender
Student hier ſtand und von uns Abſchied nahm, in
ſeinen Schulzeiten noch etwas mehr gelernt haben,
— das kann ich nicht beurtheilen, aber für die rothe
Schanze war er damals genügend mit allen Kennt-
niſſen ausgeſtattet. Er brachte nicht bloß die Hunde
zur Ruhe, er brachte auch meinem ſeligen Vater
ruhigere Stunden.“

„Nu höre ſie, Eduard! Ja, ja, aber ſie hat
Recht: die Klugen haben wahrhaftig lange nicht ſo
viel Behaglichkeit in die Welt gebracht und ſo viele
Glückliche drin gemacht, wie die Einfältigen.“

„Ganz ſicher, Heinrich! Mein ſeliger Vater
meinte das wenigſtens auch. Er drückte ſich nur
etwas anders aus. ‚Tinchen,‘ ſagte er, ‚ich will
nichts dagegen ſagen, daß dieſer dicke, ſtille Junge
ſich an uns herangemacht hat. Wenn Du mit ihm
auskommen kannſt, ſoll es mir Recht ſein. Mich ſtört
er nicht, und man hat doch Einen in der Stube, der
nicht zu den Andern gehört.‘“

„Das war ein großes Wort von Deinem ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0154" n="144"/>
Und, Herr Eduard, dazu, dazu hatte der Stadtjunge,<lb/>
der mich vor den Dorfjungen und Mädchen in &#x017F;einen<lb/>
Schutz genommen hatte, unter der Hecke da drüben<lb/>
auf der &#x017F;tädti&#x017F;chen Feldmark gelegen! Und dazu hatte<lb/>
er auch genug Latein, daß er es meinem Vater in<lb/>
&#x017F;einem dicken Wörterbuch nach&#x017F;chlug und über&#x017F;etzte<lb/>
für &#x017F;eine Schriften und Akten, wo der &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;einem<lb/>
Advokaten nicht mehr traute. Herr Eduard, bitte,<lb/>
achten Sie jetzt gar nicht auf meinen Mann! Er<lb/>
mag nachher, bis er mit Ihnen als angehender<lb/>
Student hier &#x017F;tand und von uns Ab&#x017F;chied nahm, in<lb/>
&#x017F;einen Schulzeiten noch etwas mehr gelernt haben,<lb/>
&#x2014; das kann ich nicht beurtheilen, aber für die rothe<lb/>
Schanze war er damals genügend mit allen Kennt-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;en ausge&#x017F;tattet. Er brachte nicht bloß die Hunde<lb/>
zur Ruhe, er brachte auch meinem &#x017F;eligen Vater<lb/>
ruhigere Stunden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Nu höre &#x017F;ie, Eduard! Ja, ja, aber &#x017F;ie hat<lb/>
Recht: die Klugen haben wahrhaftig lange nicht &#x017F;o<lb/>
viel Behaglichkeit in die Welt gebracht und &#x017F;o viele<lb/>
Glückliche drin gemacht, wie die Einfältigen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ganz &#x017F;icher, Heinrich! Mein &#x017F;eliger Vater<lb/>
meinte das wenig&#x017F;tens auch. Er drückte &#x017F;ich nur<lb/>
etwas anders aus. &#x201A;Tinchen,&#x2018; &#x017F;agte er, &#x201A;ich will<lb/>
nichts dagegen &#x017F;agen, daß die&#x017F;er dicke, &#x017F;tille Junge<lb/>
&#x017F;ich an uns herangemacht hat. Wenn Du mit ihm<lb/>
auskommen kann&#x017F;t, &#x017F;oll es mir Recht &#x017F;ein. Mich &#x017F;tört<lb/>
er nicht, und man hat doch Einen in der Stube, der<lb/>
nicht zu den Andern gehört.&#x2018;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das war ein großes Wort von Deinem ver-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0154] Und, Herr Eduard, dazu, dazu hatte der Stadtjunge, der mich vor den Dorfjungen und Mädchen in ſeinen Schutz genommen hatte, unter der Hecke da drüben auf der ſtädtiſchen Feldmark gelegen! Und dazu hatte er auch genug Latein, daß er es meinem Vater in ſeinem dicken Wörterbuch nachſchlug und überſetzte für ſeine Schriften und Akten, wo der ſelbſt ſeinem Advokaten nicht mehr traute. Herr Eduard, bitte, achten Sie jetzt gar nicht auf meinen Mann! Er mag nachher, bis er mit Ihnen als angehender Student hier ſtand und von uns Abſchied nahm, in ſeinen Schulzeiten noch etwas mehr gelernt haben, — das kann ich nicht beurtheilen, aber für die rothe Schanze war er damals genügend mit allen Kennt- niſſen ausgeſtattet. Er brachte nicht bloß die Hunde zur Ruhe, er brachte auch meinem ſeligen Vater ruhigere Stunden.“ „Nu höre ſie, Eduard! Ja, ja, aber ſie hat Recht: die Klugen haben wahrhaftig lange nicht ſo viel Behaglichkeit in die Welt gebracht und ſo viele Glückliche drin gemacht, wie die Einfältigen.“ „Ganz ſicher, Heinrich! Mein ſeliger Vater meinte das wenigſtens auch. Er drückte ſich nur etwas anders aus. ‚Tinchen,‘ ſagte er, ‚ich will nichts dagegen ſagen, daß dieſer dicke, ſtille Junge ſich an uns herangemacht hat. Wenn Du mit ihm auskommen kannſt, ſoll es mir Recht ſein. Mich ſtört er nicht, und man hat doch Einen in der Stube, der nicht zu den Andern gehört.‘“ „Das war ein großes Wort von Deinem ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/154
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/154>, abgerufen am 23.11.2024.