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Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

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"Höre sie nur, Eduard!" rief Stopfkuchen.

"Nein, hören Sie sie nicht, Herr Eduard, sondern
lassen Sie mich so schnell als möglich hierüber weg-
kommen. Ach ja, und der Knecht hatte mir an dem
ganz besondern Nachmittage wiedermal die Faust
unter die Nase gehalten und die Magd mir den
Kochlöffel vor die Füße geworfen. Einen von den
Hunden wenigstens hatte ich ja immer bei mir, um
mich mit ihm im letzten Nothfall zu wehren; aber an
dem Sonntage hatten sie mir auch gedroht, sie mir
alle zu vergiften. Ei freilich, wenn sie dieses aus-
geführt hätten, ehe Heinrich kam, so wäre ich freilich
bis dahin ganz verrathen und verkauft und in ihren
Händen gewesen."

Es läßt sich nicht schildern, wie ruhig die Frau
alles dieses jetzt erzählte: man mußte sie dabei sehen,
ansehen. Stopfkuchen stopfte seine Pfeife aus einer
Schweinsblase, die er mühsam, ächzend aus seiner
Schlafrocktasche emporwand. Frau Valentine erzählte
weiter:

"Es war Sonntag und in Maiholzen Durchtanz;
Knecht und Magd mir gegen meinen Willen durch-
gegangen und im Dorf und auf dem Tanzboden.
Es war ein wüster Wintertag gewesen, und am Abend
wurde es noch wüster, und es kam ein Schnee-
wehen --"

"Eine Mauer um uns baue,
Sang das fromme Mütterlein,"

summte Stopfkuchen: aber sein Weib rief:

"O nein, das that damals das fromme Mütterlein

„Höre ſie nur, Eduard!“ rief Stopfkuchen.

„Nein, hören Sie ſie nicht, Herr Eduard, ſondern
laſſen Sie mich ſo ſchnell als möglich hierüber weg-
kommen. Ach ja, und der Knecht hatte mir an dem
ganz beſondern Nachmittage wiedermal die Fauſt
unter die Naſe gehalten und die Magd mir den
Kochlöffel vor die Füße geworfen. Einen von den
Hunden wenigſtens hatte ich ja immer bei mir, um
mich mit ihm im letzten Nothfall zu wehren; aber an
dem Sonntage hatten ſie mir auch gedroht, ſie mir
alle zu vergiften. Ei freilich, wenn ſie dieſes aus-
geführt hätten, ehe Heinrich kam, ſo wäre ich freilich
bis dahin ganz verrathen und verkauft und in ihren
Händen geweſen.“

Es läßt ſich nicht ſchildern, wie ruhig die Frau
alles dieſes jetzt erzählte: man mußte ſie dabei ſehen,
anſehen. Stopfkuchen ſtopfte ſeine Pfeife aus einer
Schweinsblaſe, die er mühſam, ächzend aus ſeiner
Schlafrocktaſche emporwand. Frau Valentine erzählte
weiter:

„Es war Sonntag und in Maiholzen Durchtanz;
Knecht und Magd mir gegen meinen Willen durch-
gegangen und im Dorf und auf dem Tanzboden.
Es war ein wüſter Wintertag geweſen, und am Abend
wurde es noch wüſter, und es kam ein Schnee-
wehen —“

„Eine Mauer um uns baue,
Sang das fromme Mütterlein,“

ſummte Stopfkuchen: aber ſein Weib rief:

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[169/0179] „Höre ſie nur, Eduard!“ rief Stopfkuchen. „Nein, hören Sie ſie nicht, Herr Eduard, ſondern laſſen Sie mich ſo ſchnell als möglich hierüber weg- kommen. Ach ja, und der Knecht hatte mir an dem ganz beſondern Nachmittage wiedermal die Fauſt unter die Naſe gehalten und die Magd mir den Kochlöffel vor die Füße geworfen. Einen von den Hunden wenigſtens hatte ich ja immer bei mir, um mich mit ihm im letzten Nothfall zu wehren; aber an dem Sonntage hatten ſie mir auch gedroht, ſie mir alle zu vergiften. Ei freilich, wenn ſie dieſes aus- geführt hätten, ehe Heinrich kam, ſo wäre ich freilich bis dahin ganz verrathen und verkauft und in ihren Händen geweſen.“ Es läßt ſich nicht ſchildern, wie ruhig die Frau alles dieſes jetzt erzählte: man mußte ſie dabei ſehen, anſehen. Stopfkuchen ſtopfte ſeine Pfeife aus einer Schweinsblaſe, die er mühſam, ächzend aus ſeiner Schlafrocktaſche emporwand. Frau Valentine erzählte weiter: „Es war Sonntag und in Maiholzen Durchtanz; Knecht und Magd mir gegen meinen Willen durch- gegangen und im Dorf und auf dem Tanzboden. Es war ein wüſter Wintertag geweſen, und am Abend wurde es noch wüſter, und es kam ein Schnee- wehen —“ „Eine Mauer um uns baue, Sang das fromme Mütterlein,“ ſummte Stopfkuchen: aber ſein Weib rief: „O nein, das that damals das fromme Mütterlein

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Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/179>, abgerufen am 19.05.2024.