Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

Volks ich im Namen der sogenannten ewigen Ge-
rechtigkeit in das himmlischste Entzücken versetze! Denke
Dich in meine Nächte, wie ich mir die Leute
sämmtlich persönlichst in der Phantasie vor die Seele
halte und bei jedem Einzelnen mich frage: ,Was?
Dem zum Spaße? Dem zum Vergnügen? Dem
zur Genugthuung?' -- Du lieber Gott, wenn ich
nicht doch auch in dieser Hinsicht eine gewisse Ver-
pflichtung gegen das Herz -- ich meine meine Frau
hätte, Eduard! Eine geborene Quakatz bleibt sie ja
nun einmal; und so geht es Einem hier immer noch
in Europa, wenn man in anrüchige Familien hinein-
heirathet."

Wie die Stadtidylle morgen sich zu dem Körper-
umfange meines Freundes stellen mochte: mir schwoll
er heute schon von Augenblick zu Augenblick mehr
über jeglichen Rahmen hinaus. Und wie seine brave,
gute, nette, niedliche Frau war ich ihm ohne jegliches
Wort und Widerwort verfallen: mußte ihn reden
lassen, ließ ihn reden, und wartete, jedesmal wenn
er mal aufhörte mit innerlichster Spannung, daß er
wieder anfange, sich gehen zu lassen und zu reden. --

Trotz aller Annehmlichkeit der Heimathstadt ver-
mieden wir sie doch fürs erste: Stopfkuchen führte
mich um den "Wall." Weshalb, sagte er nicht und
ich fragte auch nicht danach. Ich hielt es wirklich
allmählich für das Beste, mich ruhig in seiner Weise
von ihm führen zu lassen.

Dieser Wall, den einst der Prinz Xaverius von
der rothen Schanze aus beschossen hatte, war jetzt in

Volks ich im Namen der ſogenannten ewigen Ge-
rechtigkeit in das himmliſchſte Entzücken verſetze! Denke
Dich in meine Nächte, wie ich mir die Leute
ſämmtlich perſönlichſt in der Phantaſie vor die Seele
halte und bei jedem Einzelnen mich frage: ‚Was?
Dem zum Spaße? Dem zum Vergnügen? Dem
zur Genugthuung?‘ — Du lieber Gott, wenn ich
nicht doch auch in dieſer Hinſicht eine gewiſſe Ver-
pflichtung gegen das Herz — ich meine meine Frau
hätte, Eduard! Eine geborene Quakatz bleibt ſie ja
nun einmal; und ſo geht es Einem hier immer noch
in Europa, wenn man in anrüchige Familien hinein-
heirathet.“

Wie die Stadtidylle morgen ſich zu dem Körper-
umfange meines Freundes ſtellen mochte: mir ſchwoll
er heute ſchon von Augenblick zu Augenblick mehr
über jeglichen Rahmen hinaus. Und wie ſeine brave,
gute, nette, niedliche Frau war ich ihm ohne jegliches
Wort und Widerwort verfallen: mußte ihn reden
laſſen, ließ ihn reden, und wartete, jedesmal wenn
er mal aufhörte mit innerlichſter Spannung, daß er
wieder anfange, ſich gehen zu laſſen und zu reden. —

Trotz aller Annehmlichkeit der Heimathſtadt ver-
mieden wir ſie doch fürs erſte: Stopfkuchen führte
mich um den „Wall.“ Weshalb, ſagte er nicht und
ich fragte auch nicht danach. Ich hielt es wirklich
allmählich für das Beſte, mich ruhig in ſeiner Weiſe
von ihm führen zu laſſen.

Dieſer Wall, den einſt der Prinz Xaverius von
der rothen Schanze aus beſchoſſen hatte, war jetzt in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0223" n="213"/>
Volks ich im Namen der &#x017F;ogenannten ewigen Ge-<lb/>
rechtigkeit in das himmli&#x017F;ch&#x017F;te Entzücken ver&#x017F;etze! Denke<lb/>
Dich in meine Nächte, wie ich mir die Leute<lb/>
&#x017F;ämmtlich per&#x017F;önlich&#x017F;t in der Phanta&#x017F;ie vor die Seele<lb/>
halte und bei jedem Einzelnen mich frage: &#x201A;Was?<lb/>
Dem zum Spaße? Dem zum Vergnügen? Dem<lb/>
zur Genugthuung?&#x2018; &#x2014; Du lieber Gott, wenn ich<lb/>
nicht doch auch in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ver-<lb/>
pflichtung gegen das Herz &#x2014; ich meine meine Frau<lb/>
hätte, Eduard! Eine geborene Quakatz bleibt &#x017F;ie ja<lb/>
nun einmal; und &#x017F;o geht es Einem hier immer noch<lb/>
in Europa, wenn man in anrüchige Familien hinein-<lb/>
heirathet.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wie die Stadtidylle morgen &#x017F;ich zu dem Körper-<lb/>
umfange meines Freundes &#x017F;tellen mochte: mir &#x017F;chwoll<lb/>
er heute &#x017F;chon von Augenblick zu Augenblick mehr<lb/>
über jeglichen Rahmen hinaus. Und wie &#x017F;eine brave,<lb/>
gute, nette, niedliche Frau war ich ihm ohne jegliches<lb/>
Wort und Widerwort verfallen: mußte ihn reden<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, ließ ihn reden, und wartete, jedesmal wenn<lb/>
er mal aufhörte mit innerlich&#x017F;ter Spannung, daß er<lb/>
wieder anfange, &#x017F;ich gehen zu la&#x017F;&#x017F;en und zu reden. &#x2014;</p><lb/>
        <p>Trotz aller Annehmlichkeit der Heimath&#x017F;tadt ver-<lb/>
mieden wir &#x017F;ie doch fürs er&#x017F;te: Stopfkuchen führte<lb/>
mich um den &#x201E;Wall.&#x201C; Weshalb, &#x017F;agte er nicht und<lb/>
ich fragte auch nicht danach. Ich hielt es wirklich<lb/>
allmählich für das Be&#x017F;te, mich ruhig in &#x017F;einer Wei&#x017F;e<lb/>
von ihm führen zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er Wall, den ein&#x017F;t der Prinz Xaverius von<lb/>
der rothen Schanze aus be&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en hatte, war jetzt in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[213/0223] Volks ich im Namen der ſogenannten ewigen Ge- rechtigkeit in das himmliſchſte Entzücken verſetze! Denke Dich in meine Nächte, wie ich mir die Leute ſämmtlich perſönlichſt in der Phantaſie vor die Seele halte und bei jedem Einzelnen mich frage: ‚Was? Dem zum Spaße? Dem zum Vergnügen? Dem zur Genugthuung?‘ — Du lieber Gott, wenn ich nicht doch auch in dieſer Hinſicht eine gewiſſe Ver- pflichtung gegen das Herz — ich meine meine Frau hätte, Eduard! Eine geborene Quakatz bleibt ſie ja nun einmal; und ſo geht es Einem hier immer noch in Europa, wenn man in anrüchige Familien hinein- heirathet.“ Wie die Stadtidylle morgen ſich zu dem Körper- umfange meines Freundes ſtellen mochte: mir ſchwoll er heute ſchon von Augenblick zu Augenblick mehr über jeglichen Rahmen hinaus. Und wie ſeine brave, gute, nette, niedliche Frau war ich ihm ohne jegliches Wort und Widerwort verfallen: mußte ihn reden laſſen, ließ ihn reden, und wartete, jedesmal wenn er mal aufhörte mit innerlichſter Spannung, daß er wieder anfange, ſich gehen zu laſſen und zu reden. — Trotz aller Annehmlichkeit der Heimathſtadt ver- mieden wir ſie doch fürs erſte: Stopfkuchen führte mich um den „Wall.“ Weshalb, ſagte er nicht und ich fragte auch nicht danach. Ich hielt es wirklich allmählich für das Beſte, mich ruhig in ſeiner Weiſe von ihm führen zu laſſen. Dieſer Wall, den einſt der Prinz Xaverius von der rothen Schanze aus beſchoſſen hatte, war jetzt in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/223
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/223>, abgerufen am 26.11.2024.