Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

ich ihn kennen gelernt habe (er war kein weicher
Mann) hat er geächzt: ,Herr, Herr, was ich sonsten
gesündigt haben mag, das haben sie da unten mich
schon reichlich büßen lassen durch Mißachtung, scheele
Blicke, Fingerdeuten, Abrücken im Kruge und Allein-
lassen bei jeder Haushaltsnoth. Wenn ich nun als
ein vergrellter, in seinen Erdengrimm verbissener
Mann zu Dir komme, Herr des Himmels und der
Erden, so zieh von meiner Strafe im ewigen Leben
meine tagtägliche und allnächtliche Büßung da unten in
der Sterblichkeit ab, grundgütiger Gott. Und ver-
gib ihnen in Maiholzen und der Umgegend auch,
was sie nach unserer armen Menschenweise an
mir zuviel gethan haben.' -- Liebe Brüder und
Schwestern, wir wissen alle bis zu dieser Stunde
noch nicht, wer eigentlich Kienbaum todtgeschlagen hat.
Der Bauer Andreas Quakatz von der rothen Schanze
ist todt und hat Rechenschaft über sein Leben abgelegt;
aber vielleicht -- christliche Gemeinde, ich sage viel-
leicht! -- vielleicht geht noch ein Anderer im Leben
umher als ein lebendiges Beispiel davon, was der
Mensch aushalten kann mit einer Blutthat auf der
Seele und dem täglichen und nächtlichen Bewußtsein,
einen Andern, einen Unschuldigen dafür aufkommen
zu lassen! Wenn dieses der Fall ist -- wenn Kien-
baums Mörder noch lebt; dann -- o dann, christliche
Gemeinde, laß uns auch für ihn, ihn -- hier, hier
an diesem Grabe ein stilles Gebet sprechen, wie für
den beruhigten Todten in diesem Sarge vor unsern
Füßen. Den beiden Hauptleidtragenden, vor allem

ich ihn kennen gelernt habe (er war kein weicher
Mann) hat er geächzt: ‚Herr, Herr, was ich ſonſten
geſündigt haben mag, das haben ſie da unten mich
ſchon reichlich büßen laſſen durch Mißachtung, ſcheele
Blicke, Fingerdeuten, Abrücken im Kruge und Allein-
laſſen bei jeder Haushaltsnoth. Wenn ich nun als
ein vergrellter, in ſeinen Erdengrimm verbiſſener
Mann zu Dir komme, Herr des Himmels und der
Erden, ſo zieh von meiner Strafe im ewigen Leben
meine tagtägliche und allnächtliche Büßung da unten in
der Sterblichkeit ab, grundgütiger Gott. Und ver-
gib ihnen in Maiholzen und der Umgegend auch,
was ſie nach unſerer armen Menſchenweiſe an
mir zuviel gethan haben.‘ — Liebe Brüder und
Schweſtern, wir wiſſen alle bis zu dieſer Stunde
noch nicht, wer eigentlich Kienbaum todtgeſchlagen hat.
Der Bauer Andreas Quakatz von der rothen Schanze
iſt todt und hat Rechenſchaft über ſein Leben abgelegt;
aber vielleicht — chriſtliche Gemeinde, ich ſage viel-
leicht! — vielleicht geht noch ein Anderer im Leben
umher als ein lebendiges Beiſpiel davon, was der
Menſch aushalten kann mit einer Blutthat auf der
Seele und dem täglichen und nächtlichen Bewußtſein,
einen Andern, einen Unſchuldigen dafür aufkommen
zu laſſen! Wenn dieſes der Fall iſt — wenn Kien-
baums Mörder noch lebt; dann — o dann, chriſtliche
Gemeinde, laß uns auch für ihn, ihn — hier, hier
an dieſem Grabe ein ſtilles Gebet ſprechen, wie für
den beruhigten Todten in dieſem Sarge vor unſern
Füßen. Den beiden Hauptleidtragenden, vor allem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0245" n="235"/>
ich ihn kennen gelernt habe (er war kein weicher<lb/>
Mann) hat er geächzt: &#x201A;Herr, Herr, was ich &#x017F;on&#x017F;ten<lb/>
ge&#x017F;ündigt haben mag, das haben &#x017F;ie da unten mich<lb/>
&#x017F;chon reichlich büßen la&#x017F;&#x017F;en durch Mißachtung, &#x017F;cheele<lb/>
Blicke, Fingerdeuten, Abrücken im Kruge und Allein-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en bei jeder Haushaltsnoth. Wenn ich nun als<lb/>
ein vergrellter, in &#x017F;einen Erdengrimm verbi&#x017F;&#x017F;ener<lb/>
Mann zu Dir komme, Herr des Himmels und der<lb/>
Erden, &#x017F;o zieh von meiner Strafe im ewigen Leben<lb/>
meine tagtägliche und allnächtliche Büßung da unten in<lb/>
der Sterblichkeit ab, grundgütiger Gott. Und ver-<lb/>
gib ihnen in Maiholzen und der Umgegend auch,<lb/>
was &#x017F;ie nach un&#x017F;erer armen Men&#x017F;chenwei&#x017F;e an<lb/>
mir zuviel gethan haben.&#x2018; &#x2014; Liebe Brüder und<lb/>
Schwe&#x017F;tern, wir wi&#x017F;&#x017F;en alle bis zu die&#x017F;er Stunde<lb/>
noch nicht, wer eigentlich Kienbaum todtge&#x017F;chlagen hat.<lb/>
Der Bauer Andreas Quakatz von der rothen Schanze<lb/>
i&#x017F;t todt und hat Rechen&#x017F;chaft über &#x017F;ein Leben abgelegt;<lb/>
aber vielleicht &#x2014; chri&#x017F;tliche Gemeinde, ich &#x017F;age viel-<lb/>
leicht! &#x2014; vielleicht geht noch ein Anderer im Leben<lb/>
umher als ein lebendiges Bei&#x017F;piel davon, was der<lb/>
Men&#x017F;ch aushalten kann mit einer Blutthat auf der<lb/>
Seele und dem täglichen und nächtlichen Bewußt&#x017F;ein,<lb/>
einen Andern, einen Un&#x017F;chuldigen dafür aufkommen<lb/>
zu la&#x017F;&#x017F;en! Wenn die&#x017F;es der Fall i&#x017F;t &#x2014; wenn Kien-<lb/>
baums Mörder noch lebt; dann &#x2014; o dann, chri&#x017F;tliche<lb/>
Gemeinde, laß uns auch für ihn, ihn &#x2014; hier, hier<lb/>
an die&#x017F;em Grabe ein &#x017F;tilles Gebet &#x017F;prechen, wie für<lb/>
den beruhigten Todten in die&#x017F;em Sarge vor un&#x017F;ern<lb/>
Füßen. Den beiden Hauptleidtragenden, vor allem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0245] ich ihn kennen gelernt habe (er war kein weicher Mann) hat er geächzt: ‚Herr, Herr, was ich ſonſten geſündigt haben mag, das haben ſie da unten mich ſchon reichlich büßen laſſen durch Mißachtung, ſcheele Blicke, Fingerdeuten, Abrücken im Kruge und Allein- laſſen bei jeder Haushaltsnoth. Wenn ich nun als ein vergrellter, in ſeinen Erdengrimm verbiſſener Mann zu Dir komme, Herr des Himmels und der Erden, ſo zieh von meiner Strafe im ewigen Leben meine tagtägliche und allnächtliche Büßung da unten in der Sterblichkeit ab, grundgütiger Gott. Und ver- gib ihnen in Maiholzen und der Umgegend auch, was ſie nach unſerer armen Menſchenweiſe an mir zuviel gethan haben.‘ — Liebe Brüder und Schweſtern, wir wiſſen alle bis zu dieſer Stunde noch nicht, wer eigentlich Kienbaum todtgeſchlagen hat. Der Bauer Andreas Quakatz von der rothen Schanze iſt todt und hat Rechenſchaft über ſein Leben abgelegt; aber vielleicht — chriſtliche Gemeinde, ich ſage viel- leicht! — vielleicht geht noch ein Anderer im Leben umher als ein lebendiges Beiſpiel davon, was der Menſch aushalten kann mit einer Blutthat auf der Seele und dem täglichen und nächtlichen Bewußtſein, einen Andern, einen Unſchuldigen dafür aufkommen zu laſſen! Wenn dieſes der Fall iſt — wenn Kien- baums Mörder noch lebt; dann — o dann, chriſtliche Gemeinde, laß uns auch für ihn, ihn — hier, hier an dieſem Grabe ein ſtilles Gebet ſprechen, wie für den beruhigten Todten in dieſem Sarge vor unſern Füßen. Den beiden Hauptleidtragenden, vor allem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/245
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/245>, abgerufen am 19.05.2024.