Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891.

Bild:
<< vorherige Seite

viel verhaltener Wortschwall in einem nicht zum Zweck
und auf die Kanzel gekommenen Kandidaten der
Theologie stecken können? Da, sitze still und gucke
in die schöne Gegend und auf die Heimathsgefilde und
laß mich mir endlich mal Luft machen! einem Menschen
gegenüber Luft machen, der nicht da unten in das
alte Nest hineingehört, sondern der morgen schon
wieder auf dem Wege nach dem untersten Ende vom
alleruntersten Südafrika ist, also nicht die Geschichte
vom Stopfkuchen und seiner rothen Schanze in sein
nachbarliches Ehebett und in seine Stamm-Kneipe
weiterträgt."

"Ich sage gar nichts mehr, bis Du selbst mich
dazu aufforderst, oder bis Deine liebe Frau es
wünscht."

"Schön, lieber Junge! Damit thust Du mir
eine wahre Wohlthat an. Also kommen wir zuerst
zu der Schicksalskugel an Rendanten Schaumanns
Hause. Allein that sie es natürlich nicht. Es hatte
sich im Hause auch ein alter Schmöker erhalten.
Meine Mutter hatte ihn jahrelang benutzt, um einem
wackelnden Schrank den mangelnden vierten Fuß unter-
zuschieben. Der half mir weiter. Nicht der Schrank,
sondern der Schmöker! Es war ein Lokalprodukt, das
die Geschichte der Belagerung unserer süßen Kind-
heitswiege
durch den Prinzen Xaver von Sachsen,
wenn nicht wahr, so doch für ein Kindergemüth um
ein Bedeutendes deutlicher ausmalte. Den Klassiker zog
ich unter dem Schranke vor, den las ich lieber als den
Cornelius Nepos, und von dem aus kam ich, Eduard,

viel verhaltener Wortſchwall in einem nicht zum Zweck
und auf die Kanzel gekommenen Kandidaten der
Theologie ſtecken können? Da, ſitze ſtill und gucke
in die ſchöne Gegend und auf die Heimathsgefilde und
laß mich mir endlich mal Luft machen! einem Menſchen
gegenüber Luft machen, der nicht da unten in das
alte Neſt hineingehört, ſondern der morgen ſchon
wieder auf dem Wege nach dem unterſten Ende vom
allerunterſten Südafrika iſt, alſo nicht die Geſchichte
vom Stopfkuchen und ſeiner rothen Schanze in ſein
nachbarliches Ehebett und in ſeine Stamm-Kneipe
weiterträgt.“

„Ich ſage gar nichts mehr, bis Du ſelbſt mich
dazu aufforderſt, oder bis Deine liebe Frau es
wünſcht.“

„Schön, lieber Junge! Damit thuſt Du mir
eine wahre Wohlthat an. Alſo kommen wir zuerſt
zu der Schickſalskugel an Rendanten Schaumanns
Hauſe. Allein that ſie es natürlich nicht. Es hatte
ſich im Hauſe auch ein alter Schmöker erhalten.
Meine Mutter hatte ihn jahrelang benutzt, um einem
wackelnden Schrank den mangelnden vierten Fuß unter-
zuſchieben. Der half mir weiter. Nicht der Schrank,
ſondern der Schmöker! Es war ein Lokalprodukt, das
die Geſchichte der Belagerung unſerer ſüßen Kind-
heitswiege
durch den Prinzen Xaver von Sachſen,
wenn nicht wahr, ſo doch für ein Kindergemüth um
ein Bedeutendes deutlicher ausmalte. Den Klaſſiker zog
ich unter dem Schranke vor, den las ich lieber als den
Cornelius Nepos, und von dem aus kam ich, Eduard,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0098" n="88"/>
viel verhaltener Wort&#x017F;chwall in einem nicht zum Zweck<lb/>
und auf die Kanzel gekommenen Kandidaten der<lb/>
Theologie &#x017F;tecken können? Da, &#x017F;itze &#x017F;till und gucke<lb/>
in die &#x017F;chöne Gegend und auf die Heimathsgefilde und<lb/>
laß mich mir endlich mal Luft machen! einem Men&#x017F;chen<lb/>
gegenüber Luft machen, der nicht da unten in das<lb/>
alte Ne&#x017F;t hineingehört, &#x017F;ondern der morgen &#x017F;chon<lb/>
wieder auf dem Wege nach dem unter&#x017F;ten Ende vom<lb/>
allerunter&#x017F;ten Südafrika i&#x017F;t, al&#x017F;o nicht die Ge&#x017F;chichte<lb/>
vom Stopfkuchen und &#x017F;einer rothen Schanze in &#x017F;ein<lb/>
nachbarliches Ehebett und in &#x017F;eine Stamm-Kneipe<lb/>
weiterträgt.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich &#x017F;age gar nichts mehr, bis Du &#x017F;elb&#x017F;t mich<lb/>
dazu aufforder&#x017F;t, oder bis Deine liebe Frau es<lb/>
wün&#x017F;cht.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Schön, lieber Junge! Damit thu&#x017F;t Du mir<lb/>
eine wahre Wohlthat an. Al&#x017F;o kommen wir zuer&#x017F;t<lb/>
zu der Schick&#x017F;alskugel an Rendanten Schaumanns<lb/>
Hau&#x017F;e. Allein that &#x017F;ie es natürlich nicht. Es hatte<lb/>
&#x017F;ich im Hau&#x017F;e auch ein alter Schmöker erhalten.<lb/>
Meine Mutter hatte ihn jahrelang benutzt, um einem<lb/>
wackelnden Schrank den mangelnden vierten Fuß unter-<lb/>
zu&#x017F;chieben. Der half mir weiter. Nicht der Schrank,<lb/>
&#x017F;ondern der Schmöker! Es war ein Lokalprodukt, das<lb/>
die Ge&#x017F;chichte der Belagerung un&#x017F;erer &#x017F;üßen <choice><sic>Kind<lb/>
heitswiege</sic><corr>Kind-<lb/>
heitswiege</corr></choice> durch den Prinzen Xaver von Sach&#x017F;en,<lb/>
wenn nicht wahr, &#x017F;o doch für ein Kindergemüth um<lb/>
ein Bedeutendes deutlicher ausmalte. Den Kla&#x017F;&#x017F;iker zog<lb/>
ich unter dem Schranke vor, den las ich lieber als den<lb/>
Cornelius Nepos, und von dem aus kam ich, Eduard,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[88/0098] viel verhaltener Wortſchwall in einem nicht zum Zweck und auf die Kanzel gekommenen Kandidaten der Theologie ſtecken können? Da, ſitze ſtill und gucke in die ſchöne Gegend und auf die Heimathsgefilde und laß mich mir endlich mal Luft machen! einem Menſchen gegenüber Luft machen, der nicht da unten in das alte Neſt hineingehört, ſondern der morgen ſchon wieder auf dem Wege nach dem unterſten Ende vom allerunterſten Südafrika iſt, alſo nicht die Geſchichte vom Stopfkuchen und ſeiner rothen Schanze in ſein nachbarliches Ehebett und in ſeine Stamm-Kneipe weiterträgt.“ „Ich ſage gar nichts mehr, bis Du ſelbſt mich dazu aufforderſt, oder bis Deine liebe Frau es wünſcht.“ „Schön, lieber Junge! Damit thuſt Du mir eine wahre Wohlthat an. Alſo kommen wir zuerſt zu der Schickſalskugel an Rendanten Schaumanns Hauſe. Allein that ſie es natürlich nicht. Es hatte ſich im Hauſe auch ein alter Schmöker erhalten. Meine Mutter hatte ihn jahrelang benutzt, um einem wackelnden Schrank den mangelnden vierten Fuß unter- zuſchieben. Der half mir weiter. Nicht der Schrank, ſondern der Schmöker! Es war ein Lokalprodukt, das die Geſchichte der Belagerung unſerer ſüßen Kind- heitswiege durch den Prinzen Xaver von Sachſen, wenn nicht wahr, ſo doch für ein Kindergemüth um ein Bedeutendes deutlicher ausmalte. Den Klaſſiker zog ich unter dem Schranke vor, den las ich lieber als den Cornelius Nepos, und von dem aus kam ich, Eduard,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Wilhelm Raabes "Stopfkuchen. Eine See- und Mordge… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/98
Zitationshilfe: Raabe, Wilhelm: Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte. Berlin, 1891, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/raabe_stopfkuchen_1891/98>, abgerufen am 24.11.2024.