[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.Vorbericht. die Tugend, die er andre lehrt, für den einzigenGrund des wahren Glücks halten. Das Ehrwür- dige der Religion muß seine ganze Seele erfüllen. Nach der Religion muß ihm der Thron des Für- sten, und das Ansehen der Obern das Heiligste seyn. Die Religion und den Fürsten zu beleidigen, ist ihm der schrecklichste Gedanke. Er liebet seinen Mit- bürger aufrichtig. Jst dieser lasterhaft, so liebt er den Mitbürger doch, und verabscheut den Lasterhaften. Die Laster wird er tadeln, ohne der öffentlichen Be- schimpfung die Person desjenigen auszustellen, wel- cher lasterhaft ist, und noch tugendhaft werden kann. Er muß eine edle Freude empfinden, wenn er sieht, daß sein Spott dem Vaterlande einen guten Bür- ger erhält, und einen andern zwingt, daß er auf- höre, lächerlich und lasterhaft zu seyn. Er muß die Welt und das ganze Herz der Menschen, aber vor allen Dingen muß er sich selbst kennen. Er muß liebreich seyn, wenn er bitter ist. Er muß mit ei- ner ernsthaften Vorsicht dasjenige wohl überlegen, was er in einen scherzhaften Vortrag einkleiden will. Mit einem Worte; er muß ein rechtschaffner Mann seyn! Wären alle Satyrenschreiber dieses, wie sie es rer
Vorbericht. die Tugend, die er andre lehrt, fuͤr den einzigenGrund des wahren Gluͤcks halten. Das Ehrwuͤr- dige der Religion muß ſeine ganze Seele erfuͤllen. Nach der Religion muß ihm der Thron des Fuͤr- ſten, und das Anſehen der Obern das Heiligſte ſeyn. Die Religion und den Fuͤrſten zu beleidigen, iſt ihm der ſchrecklichſte Gedanke. Er liebet ſeinen Mit- buͤrger aufrichtig. Jſt dieſer laſterhaft, ſo liebt er den Mitbuͤrger doch, und verabſcheut den Laſterhaften. Die Laſter wird er tadeln, ohne der oͤffentlichen Be- ſchimpfung die Perſon desjenigen auszuſtellen, wel- cher laſterhaft iſt, und noch tugendhaft werden kann. Er muß eine edle Freude empfinden, wenn er ſieht, daß ſein Spott dem Vaterlande einen guten Buͤr- ger erhaͤlt, und einen andern zwingt, daß er auf- hoͤre, laͤcherlich und laſterhaft zu ſeyn. Er muß die Welt und das ganze Herz der Menſchen, aber vor allen Dingen muß er ſich ſelbſt kennen. Er muß liebreich ſeyn, wenn er bitter iſt. Er muß mit ei- ner ernſthaften Vorſicht dasjenige wohl uͤberlegen, was er in einen ſcherzhaften Vortrag einkleiden will. Mit einem Worte; er muß ein rechtſchaffner Mann ſeyn! Waͤren alle Satyrenſchreiber dieſes, wie ſie es rer
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Vorbericht.
die Tugend, die er andre lehrt, fuͤr den einzigen
Grund des wahren Gluͤcks halten. Das Ehrwuͤr-
dige der Religion muß ſeine ganze Seele erfuͤllen.
Nach der Religion muß ihm der Thron des Fuͤr-
ſten, und das Anſehen der Obern das Heiligſte ſeyn.
Die Religion und den Fuͤrſten zu beleidigen, iſt ihm
der ſchrecklichſte Gedanke. Er liebet ſeinen Mit-
buͤrger aufrichtig. Jſt dieſer laſterhaft, ſo liebt er den
Mitbuͤrger doch, und verabſcheut den Laſterhaften.
Die Laſter wird er tadeln, ohne der oͤffentlichen Be-
ſchimpfung die Perſon desjenigen auszuſtellen, wel-
cher laſterhaft iſt, und noch tugendhaft werden kann.
Er muß eine edle Freude empfinden, wenn er ſieht,
daß ſein Spott dem Vaterlande einen guten Buͤr-
ger erhaͤlt, und einen andern zwingt, daß er auf-
hoͤre, laͤcherlich und laſterhaft zu ſeyn. Er muß die
Welt und das ganze Herz der Menſchen, aber vor
allen Dingen muß er ſich ſelbſt kennen. Er muß
liebreich ſeyn, wenn er bitter iſt. Er muß mit ei-
ner ernſthaften Vorſicht dasjenige wohl uͤberlegen,
was er in einen ſcherzhaften Vortrag einkleiden will.
Mit einem Worte; er muß ein rechtſchaffner Mann
ſeyn!
Waͤren alle Satyrenſchreiber dieſes, wie ſie es
alle ſeyn ſollten, ſo glaube ich gewiß, die meiſten ih-
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