[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.Trauerrede Gelegenheit mit Verwunderung gehört, wie auf-merksam sie in der Kirche gewesen war. Jhre Be- redsamkeit war erstaunend, wenn sie den Jnnhalt desjenigen beurtheilte, was an heiliger Stäte gere- det worden war. Sie machte die ganze Gesellschaft dadurch aufgeräumt, und hätte wegen ihrer witzigen Spötterey billig den Namen eines starken Geistes verdient, wenn sie eine Mannsperson gewesen wäre. Die reichste Materie wird endlich erschöpft, und die Ordnung der Gedanken führte meine strenge Rich- terinn auf die andern Personen, welche zugegen ge- wesen waren. Es schien etwas übernatürliches zu seyn, wenn man sie die geheimsten Nachrichten ihrer Nachbarn erzählen hörte. Sie erklärte die verstohl- nen Blicke jener Freundinn, welche die Eifersucht ih- res Mannes so behutsam gewöhnt hatte. Sie wußte von dem Fächer eines Frauenzimmers, welches ihr gegen über gesessen, einen weitläuftigen Roman zu erzählen, und schwur, daß vier wohlhabende Män- ner vergebens seufzten. Sie stellte ihren Feinden mit einer ungemeinen Zuversicht die Nativität, wobey sie mit vieler Wahrscheinlichkeit anzeigte, warum es dieser oder jener unglücklich gehen müßte. Der sündliche Hochmuth einer Frau, welche ihr acht Ta- ge vorher den Rang streitig gemacht, war die ein- zige Ursache, warum sie der Himmel zween Tage darauf augenscheinlich gezüchtigt, und durch einen Verlust gedemüthigt hatte, welchen ihr Mann in seiner Nahrung erlitten. Jedes Strafurtheil, das sie fällte, endigte sich mit dem christlichen Seufzer; sie wolle niemanden nichts Böses nachgeredet haben. Nun-
Trauerrede Gelegenheit mit Verwunderung gehoͤrt, wie auf-merkſam ſie in der Kirche geweſen war. Jhre Be- redſamkeit war erſtaunend, wenn ſie den Jnnhalt desjenigen beurtheilte, was an heiliger Staͤte gere- det worden war. Sie machte die ganze Geſellſchaft dadurch aufgeraͤumt, und haͤtte wegen ihrer witzigen Spoͤtterey billig den Namen eines ſtarken Geiſtes verdient, wenn ſie eine Mannsperſon geweſen waͤre. Die reichſte Materie wird endlich erſchoͤpft, und die Ordnung der Gedanken fuͤhrte meine ſtrenge Rich- terinn auf die andern Perſonen, welche zugegen ge- weſen waren. Es ſchien etwas uͤbernatuͤrliches zu ſeyn, wenn man ſie die geheimſten Nachrichten ihrer Nachbarn erzaͤhlen hoͤrte. Sie erklaͤrte die verſtohl- nen Blicke jener Freundinn, welche die Eiferſucht ih- res Mannes ſo behutſam gewoͤhnt hatte. Sie wußte von dem Faͤcher eines Frauenzimmers, welches ihr gegen uͤber geſeſſen, einen weitlaͤuftigen Roman zu erzaͤhlen, und ſchwur, daß vier wohlhabende Maͤn- ner vergebens ſeufzten. Sie ſtellte ihren Feinden mit einer ungemeinen Zuverſicht die Nativitaͤt, wobey ſie mit vieler Wahrſcheinlichkeit anzeigte, warum es dieſer oder jener ungluͤcklich gehen muͤßte. Der ſuͤndliche Hochmuth einer Frau, welche ihr acht Ta- ge vorher den Rang ſtreitig gemacht, war die ein- zige Urſache, warum ſie der Himmel zween Tage darauf augenſcheinlich gezuͤchtigt, und durch einen Verluſt gedemuͤthigt hatte, welchen ihr Mann in ſeiner Nahrung erlitten. Jedes Strafurtheil, das ſie faͤllte, endigte ſich mit dem chriſtlichen Seufzer; ſie wolle niemanden nichts Boͤſes nachgeredet haben. Nun-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0156" n="82"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Trauerrede</hi></fw><lb/> Gelegenheit mit Verwunderung gehoͤrt, wie auf-<lb/> merkſam ſie in der Kirche geweſen war. Jhre Be-<lb/> redſamkeit war erſtaunend, wenn ſie den Jnnhalt<lb/> desjenigen beurtheilte, was an heiliger Staͤte gere-<lb/> det worden war. Sie machte die ganze Geſellſchaft<lb/> dadurch aufgeraͤumt, und haͤtte wegen ihrer witzigen<lb/> Spoͤtterey billig den Namen eines ſtarken Geiſtes<lb/> verdient, wenn ſie eine Mannsperſon geweſen waͤre.<lb/> Die reichſte Materie wird endlich erſchoͤpft, und die<lb/> Ordnung der Gedanken fuͤhrte meine ſtrenge Rich-<lb/> terinn auf die andern Perſonen, welche zugegen ge-<lb/> weſen waren. Es ſchien etwas uͤbernatuͤrliches zu<lb/> ſeyn, wenn man ſie die geheimſten Nachrichten ihrer<lb/> Nachbarn erzaͤhlen hoͤrte. Sie erklaͤrte die verſtohl-<lb/> nen Blicke jener Freundinn, welche die Eiferſucht ih-<lb/> res Mannes ſo behutſam gewoͤhnt hatte. Sie wußte<lb/> von dem Faͤcher eines Frauenzimmers, welches ihr<lb/> gegen uͤber geſeſſen, einen weitlaͤuftigen Roman zu<lb/> erzaͤhlen, und ſchwur, daß vier wohlhabende Maͤn-<lb/> ner vergebens ſeufzten. Sie ſtellte ihren Feinden mit<lb/> einer ungemeinen Zuverſicht die Nativitaͤt, wobey<lb/> ſie mit vieler Wahrſcheinlichkeit anzeigte, warum es<lb/> dieſer oder jener ungluͤcklich gehen muͤßte. Der<lb/> ſuͤndliche Hochmuth einer Frau, welche ihr acht Ta-<lb/> ge vorher den Rang ſtreitig gemacht, war die ein-<lb/> zige Urſache, warum ſie der Himmel zween Tage<lb/> darauf augenſcheinlich gezuͤchtigt, und durch einen<lb/> Verluſt gedemuͤthigt hatte, welchen ihr Mann in<lb/> ſeiner Nahrung erlitten. Jedes Strafurtheil, das<lb/> ſie faͤllte, endigte ſich mit dem chriſtlichen Seufzer;<lb/> ſie wolle niemanden nichts Boͤſes nachgeredet haben.</p><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Nun-</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [82/0156]
Trauerrede
Gelegenheit mit Verwunderung gehoͤrt, wie auf-
merkſam ſie in der Kirche geweſen war. Jhre Be-
redſamkeit war erſtaunend, wenn ſie den Jnnhalt
desjenigen beurtheilte, was an heiliger Staͤte gere-
det worden war. Sie machte die ganze Geſellſchaft
dadurch aufgeraͤumt, und haͤtte wegen ihrer witzigen
Spoͤtterey billig den Namen eines ſtarken Geiſtes
verdient, wenn ſie eine Mannsperſon geweſen waͤre.
Die reichſte Materie wird endlich erſchoͤpft, und die
Ordnung der Gedanken fuͤhrte meine ſtrenge Rich-
terinn auf die andern Perſonen, welche zugegen ge-
weſen waren. Es ſchien etwas uͤbernatuͤrliches zu
ſeyn, wenn man ſie die geheimſten Nachrichten ihrer
Nachbarn erzaͤhlen hoͤrte. Sie erklaͤrte die verſtohl-
nen Blicke jener Freundinn, welche die Eiferſucht ih-
res Mannes ſo behutſam gewoͤhnt hatte. Sie wußte
von dem Faͤcher eines Frauenzimmers, welches ihr
gegen uͤber geſeſſen, einen weitlaͤuftigen Roman zu
erzaͤhlen, und ſchwur, daß vier wohlhabende Maͤn-
ner vergebens ſeufzten. Sie ſtellte ihren Feinden mit
einer ungemeinen Zuverſicht die Nativitaͤt, wobey
ſie mit vieler Wahrſcheinlichkeit anzeigte, warum es
dieſer oder jener ungluͤcklich gehen muͤßte. Der
ſuͤndliche Hochmuth einer Frau, welche ihr acht Ta-
ge vorher den Rang ſtreitig gemacht, war die ein-
zige Urſache, warum ſie der Himmel zween Tage
darauf augenſcheinlich gezuͤchtigt, und durch einen
Verluſt gedemuͤthigt hatte, welchen ihr Mann in
ſeiner Nahrung erlitten. Jedes Strafurtheil, das
ſie faͤllte, endigte ſich mit dem chriſtlichen Seufzer;
ſie wolle niemanden nichts Boͤſes nachgeredet haben.
Nun-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |