Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

und Wissenschaften.
"in etwas bekannt machen sollen; wenn er sie auch
"allenfalls nicht besser gelernt hätte, als die deut-
"sche? Wie viel brauchen wir lateinische, und grie-
"chische Sprachmeister? Jch tadle deswegen nicht
"an ihm, daß er lateinisch, und griechisch gelernt
"hat. Dieses muß seyn, und ein Gelehrter, der es
"nicht kann, kömmt mir eben so abgeschmackt vor,
"als er, da er seine Muttersprache nicht besser ver-
"steht. Was glaubt er wohl, daß ich mit meinem
"Schneider anfangen sollte, wenn er nichts arbei-
"ten könnte, als solche Kleider, wie sie Seneca,
"und Sokrates getragen haben? Würde der Kerl
"nicht Hungers sterben müssen, wenn er sonst nichts
"gelernt hätte? Mit seiner Redekunst lockt er kei-
"nen Hund aus dem Ofen, geschweige, daß er die
"Gemüther der Zuhörer rühren sollte, und seine
"ganze Logik besteht aus Worten ohne Gedanken.
"Hat ihm denn niemand auf der Schule gesagt, wie
"unentbehrlich es heutiges Tages sey, daß man die
"sogenannten gelehrten Sprachen und Künste, mit
"den neuern Wissenschaften verknüpfe?" Jch
konnte dieses nicht läugnen. Jch gestund, daß ei-
nige meiner Lehrer mich deswegen vielmals getadelt,
und mir meine Bemühungen, als unnütze, vorgewor-
fen hätten. Jch sagte aber auch, daß andre mei-
nen Eifer aufgemuntert, und mir mit großer Zu-
versicht prophezeihet hätten, ich würde dereinst die
Zierde ihrer Schule, eine Brustwehr wider die ein-
reißende Barbarey und eine Stütze des Vaterlan-
des seyn. Er schüttelte den Kopf, und ließ mich
mit vielen derben Vermahnungen von sich gehen.

Wie
H 2

und Wiſſenſchaften.
„in etwas bekannt machen ſollen; wenn er ſie auch
„allenfalls nicht beſſer gelernt haͤtte, als die deut-
„ſche? Wie viel brauchen wir lateiniſche, und grie-
„chiſche Sprachmeiſter? Jch tadle deswegen nicht
„an ihm, daß er lateiniſch, und griechiſch gelernt
„hat. Dieſes muß ſeyn, und ein Gelehrter, der es
„nicht kann, koͤmmt mir eben ſo abgeſchmackt vor,
„als er, da er ſeine Mutterſprache nicht beſſer ver-
„ſteht. Was glaubt er wohl, daß ich mit meinem
„Schneider anfangen ſollte, wenn er nichts arbei-
„ten koͤnnte, als ſolche Kleider, wie ſie Seneca,
„und Sokrates getragen haben? Wuͤrde der Kerl
„nicht Hungers ſterben muͤſſen, wenn er ſonſt nichts
„gelernt haͤtte? Mit ſeiner Redekunſt lockt er kei-
„nen Hund aus dem Ofen, geſchweige, daß er die
„Gemuͤther der Zuhoͤrer ruͤhren ſollte, und ſeine
„ganze Logik beſteht aus Worten ohne Gedanken.
„Hat ihm denn niemand auf der Schule geſagt, wie
„unentbehrlich es heutiges Tages ſey, daß man die
„ſogenannten gelehrten Sprachen und Kuͤnſte, mit
„den neuern Wiſſenſchaften verknuͤpfe?“ Jch
konnte dieſes nicht laͤugnen. Jch geſtund, daß ei-
nige meiner Lehrer mich deswegen vielmals getadelt,
und mir meine Bemuͤhungen, als unnuͤtze, vorgewor-
fen haͤtten. Jch ſagte aber auch, daß andre mei-
nen Eifer aufgemuntert, und mir mit großer Zu-
verſicht prophezeihet haͤtten, ich wuͤrde dereinſt die
Zierde ihrer Schule, eine Bruſtwehr wider die ein-
reißende Barbarey und eine Stuͤtze des Vaterlan-
des ſeyn. Er ſchuͤttelte den Kopf, und ließ mich
mit vielen derben Vermahnungen von ſich gehen.

Wie
H 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0189" n="115"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften.</hi></fw><lb/>
&#x201E;in etwas bekannt machen &#x017F;ollen; wenn er &#x017F;ie auch<lb/>
&#x201E;allenfalls nicht be&#x017F;&#x017F;er gelernt ha&#x0364;tte, als die deut-<lb/>
&#x201E;&#x017F;che? Wie viel brauchen wir lateini&#x017F;che, und grie-<lb/>
&#x201E;chi&#x017F;che Sprachmei&#x017F;ter? Jch tadle deswegen nicht<lb/>
&#x201E;an ihm, daß er lateini&#x017F;ch, und griechi&#x017F;ch gelernt<lb/>
&#x201E;hat. Die&#x017F;es muß &#x017F;eyn, und ein Gelehrter, der es<lb/>
&#x201E;nicht kann, ko&#x0364;mmt mir eben &#x017F;o abge&#x017F;chmackt vor,<lb/>
&#x201E;als er, da er &#x017F;eine Mutter&#x017F;prache nicht be&#x017F;&#x017F;er ver-<lb/>
&#x201E;&#x017F;teht. Was glaubt er wohl, daß ich mit meinem<lb/>
&#x201E;Schneider anfangen &#x017F;ollte, wenn er nichts arbei-<lb/>
&#x201E;ten ko&#x0364;nnte, als &#x017F;olche Kleider, wie &#x017F;ie Seneca,<lb/>
&#x201E;und Sokrates getragen haben? Wu&#x0364;rde der Kerl<lb/>
&#x201E;nicht Hungers &#x017F;terben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, wenn er &#x017F;on&#x017F;t nichts<lb/>
&#x201E;gelernt ha&#x0364;tte? Mit &#x017F;einer Redekun&#x017F;t lockt er kei-<lb/>
&#x201E;nen Hund aus dem Ofen, ge&#x017F;chweige, daß er die<lb/>
&#x201E;Gemu&#x0364;ther der Zuho&#x0364;rer ru&#x0364;hren &#x017F;ollte, und &#x017F;eine<lb/>
&#x201E;ganze Logik be&#x017F;teht aus Worten ohne Gedanken.<lb/>
&#x201E;Hat ihm denn niemand auf der Schule ge&#x017F;agt, wie<lb/>
&#x201E;unentbehrlich es heutiges Tages &#x017F;ey, daß man die<lb/>
&#x201E;&#x017F;ogenannten gelehrten Sprachen und Ku&#x0364;n&#x017F;te, mit<lb/>
&#x201E;den neuern Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften verknu&#x0364;pfe?&#x201C; Jch<lb/>
konnte die&#x017F;es nicht la&#x0364;ugnen. Jch ge&#x017F;tund, daß ei-<lb/>
nige meiner Lehrer mich deswegen vielmals getadelt,<lb/>
und mir meine Bemu&#x0364;hungen, als unnu&#x0364;tze, vorgewor-<lb/>
fen ha&#x0364;tten. Jch &#x017F;agte aber auch, daß andre mei-<lb/>
nen Eifer aufgemuntert, und mir mit großer Zu-<lb/>
ver&#x017F;icht prophezeihet ha&#x0364;tten, ich wu&#x0364;rde derein&#x017F;t die<lb/>
Zierde ihrer Schule, eine Bru&#x017F;twehr wider die ein-<lb/>
reißende Barbarey und eine Stu&#x0364;tze des Vaterlan-<lb/>
des &#x017F;eyn. Er &#x017F;chu&#x0364;ttelte den Kopf, und ließ mich<lb/>
mit vielen derben Vermahnungen von &#x017F;ich gehen.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">H 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Wie</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0189] und Wiſſenſchaften. „in etwas bekannt machen ſollen; wenn er ſie auch „allenfalls nicht beſſer gelernt haͤtte, als die deut- „ſche? Wie viel brauchen wir lateiniſche, und grie- „chiſche Sprachmeiſter? Jch tadle deswegen nicht „an ihm, daß er lateiniſch, und griechiſch gelernt „hat. Dieſes muß ſeyn, und ein Gelehrter, der es „nicht kann, koͤmmt mir eben ſo abgeſchmackt vor, „als er, da er ſeine Mutterſprache nicht beſſer ver- „ſteht. Was glaubt er wohl, daß ich mit meinem „Schneider anfangen ſollte, wenn er nichts arbei- „ten koͤnnte, als ſolche Kleider, wie ſie Seneca, „und Sokrates getragen haben? Wuͤrde der Kerl „nicht Hungers ſterben muͤſſen, wenn er ſonſt nichts „gelernt haͤtte? Mit ſeiner Redekunſt lockt er kei- „nen Hund aus dem Ofen, geſchweige, daß er die „Gemuͤther der Zuhoͤrer ruͤhren ſollte, und ſeine „ganze Logik beſteht aus Worten ohne Gedanken. „Hat ihm denn niemand auf der Schule geſagt, wie „unentbehrlich es heutiges Tages ſey, daß man die „ſogenannten gelehrten Sprachen und Kuͤnſte, mit „den neuern Wiſſenſchaften verknuͤpfe?“ Jch konnte dieſes nicht laͤugnen. Jch geſtund, daß ei- nige meiner Lehrer mich deswegen vielmals getadelt, und mir meine Bemuͤhungen, als unnuͤtze, vorgewor- fen haͤtten. Jch ſagte aber auch, daß andre mei- nen Eifer aufgemuntert, und mir mit großer Zu- verſicht prophezeihet haͤtten, ich wuͤrde dereinſt die Zierde ihrer Schule, eine Bruſtwehr wider die ein- reißende Barbarey und eine Stuͤtze des Vaterlan- des ſeyn. Er ſchuͤttelte den Kopf, und ließ mich mit vielen derben Vermahnungen von ſich gehen. Wie H 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/189
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/189>, abgerufen am 21.11.2024.