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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Es ist in Gesellschaften nichts gewöhnlicher, als
daß einer den andern mit beständigen Erzäh-
lungen von sich selbst, und seinen Fähigkeiten
unterhält. Wir sind uns die nächsten; und weil
wir schuldig sind, von unserm Nächsten alles gutes
zu reden, so glauben wir, es erfodere die natürliche
Pflicht, uns selbst zu loben. Jch will die wahrhaf-
ten Ursachen dieser thörichten Eigenliebe nicht unter-
suchen; weil ich nicht gesonnen bin, mir auch nach
meinem Tode Feinde zu machen. Jch führe solches
nur um deswillen an, damit ich mein gegenwärtiges
Vorhaben einigermaaßen rechtfertige. Bezeigst du
so viel Geduld, andre anzuhören, welche sich bey le-
bendigen Leibe rühmen: So gönne mir deine Auf-
merksamkeit, wenn ich dir nach meinem Tode sage,
wer ich gewesen bin. Das habe ich mit andern
Menschen gemein, daß ich meinem Namen die Un-
sterblichkeit wünsche, wenn auch gleich der Körper
verwesen muß. Wolltest du mir aber verwehren,
meinen Lebenslauf zu erzählen: So würde ich vor
vielen unglücklich seyn, an deren Verdienste man
wenigstens so lange gedenkt, als die Erbtheilung
währt. Die Liebe zur Wahrheit hat mich in so
geringe Umstände gesetzt, daß meinen Tod beynahe
niemand, als der Leichenschreiber, erfahren hat.
Hätte ich ein ansehnliches Vermögen besessen, so
würden meine schmerzlichbetrübten Erben durch eine
verhüllte Frau der ganzen Stadt haben ansagen

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Es iſt in Geſellſchaften nichts gewoͤhnlicher, als
daß einer den andern mit beſtaͤndigen Erzaͤh-
lungen von ſich ſelbſt, und ſeinen Faͤhigkeiten
unterhaͤlt. Wir ſind uns die naͤchſten; und weil
wir ſchuldig ſind, von unſerm Naͤchſten alles gutes
zu reden, ſo glauben wir, es erfodere die natuͤrliche
Pflicht, uns ſelbſt zu loben. Jch will die wahrhaf-
ten Urſachen dieſer thoͤrichten Eigenliebe nicht unter-
ſuchen; weil ich nicht geſonnen bin, mir auch nach
meinem Tode Feinde zu machen. Jch fuͤhre ſolches
nur um deswillen an, damit ich mein gegenwaͤrtiges
Vorhaben einigermaaßen rechtfertige. Bezeigſt du
ſo viel Geduld, andre anzuhoͤren, welche ſich bey le-
bendigen Leibe ruͤhmen: So goͤnne mir deine Auf-
merkſamkeit, wenn ich dir nach meinem Tode ſage,
wer ich geweſen bin. Das habe ich mit andern
Menſchen gemein, daß ich meinem Namen die Un-
ſterblichkeit wuͤnſche, wenn auch gleich der Koͤrper
verweſen muß. Wollteſt du mir aber verwehren,
meinen Lebenslauf zu erzaͤhlen: So wuͤrde ich vor
vielen ungluͤcklich ſeyn, an deren Verdienſte man
wenigſtens ſo lange gedenkt, als die Erbtheilung
waͤhrt. Die Liebe zur Wahrheit hat mich in ſo
geringe Umſtaͤnde geſetzt, daß meinen Tod beynahe
niemand, als der Leichenſchreiber, erfahren hat.
Haͤtte ich ein anſehnliches Vermoͤgen beſeſſen, ſo
wuͤrden meine ſchmerzlichbetruͤbten Erben durch eine
verhuͤllte Frau der ganzen Stadt haben anſagen

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[121/0195] Es iſt in Geſellſchaften nichts gewoͤhnlicher, als daß einer den andern mit beſtaͤndigen Erzaͤh- lungen von ſich ſelbſt, und ſeinen Faͤhigkeiten unterhaͤlt. Wir ſind uns die naͤchſten; und weil wir ſchuldig ſind, von unſerm Naͤchſten alles gutes zu reden, ſo glauben wir, es erfodere die natuͤrliche Pflicht, uns ſelbſt zu loben. Jch will die wahrhaf- ten Urſachen dieſer thoͤrichten Eigenliebe nicht unter- ſuchen; weil ich nicht geſonnen bin, mir auch nach meinem Tode Feinde zu machen. Jch fuͤhre ſolches nur um deswillen an, damit ich mein gegenwaͤrtiges Vorhaben einigermaaßen rechtfertige. Bezeigſt du ſo viel Geduld, andre anzuhoͤren, welche ſich bey le- bendigen Leibe ruͤhmen: So goͤnne mir deine Auf- merkſamkeit, wenn ich dir nach meinem Tode ſage, wer ich geweſen bin. Das habe ich mit andern Menſchen gemein, daß ich meinem Namen die Un- ſterblichkeit wuͤnſche, wenn auch gleich der Koͤrper verweſen muß. Wollteſt du mir aber verwehren, meinen Lebenslauf zu erzaͤhlen: So wuͤrde ich vor vielen ungluͤcklich ſeyn, an deren Verdienſte man wenigſtens ſo lange gedenkt, als die Erbtheilung waͤhrt. Die Liebe zur Wahrheit hat mich in ſo geringe Umſtaͤnde geſetzt, daß meinen Tod beynahe niemand, als der Leichenſchreiber, erfahren hat. Haͤtte ich ein anſehnliches Vermoͤgen beſeſſen, ſo wuͤrden meine ſchmerzlichbetruͤbten Erben durch eine verhuͤllte Frau der ganzen Stadt haben anſagen laſ- H 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/195>, abgerufen am 24.11.2024.