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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Lebenslauf
lassen, daß ihr Herr Vetter in Gott selig verschieden
sey; oder ich würde mir noch auf meinem Todbet-
te einen glaubwürdigen Redner haben miethen kön-
nen, welcher der christlichen Gemeine die ewige
Wahrheit bewiesen hätte, daß unter allen erschreck-
lichen der Tod das erschrecklichste, und meine tu-
gendhafte Seele noch viel zu frühzeitig aus ihrem
drey und sechzig jährigen Körper gefahren sey. Al-
lein, meine Armuth hat mir nicht verstattet, einen
so prächtigen Abschied aus der Welt zu nehmen.
Jch bin gestorben, als ein Märtyrer der Wahrheit,
das ist, arm und unbeweint; und wenn die Nach-
welt etwas von mir erfahren soll, so muß ich ihr sol-
ches selbst sagen.

Daß ich im Jahre 1674, den 17 September, zu
Mühlberg, einem Städtchen an der Elbe, geboren
bin, solches scheint kein Umstand von besondrer
Wichtigkeit zu seyn, und ich kann eben so wenig da-
für, als es ohne mein Verschulden geschehen ist, daß
mein Vater nicht ein Hochedelgebohrner, Hochedler,
Vester, und Hochgelahrter Erb-Lehn- und Gerichts-
herr auf drey Rittergütern, sondern nur, wenn ich
anders der Erzählung meiner Mutter glauben darf,
Meister Lollinger, Bürger und Schneider daselbst,
gewesen ist. Jch brachte zwo Zähne mit auf die
Welt, und lernte gleich im ersten Jahre reden, und
schon im andern war ich vermögend, durch mein
Plaudern Vater und Mutter zu übertäuben. Mei-
ne Aeltern hielten dieses für eine vergnügte Vorbe-

deu-

Lebenslauf
laſſen, daß ihr Herr Vetter in Gott ſelig verſchieden
ſey; oder ich wuͤrde mir noch auf meinem Todbet-
te einen glaubwuͤrdigen Redner haben miethen koͤn-
nen, welcher der chriſtlichen Gemeine die ewige
Wahrheit bewieſen haͤtte, daß unter allen erſchreck-
lichen der Tod das erſchrecklichſte, und meine tu-
gendhafte Seele noch viel zu fruͤhzeitig aus ihrem
drey und ſechzig jaͤhrigen Koͤrper gefahren ſey. Al-
lein, meine Armuth hat mir nicht verſtattet, einen
ſo praͤchtigen Abſchied aus der Welt zu nehmen.
Jch bin geſtorben, als ein Maͤrtyrer der Wahrheit,
das iſt, arm und unbeweint; und wenn die Nach-
welt etwas von mir erfahren ſoll, ſo muß ich ihr ſol-
ches ſelbſt ſagen.

Daß ich im Jahre 1674, den 17 September, zu
Muͤhlberg, einem Staͤdtchen an der Elbe, geboren
bin, ſolches ſcheint kein Umſtand von beſondrer
Wichtigkeit zu ſeyn, und ich kann eben ſo wenig da-
fuͤr, als es ohne mein Verſchulden geſchehen iſt, daß
mein Vater nicht ein Hochedelgebohrner, Hochedler,
Veſter, und Hochgelahrter Erb-Lehn- und Gerichts-
herr auf drey Ritterguͤtern, ſondern nur, wenn ich
anders der Erzaͤhlung meiner Mutter glauben darf,
Meiſter Lollinger, Buͤrger und Schneider daſelbſt,
geweſen iſt. Jch brachte zwo Zaͤhne mit auf die
Welt, und lernte gleich im erſten Jahre reden, und
ſchon im andern war ich vermoͤgend, durch mein
Plaudern Vater und Mutter zu uͤbertaͤuben. Mei-
ne Aeltern hielten dieſes fuͤr eine vergnuͤgte Vorbe-

deu-
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[122/0196] Lebenslauf laſſen, daß ihr Herr Vetter in Gott ſelig verſchieden ſey; oder ich wuͤrde mir noch auf meinem Todbet- te einen glaubwuͤrdigen Redner haben miethen koͤn- nen, welcher der chriſtlichen Gemeine die ewige Wahrheit bewieſen haͤtte, daß unter allen erſchreck- lichen der Tod das erſchrecklichſte, und meine tu- gendhafte Seele noch viel zu fruͤhzeitig aus ihrem drey und ſechzig jaͤhrigen Koͤrper gefahren ſey. Al- lein, meine Armuth hat mir nicht verſtattet, einen ſo praͤchtigen Abſchied aus der Welt zu nehmen. Jch bin geſtorben, als ein Maͤrtyrer der Wahrheit, das iſt, arm und unbeweint; und wenn die Nach- welt etwas von mir erfahren ſoll, ſo muß ich ihr ſol- ches ſelbſt ſagen. Daß ich im Jahre 1674, den 17 September, zu Muͤhlberg, einem Staͤdtchen an der Elbe, geboren bin, ſolches ſcheint kein Umſtand von beſondrer Wichtigkeit zu ſeyn, und ich kann eben ſo wenig da- fuͤr, als es ohne mein Verſchulden geſchehen iſt, daß mein Vater nicht ein Hochedelgebohrner, Hochedler, Veſter, und Hochgelahrter Erb-Lehn- und Gerichts- herr auf drey Ritterguͤtern, ſondern nur, wenn ich anders der Erzaͤhlung meiner Mutter glauben darf, Meiſter Lollinger, Buͤrger und Schneider daſelbſt, geweſen iſt. Jch brachte zwo Zaͤhne mit auf die Welt, und lernte gleich im erſten Jahre reden, und ſchon im andern war ich vermoͤgend, durch mein Plaudern Vater und Mutter zu uͤbertaͤuben. Mei- ne Aeltern hielten dieſes fuͤr eine vergnuͤgte Vorbe- deu-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/196>, abgerufen am 21.11.2024.