Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

Lebenslauf
Respondenten; und weil ich ihm, zu mehrerer Si-
cherheit, seine Disputation ins Deutsche übersetzen
mußte, so versprach er mir zur Vergeltung ein an-
sehnliches, welches er aber noch an demselben Abende
verspielte, und mich auf seine bevorstehende Heirath
vertröstete. Mein Stubennachbar erlernte die
Medicin, gieng aber lieber mit fleischigten Körpern,
als ekelhaften Gerippen, um, und verfluchte den
abgeschmackten Eigensinn seiner Lehrer, welche ihn
mit so vielen griechischen Wörtern martern woll-
ten. Diese und hundert dergleichen thörichte Exem-
pel fielen mir täglich in die Augen; und ich sollte
schweigen? Und ich sollte die Wahrheit nicht re-
den? Jch that mir alle Gewalt an, meinen Schwur
nicht zu brechen, und manche, die einen schönen Ge-
danken, oder artigen Einfall haben, solchen aber
nicht an den Mann bringen können, empfinden das
innerliche Nagen und den unruhigen Schmerz lan-
ge nicht so sehr, als ich ihn dazumal empfand.
Endlich überwand die Natur allen Zwang. Jch
sagte es ungescheut, daß das Verfahren der mei-
sten meiner Mitschüler unverantwortlich und un-
sinnig wäre. Bey aller Gelegenheit stellte ich ih-
nen ihre Thorheit so wohl ernsthaft, als lächerlich,
vor. Jch schilderte zu verschiednenmalen nicht al-
lein die Laster, sondern auch die Personen, auf
eine satyrische Art in Versen ab; und wenn ich die-
ses that, so empfand ich bey mir selbst eine doppelte
Wollust. Allein, meine Ehrlichkeit, mein Eifer
für die Wahrheit, meine billigsten Absichten wur-

den

Lebenslauf
Reſpondenten; und weil ich ihm, zu mehrerer Si-
cherheit, ſeine Diſputation ins Deutſche uͤberſetzen
mußte, ſo verſprach er mir zur Vergeltung ein an-
ſehnliches, welches er aber noch an demſelben Abende
verſpielte, und mich auf ſeine bevorſtehende Heirath
vertroͤſtete. Mein Stubennachbar erlernte die
Medicin, gieng aber lieber mit fleiſchigten Koͤrpern,
als ekelhaften Gerippen, um, und verfluchte den
abgeſchmackten Eigenſinn ſeiner Lehrer, welche ihn
mit ſo vielen griechiſchen Woͤrtern martern woll-
ten. Dieſe und hundert dergleichen thoͤrichte Exem-
pel fielen mir taͤglich in die Augen; und ich ſollte
ſchweigen? Und ich ſollte die Wahrheit nicht re-
den? Jch that mir alle Gewalt an, meinen Schwur
nicht zu brechen, und manche, die einen ſchoͤnen Ge-
danken, oder artigen Einfall haben, ſolchen aber
nicht an den Mann bringen koͤnnen, empfinden das
innerliche Nagen und den unruhigen Schmerz lan-
ge nicht ſo ſehr, als ich ihn dazumal empfand.
Endlich uͤberwand die Natur allen Zwang. Jch
ſagte es ungeſcheut, daß das Verfahren der mei-
ſten meiner Mitſchuͤler unverantwortlich und un-
ſinnig waͤre. Bey aller Gelegenheit ſtellte ich ih-
nen ihre Thorheit ſo wohl ernſthaft, als laͤcherlich,
vor. Jch ſchilderte zu verſchiednenmalen nicht al-
lein die Laſter, ſondern auch die Perſonen, auf
eine ſatyriſche Art in Verſen ab; und wenn ich die-
ſes that, ſo empfand ich bey mir ſelbſt eine doppelte
Wolluſt. Allein, meine Ehrlichkeit, mein Eifer
fuͤr die Wahrheit, meine billigſten Abſichten wur-

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0200" n="126"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Lebenslauf</hi></fw><lb/>
Re&#x017F;pondenten; und weil ich ihm, zu mehrerer Si-<lb/>
cherheit, &#x017F;eine Di&#x017F;putation ins Deut&#x017F;che u&#x0364;ber&#x017F;etzen<lb/>
mußte, &#x017F;o ver&#x017F;prach er mir zur Vergeltung ein an-<lb/>
&#x017F;ehnliches, welches er aber noch an dem&#x017F;elben Abende<lb/>
ver&#x017F;pielte, und mich auf &#x017F;eine bevor&#x017F;tehende Heirath<lb/>
vertro&#x0364;&#x017F;tete. Mein Stubennachbar erlernte die<lb/>
Medicin, gieng aber lieber mit flei&#x017F;chigten Ko&#x0364;rpern,<lb/>
als ekelhaften Gerippen, um, und verfluchte den<lb/>
abge&#x017F;chmackten Eigen&#x017F;inn &#x017F;einer Lehrer, welche ihn<lb/>
mit &#x017F;o vielen griechi&#x017F;chen Wo&#x0364;rtern martern woll-<lb/>
ten. Die&#x017F;e und hundert dergleichen tho&#x0364;richte Exem-<lb/>
pel fielen mir ta&#x0364;glich in die Augen; und ich &#x017F;ollte<lb/>
&#x017F;chweigen? Und ich &#x017F;ollte die Wahrheit nicht re-<lb/>
den? Jch that mir alle Gewalt an, meinen Schwur<lb/>
nicht zu brechen, und manche, die einen &#x017F;cho&#x0364;nen Ge-<lb/>
danken, oder artigen Einfall haben, &#x017F;olchen aber<lb/>
nicht an den Mann bringen ko&#x0364;nnen, empfinden das<lb/>
innerliche Nagen und den unruhigen Schmerz lan-<lb/>
ge nicht &#x017F;o &#x017F;ehr, als ich ihn dazumal empfand.<lb/>
Endlich u&#x0364;berwand die Natur allen Zwang. Jch<lb/>
&#x017F;agte es unge&#x017F;cheut, daß das Verfahren der mei-<lb/>
&#x017F;ten meiner Mit&#x017F;chu&#x0364;ler unverantwortlich und un-<lb/>
&#x017F;innig wa&#x0364;re. Bey aller Gelegenheit &#x017F;tellte ich ih-<lb/>
nen ihre Thorheit &#x017F;o wohl ern&#x017F;thaft, als la&#x0364;cherlich,<lb/>
vor. Jch &#x017F;childerte zu ver&#x017F;chiednenmalen nicht al-<lb/>
lein die La&#x017F;ter, &#x017F;ondern auch die Per&#x017F;onen, auf<lb/>
eine &#x017F;atyri&#x017F;che Art in Ver&#x017F;en ab; und wenn ich die-<lb/>
&#x017F;es that, &#x017F;o empfand ich bey mir &#x017F;elb&#x017F;t eine doppelte<lb/>
Wollu&#x017F;t. Allein, meine Ehrlichkeit, mein Eifer<lb/>
fu&#x0364;r die Wahrheit, meine billig&#x017F;ten Ab&#x017F;ichten wur-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0200] Lebenslauf Reſpondenten; und weil ich ihm, zu mehrerer Si- cherheit, ſeine Diſputation ins Deutſche uͤberſetzen mußte, ſo verſprach er mir zur Vergeltung ein an- ſehnliches, welches er aber noch an demſelben Abende verſpielte, und mich auf ſeine bevorſtehende Heirath vertroͤſtete. Mein Stubennachbar erlernte die Medicin, gieng aber lieber mit fleiſchigten Koͤrpern, als ekelhaften Gerippen, um, und verfluchte den abgeſchmackten Eigenſinn ſeiner Lehrer, welche ihn mit ſo vielen griechiſchen Woͤrtern martern woll- ten. Dieſe und hundert dergleichen thoͤrichte Exem- pel fielen mir taͤglich in die Augen; und ich ſollte ſchweigen? Und ich ſollte die Wahrheit nicht re- den? Jch that mir alle Gewalt an, meinen Schwur nicht zu brechen, und manche, die einen ſchoͤnen Ge- danken, oder artigen Einfall haben, ſolchen aber nicht an den Mann bringen koͤnnen, empfinden das innerliche Nagen und den unruhigen Schmerz lan- ge nicht ſo ſehr, als ich ihn dazumal empfand. Endlich uͤberwand die Natur allen Zwang. Jch ſagte es ungeſcheut, daß das Verfahren der mei- ſten meiner Mitſchuͤler unverantwortlich und un- ſinnig waͤre. Bey aller Gelegenheit ſtellte ich ih- nen ihre Thorheit ſo wohl ernſthaft, als laͤcherlich, vor. Jch ſchilderte zu verſchiednenmalen nicht al- lein die Laſter, ſondern auch die Perſonen, auf eine ſatyriſche Art in Verſen ab; und wenn ich die- ſes that, ſo empfand ich bey mir ſelbſt eine doppelte Wolluſt. Allein, meine Ehrlichkeit, mein Eifer fuͤr die Wahrheit, meine billigſten Abſichten wur- den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/200
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/200>, abgerufen am 24.11.2024.