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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Von Unterweisung
dem Catechismus ins Gedächtniß bringen. Nun-
mehr ist es Zeit, daß man uns der Aufsicht eines
Hofmeisters übergiebt. Ob er von guten Sitten,
ob er fleißig, ob er gelehrt ist; darnach fragt man
eben nicht. Aber; wie viel verlangt der Herr für
seine Mühe? Das ist unsre erste Sorge. Der
Wohlfeilste bleibt allemal der Beste. Dieser führt
uns eben den Weg, welchen er selbst unter so vie-
len Seufzern und Thränen gegangen ist. Ein Ge-
lehrter muß die lateinische Sprache verstehen. Die
Sache hat ihre Richtigkeit. Man wählt also eine
Grammatik, welche die beste zu seyn scheint. Durch
eine unermüdete und oftmals nachdrückliche Unter-
weisung fassen wir eine Menge dunkler Kunstwör-
ter und weitläuftiger Regeln, welche wir gewiß
noch weniger verstehen, als die Sprache selbst, die
wir daraus erlernen sollen. Endlich überwinden
wir diese Schwierigkeit. Man giebt uns des Ci-
cero Schriften, nebst andern Büchern, zu lesen, und
unsre Väter weinen vor Freuden, wenn sie sehen,
daß ihre Kinder im zwanzigsten Jahre dasjenige
begriffen haben, was zu des Cicero Zeiten, in Rom,
ein Junge von fünf Jahren verstund. Nunmehro
zieht der gelehrte, oder besser zu sagen, der lateini-
sche Sohn auf hohe Schulen. Du darfst von ihm
nicht verlangen, daß er in den alten und neuern Ge-
schichten, in der Geographie, Genealogie, Zeitrech-
nung, Wapenkunst, und dergleichen erfahren seyn,
und einen Vorschmack von der Mathematik, Welt-
weisheit und andern Wissenschaften erlanget haben
sollte. Dazu hat er nicht Zeit gehabt; er hat

müssen

Von Unterweiſung
dem Catechiſmus ins Gedaͤchtniß bringen. Nun-
mehr iſt es Zeit, daß man uns der Aufſicht eines
Hofmeiſters uͤbergiebt. Ob er von guten Sitten,
ob er fleißig, ob er gelehrt iſt; darnach fragt man
eben nicht. Aber; wie viel verlangt der Herr fuͤr
ſeine Muͤhe? Das iſt unſre erſte Sorge. Der
Wohlfeilſte bleibt allemal der Beſte. Dieſer fuͤhrt
uns eben den Weg, welchen er ſelbſt unter ſo vie-
len Seufzern und Thraͤnen gegangen iſt. Ein Ge-
lehrter muß die lateiniſche Sprache verſtehen. Die
Sache hat ihre Richtigkeit. Man waͤhlt alſo eine
Grammatik, welche die beſte zu ſeyn ſcheint. Durch
eine unermuͤdete und oftmals nachdruͤckliche Unter-
weiſung faſſen wir eine Menge dunkler Kunſtwoͤr-
ter und weitlaͤuftiger Regeln, welche wir gewiß
noch weniger verſtehen, als die Sprache ſelbſt, die
wir daraus erlernen ſollen. Endlich uͤberwinden
wir dieſe Schwierigkeit. Man giebt uns des Ci-
cero Schriften, nebſt andern Buͤchern, zu leſen, und
unſre Vaͤter weinen vor Freuden, wenn ſie ſehen,
daß ihre Kinder im zwanzigſten Jahre dasjenige
begriffen haben, was zu des Cicero Zeiten, in Rom,
ein Junge von fuͤnf Jahren verſtund. Nunmehro
zieht der gelehrte, oder beſſer zu ſagen, der lateini-
ſche Sohn auf hohe Schulen. Du darfſt von ihm
nicht verlangen, daß er in den alten und neuern Ge-
ſchichten, in der Geographie, Genealogie, Zeitrech-
nung, Wapenkunſt, und dergleichen erfahren ſeyn,
und einen Vorſchmack von der Mathematik, Welt-
weisheit und andern Wiſſenſchaften erlanget haben
ſollte. Dazu hat er nicht Zeit gehabt; er hat

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[150/0224] Von Unterweiſung dem Catechiſmus ins Gedaͤchtniß bringen. Nun- mehr iſt es Zeit, daß man uns der Aufſicht eines Hofmeiſters uͤbergiebt. Ob er von guten Sitten, ob er fleißig, ob er gelehrt iſt; darnach fragt man eben nicht. Aber; wie viel verlangt der Herr fuͤr ſeine Muͤhe? Das iſt unſre erſte Sorge. Der Wohlfeilſte bleibt allemal der Beſte. Dieſer fuͤhrt uns eben den Weg, welchen er ſelbſt unter ſo vie- len Seufzern und Thraͤnen gegangen iſt. Ein Ge- lehrter muß die lateiniſche Sprache verſtehen. Die Sache hat ihre Richtigkeit. Man waͤhlt alſo eine Grammatik, welche die beſte zu ſeyn ſcheint. Durch eine unermuͤdete und oftmals nachdruͤckliche Unter- weiſung faſſen wir eine Menge dunkler Kunſtwoͤr- ter und weitlaͤuftiger Regeln, welche wir gewiß noch weniger verſtehen, als die Sprache ſelbſt, die wir daraus erlernen ſollen. Endlich uͤberwinden wir dieſe Schwierigkeit. Man giebt uns des Ci- cero Schriften, nebſt andern Buͤchern, zu leſen, und unſre Vaͤter weinen vor Freuden, wenn ſie ſehen, daß ihre Kinder im zwanzigſten Jahre dasjenige begriffen haben, was zu des Cicero Zeiten, in Rom, ein Junge von fuͤnf Jahren verſtund. Nunmehro zieht der gelehrte, oder beſſer zu ſagen, der lateini- ſche Sohn auf hohe Schulen. Du darfſt von ihm nicht verlangen, daß er in den alten und neuern Ge- ſchichten, in der Geographie, Genealogie, Zeitrech- nung, Wapenkunſt, und dergleichen erfahren ſeyn, und einen Vorſchmack von der Mathematik, Welt- weisheit und andern Wiſſenſchaften erlanget haben ſollte. Dazu hat er nicht Zeit gehabt; er hat muͤſſen

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/224>, abgerufen am 24.11.2024.