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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Eine Todtenliste
halten, und weder seine Engbrüstigkeit, noch andre
natürliche Fehler vorzuschützen. Dieses war ein
Donnerschlag in seinen Ohren, und die Tapferkeit
fuhr ihm dergestalt in alle Glieder, daß er bis an
sein seliges Ende zitterte, welches vier Tage darauf
erfolgte, da er in den Armen seiner gebeugten Mut-
ter starb, und in Frieden zu seinen Vätern versam-
melt ward.

Curt Stemhill. Dieser Mann hatte in sei-
ner Jugend hohe Absichten, und eine vornehme Ein-
bildung von seinem künftigen Glücke. Als er noch
auf der Stadtschule zu Bergen studierte, dachte er
wenigstens regierender Bürgermeister in seinem
Vaterlande zu werden. Jn diesen schmeichelhaf-
ten Gedanken bestärkte ihn der Aberglaube seiner
Mutter, welcher damals, als sie mit diesem Soh-
ne schwanger gegangen war, geträumt hatte, sie
brächte einen Knaben mit einer ernsthaften Miene,
und einem sehr dicken Bauche zur Welt. Auf der
hohen Schule zu Coppenhagen lernte er mehr Men-
schen kennen, als er in seiner Vaterstadt jemals ge-
sehen hatte. Dieses verringerte seine Hochachtung
gegen sich selbst, und er erklärte sich bey seiner Heim-
kunft, daß er allenfalls mit dem Stadtschreiberdien-
ste vorlieb nehmen wollte. Allein, auch in dieser
Hoffnung sah er sich betrogen, und mußte es noch
für ein unverdientes Glücke rechnen, daß er bey
zunehmenden Jahren, als Mägdleinschulmeister an
der Barfüßerkirche, sein Brod verdienen konnte,
welchem Amte er auch, bis an sein Ende mit der
größten Ernsthaftigkeit, und unermüdeten Fäusten

vorge-

Eine Todtenliſte
halten, und weder ſeine Engbruͤſtigkeit, noch andre
natuͤrliche Fehler vorzuſchuͤtzen. Dieſes war ein
Donnerſchlag in ſeinen Ohren, und die Tapferkeit
fuhr ihm dergeſtalt in alle Glieder, daß er bis an
ſein ſeliges Ende zitterte, welches vier Tage darauf
erfolgte, da er in den Armen ſeiner gebeugten Mut-
ter ſtarb, und in Frieden zu ſeinen Vaͤtern verſam-
melt ward.

Curt Stemhill. Dieſer Mann hatte in ſei-
ner Jugend hohe Abſichten, und eine vornehme Ein-
bildung von ſeinem kuͤnftigen Gluͤcke. Als er noch
auf der Stadtſchule zu Bergen ſtudierte, dachte er
wenigſtens regierender Buͤrgermeiſter in ſeinem
Vaterlande zu werden. Jn dieſen ſchmeichelhaf-
ten Gedanken beſtaͤrkte ihn der Aberglaube ſeiner
Mutter, welcher damals, als ſie mit dieſem Soh-
ne ſchwanger gegangen war, getraͤumt hatte, ſie
braͤchte einen Knaben mit einer ernſthaften Miene,
und einem ſehr dicken Bauche zur Welt. Auf der
hohen Schule zu Coppenhagen lernte er mehr Men-
ſchen kennen, als er in ſeiner Vaterſtadt jemals ge-
ſehen hatte. Dieſes verringerte ſeine Hochachtung
gegen ſich ſelbſt, und er erklaͤrte ſich bey ſeiner Heim-
kunft, daß er allenfalls mit dem Stadtſchreiberdien-
ſte vorlieb nehmen wollte. Allein, auch in dieſer
Hoffnung ſah er ſich betrogen, und mußte es noch
fuͤr ein unverdientes Gluͤcke rechnen, daß er bey
zunehmenden Jahren, als Maͤgdleinſchulmeiſter an
der Barfuͤßerkirche, ſein Brod verdienen konnte,
welchem Amte er auch, bis an ſein Ende mit der
groͤßten Ernſthaftigkeit, und unermuͤdeten Faͤuſten

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[180/0254] Eine Todtenliſte halten, und weder ſeine Engbruͤſtigkeit, noch andre natuͤrliche Fehler vorzuſchuͤtzen. Dieſes war ein Donnerſchlag in ſeinen Ohren, und die Tapferkeit fuhr ihm dergeſtalt in alle Glieder, daß er bis an ſein ſeliges Ende zitterte, welches vier Tage darauf erfolgte, da er in den Armen ſeiner gebeugten Mut- ter ſtarb, und in Frieden zu ſeinen Vaͤtern verſam- melt ward. Curt Stemhill. Dieſer Mann hatte in ſei- ner Jugend hohe Abſichten, und eine vornehme Ein- bildung von ſeinem kuͤnftigen Gluͤcke. Als er noch auf der Stadtſchule zu Bergen ſtudierte, dachte er wenigſtens regierender Buͤrgermeiſter in ſeinem Vaterlande zu werden. Jn dieſen ſchmeichelhaf- ten Gedanken beſtaͤrkte ihn der Aberglaube ſeiner Mutter, welcher damals, als ſie mit dieſem Soh- ne ſchwanger gegangen war, getraͤumt hatte, ſie braͤchte einen Knaben mit einer ernſthaften Miene, und einem ſehr dicken Bauche zur Welt. Auf der hohen Schule zu Coppenhagen lernte er mehr Men- ſchen kennen, als er in ſeiner Vaterſtadt jemals ge- ſehen hatte. Dieſes verringerte ſeine Hochachtung gegen ſich ſelbſt, und er erklaͤrte ſich bey ſeiner Heim- kunft, daß er allenfalls mit dem Stadtſchreiberdien- ſte vorlieb nehmen wollte. Allein, auch in dieſer Hoffnung ſah er ſich betrogen, und mußte es noch fuͤr ein unverdientes Gluͤcke rechnen, daß er bey zunehmenden Jahren, als Maͤgdleinſchulmeiſter an der Barfuͤßerkirche, ſein Brod verdienen konnte, welchem Amte er auch, bis an ſein Ende mit der groͤßten Ernſthaftigkeit, und unermuͤdeten Faͤuſten vorge-

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/254>, abgerufen am 24.11.2024.