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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751.

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Vorbericht.

Jch bedaure den armen Dichter: Alle Welt
vermeidet seine Gegenwart; wo er hinkömmt, läuft
man vor ihn. Er kann das nicht begreifen? Jch
will es ihm sagen: Er ist gar zu poetisch. Ein gros-
ser Fehler! Man flieht ihn, wie die Pest. Es ist
auch in der That keinem ehrlichen Manne zuzumu-
then, daß er so viel ausstehen soll, als man bey dem
Herrn C *** auszustehen hat. Wenn ich stehe, so
liest er mir seine Gedichte vor; setze ich mich nieder,
so liest er sie mir auch vor. Jch fange an zu lau-
fen; er läuft nach, und liest mir immer hinten drein;
bis auf den Abtritt verfolgt er mich mit seinen geist-
reichen Werken. Vielleicht bin ich in der Allee vor
ihm sicher? Es hilft nichts; er liest immer vor.
Jch eile auf die Reitbahn. Umsonst, er läßt mich
nicht einmal auf das Pferd. Mich hungert; ich
muß zu Tische; er hält mich immer noch auf. Jch
reiße mich los, und setze mich nieder; auch vom
Tische jagt er mich weg. Jch werfe mich aufs Bette,
und schlafe ein. Er weckt mich auf, und liest mir
seine Verse vor. Jst wohl etwas unerträglichers
zu denken? Er ist ein billiger, rechtschaffner und bra-
ver Mann; ich gebe es zu; allein es hilft ihm alles
nichts. Es scheut sich alle Welt vor seinen Versen.

Cliton
Vorbericht.

Jch bedaure den armen Dichter: Alle Welt
vermeidet ſeine Gegenwart; wo er hinkoͤmmt, laͤuft
man vor ihn. Er kann das nicht begreifen? Jch
will es ihm ſagen: Er iſt gar zu poetiſch. Ein groſ-
ſer Fehler! Man flieht ihn, wie die Peſt. Es iſt
auch in der That keinem ehrlichen Manne zuzumu-
then, daß er ſo viel ausſtehen ſoll, als man bey dem
Herrn C *** auszuſtehen hat. Wenn ich ſtehe, ſo
lieſt er mir ſeine Gedichte vor; ſetze ich mich nieder,
ſo lieſt er ſie mir auch vor. Jch fange an zu lau-
fen; er laͤuft nach, und lieſt mir immer hinten drein;
bis auf den Abtritt verfolgt er mich mit ſeinen geiſt-
reichen Werken. Vielleicht bin ich in der Allee vor
ihm ſicher? Es hilft nichts; er lieſt immer vor.
Jch eile auf die Reitbahn. Umſonſt, er laͤßt mich
nicht einmal auf das Pferd. Mich hungert; ich
muß zu Tiſche; er haͤlt mich immer noch auf. Jch
reiße mich los, und ſetze mich nieder; auch vom
Tiſche jagt er mich weg. Jch werfe mich aufs Bette,
und ſchlafe ein. Er weckt mich auf, und lieſt mir
ſeine Verſe vor. Jſt wohl etwas unertraͤglichers
zu denken? Er iſt ein billiger, rechtſchaffner und bra-
ver Mann; ich gebe es zu; allein es hilft ihm alles
nichts. Es ſcheut ſich alle Welt vor ſeinen Verſen.

Cliton
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[47/0047] Vorbericht. Jch bedaure den armen Dichter: Alle Welt vermeidet ſeine Gegenwart; wo er hinkoͤmmt, laͤuft man vor ihn. Er kann das nicht begreifen? Jch will es ihm ſagen: Er iſt gar zu poetiſch. Ein groſ- ſer Fehler! Man flieht ihn, wie die Peſt. Es iſt auch in der That keinem ehrlichen Manne zuzumu- then, daß er ſo viel ausſtehen ſoll, als man bey dem Herrn C *** auszuſtehen hat. Wenn ich ſtehe, ſo lieſt er mir ſeine Gedichte vor; ſetze ich mich nieder, ſo lieſt er ſie mir auch vor. Jch fange an zu lau- fen; er laͤuft nach, und lieſt mir immer hinten drein; bis auf den Abtritt verfolgt er mich mit ſeinen geiſt- reichen Werken. Vielleicht bin ich in der Allee vor ihm ſicher? Es hilft nichts; er lieſt immer vor. Jch eile auf die Reitbahn. Umſonſt, er laͤßt mich nicht einmal auf das Pferd. Mich hungert; ich muß zu Tiſche; er haͤlt mich immer noch auf. Jch reiße mich los, und ſetze mich nieder; auch vom Tiſche jagt er mich weg. Jch werfe mich aufs Bette, und ſchlafe ein. Er weckt mich auf, und lieſt mir ſeine Verſe vor. Jſt wohl etwas unertraͤglichers zu denken? Er iſt ein billiger, rechtſchaffner und bra- ver Mann; ich gebe es zu; allein es hilft ihm alles nichts. Es ſcheut ſich alle Welt vor ſeinen Verſen. Cliton

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 1. Leipzig, 1751, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung01_1751/47>, abgerufen am 21.11.2024.