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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Hinkmars von Repkow
ist dennoch oftmals von einer blendenden Liebe ge-
gen seine eigne Arbeit dergestalt eingenommen, daß
er denjenigen für einen neidischen Klügling, für einen
Verräther des Vaterlandes ausschreyen wird, wel-
chersich untersteht, ihm und andern zu sagen, daß sei-
ne gelehrte Geburt nur ein Krüpel, oder gar eine
Misgeburt sey. Er wird ergrimmen, wie ein Bär,
dem man seine zottige Brut raubt, und wer ihm
in dieser Wut begegnet, der ist verloren. Jch
getraue mir, noch mehr zu behaupten. Jch glaube,
daß die Liebe eines Scribenten gegen seine witzige
Zucht diejenige Neigung weit übertrifft, welche Ael-
tern ordentlicher Weise gegen ihre Kinder haben.
Ein Vater wird dasjenige Kind niemals, ohne ekel-
haften Widerwillen, ansehen können, von dem er ge-
wis weis, daß es nicht sein ist; ein Scribent aber
keinesweges. Oefters ist dieser bemüht, der Welt
diejenigen Sachen, als seine leiblichen Kinder, an-
zupreisen, welche ihr ganzes Wesen und Daseyn
dem Fleiße andrer Gelehrten, ihm aber weiter
nichts, als den Namen, zu danken haben. Dennoch
erkennt er sie für die Seinigen. Derjenige greift
ihm ans Herz, welcher ihm den Titel eines Vaters
absprechen will. Hundert Gelehrte von verschied-
nen Völkern könnte ich hier zum Beweise meines
Satzes [a]nführen; ich habe aber für die Franzosen
eine solche Hochachtung, daß ich niemanden nennen
will, als ihren Abt Desfontaines. Da
nun unsre Gelehrten und Schriftsteller so ge-
neigt sind, ihren Gedichten und Büchern die Ewig-
keit zu prophezeihen; wie empfindlich, wie schmerz-

haft

Hinkmars von Repkow
iſt dennoch oftmals von einer blendenden Liebe ge-
gen ſeine eigne Arbeit dergeſtalt eingenommen, daß
er denjenigen fuͤr einen neidiſchen Kluͤgling, fuͤr einen
Verraͤther des Vaterlandes ausſchreyen wird, wel-
cherſich unterſteht, ihm und andern zu ſagen, daß ſei-
ne gelehrte Geburt nur ein Kruͤpel, oder gar eine
Misgeburt ſey. Er wird ergrimmen, wie ein Baͤr,
dem man ſeine zottige Brut raubt, und wer ihm
in dieſer Wut begegnet, der iſt verloren. Jch
getraue mir, noch mehr zu behaupten. Jch glaube,
daß die Liebe eines Scribenten gegen ſeine witzige
Zucht diejenige Neigung weit uͤbertrifft, welche Ael-
tern ordentlicher Weiſe gegen ihre Kinder haben.
Ein Vater wird dasjenige Kind niemals, ohne ekel-
haften Widerwillen, anſehen koͤnnen, von dem er ge-
wis weis, daß es nicht ſein iſt; ein Scribent aber
keinesweges. Oefters iſt dieſer bemuͤht, der Welt
diejenigen Sachen, als ſeine leiblichen Kinder, an-
zupreiſen, welche ihr ganzes Weſen und Daſeyn
dem Fleiße andrer Gelehrten, ihm aber weiter
nichts, als den Namen, zu danken haben. Dennoch
erkennt er ſie fuͤr die Seinigen. Derjenige greift
ihm ans Herz, welcher ihm den Titel eines Vaters
abſprechen will. Hundert Gelehrte von verſchied-
nen Voͤlkern koͤnnte ich hier zum Beweiſe meines
Satzes [a]nfuͤhren; ich habe aber fuͤr die Franzoſen
eine ſolche Hochachtung, daß ich niemanden nennen
will, als ihren Abt Desfontaines. Da
nun unſre Gelehrten und Schriftſteller ſo ge-
neigt ſind, ihren Gedichten und Buͤchern die Ewig-
keit zu prophezeihen; wie empfindlich, wie ſchmerz-

haft
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[122/0122] Hinkmars von Repkow iſt dennoch oftmals von einer blendenden Liebe ge- gen ſeine eigne Arbeit dergeſtalt eingenommen, daß er denjenigen fuͤr einen neidiſchen Kluͤgling, fuͤr einen Verraͤther des Vaterlandes ausſchreyen wird, wel- cherſich unterſteht, ihm und andern zu ſagen, daß ſei- ne gelehrte Geburt nur ein Kruͤpel, oder gar eine Misgeburt ſey. Er wird ergrimmen, wie ein Baͤr, dem man ſeine zottige Brut raubt, und wer ihm in dieſer Wut begegnet, der iſt verloren. Jch getraue mir, noch mehr zu behaupten. Jch glaube, daß die Liebe eines Scribenten gegen ſeine witzige Zucht diejenige Neigung weit uͤbertrifft, welche Ael- tern ordentlicher Weiſe gegen ihre Kinder haben. Ein Vater wird dasjenige Kind niemals, ohne ekel- haften Widerwillen, anſehen koͤnnen, von dem er ge- wis weis, daß es nicht ſein iſt; ein Scribent aber keinesweges. Oefters iſt dieſer bemuͤht, der Welt diejenigen Sachen, als ſeine leiblichen Kinder, an- zupreiſen, welche ihr ganzes Weſen und Daſeyn dem Fleiße andrer Gelehrten, ihm aber weiter nichts, als den Namen, zu danken haben. Dennoch erkennt er ſie fuͤr die Seinigen. Derjenige greift ihm ans Herz, welcher ihm den Titel eines Vaters abſprechen will. Hundert Gelehrte von verſchied- nen Voͤlkern koͤnnte ich hier zum Beweiſe meines Satzes anfuͤhren; ich habe aber fuͤr die Franzoſen eine ſolche Hochachtung, daß ich niemanden nennen will, als ihren Abt Desfontaines. Da nun unſre Gelehrten und Schriftſteller ſo ge- neigt ſind, ihren Gedichten und Buͤchern die Ewig- keit zu prophezeihen; wie empfindlich, wie ſchmerz- haft

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/122>, abgerufen am 21.11.2024.