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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum

Von den Freyheiten muß ich noch etwas sagen,
welche ich mir in meinem Traume genommen habe.
Jch habe meine abgeschiednen Seelen niemals ohne
Kleider, und dergleichen Geräthe, erscheinen lassen.
Jch kann eben nicht sagen, daß dieses aus einer be-
sondern Schamhaftigkeit geschehen wäre, und ich
muß zur Beruhigung unsrer jungen Herren und ei-
niger meiner Leserinnen hier anmerken, daß meine
Frauenzimmerseelen keine Halstücher, sondern
wenn es hochkömmt, nur flüchtige Palatine tragen.
Jch habe wichtige Ursachen, warum ich will, daß
meine Seelen auch noch im Tode ihre Kleidung bey-
behalten sollen. Wie viele derselben würde ich
nicht unglücklich machen, wenn ich ihnen ihre präch-
tigen Kleider nähme! Und wäre ich so unbarmher-
zig, einigen ihre reichen Westen zu rauben, wie viel
hochwohlgebohrne Seelen würde ich nicht unter den
Pöbel verstoßen, welche doch in ihrem Leben zum
unsterblichen Ruhme ihres Vaterlandes und ihrer
Ahnen beym pyrmontischen Brunnen geschimmert
haben. Das ist noch lange nicht genug. Wenn
ich meiner Nachbarinn, dem witzigsten Frauenzim-
mer unsrer Gasse, ihre Bänder, Spitzen, Schmink-
fleckchen, und andre wesentliche Stücke ihres Ver-
standes contreband gemacht hätte; was würde sie
in dieser philosophischen Ewigkeit für lange Weile
haben! Celinde würde einen noch einmal so schwe-
ren Todeskampf ausstehen, wenn sie befürchten
müßte, daß sie in jenem Leben ohne Reifrock und
Fächer erscheinen sollte. Wie kläglich würde es um
die Seelen unsrer galanten Stutzer stehen, wenn ich

ihnen
Ein Traum

Von den Freyheiten muß ich noch etwas ſagen,
welche ich mir in meinem Traume genommen habe.
Jch habe meine abgeſchiednen Seelen niemals ohne
Kleider, und dergleichen Geraͤthe, erſcheinen laſſen.
Jch kann eben nicht ſagen, daß dieſes aus einer be-
ſondern Schamhaftigkeit geſchehen waͤre, und ich
muß zur Beruhigung unſrer jungen Herren und ei-
niger meiner Leſerinnen hier anmerken, daß meine
Frauenzimmerſeelen keine Halstuͤcher, ſondern
wenn es hochkoͤmmt, nur fluͤchtige Palatine tragen.
Jch habe wichtige Urſachen, warum ich will, daß
meine Seelen auch noch im Tode ihre Kleidung bey-
behalten ſollen. Wie viele derſelben wuͤrde ich
nicht ungluͤcklich machen, wenn ich ihnen ihre praͤch-
tigen Kleider naͤhme! Und waͤre ich ſo unbarmher-
zig, einigen ihre reichen Weſten zu rauben, wie viel
hochwohlgebohrne Seelen wuͤrde ich nicht unter den
Poͤbel verſtoßen, welche doch in ihrem Leben zum
unſterblichen Ruhme ihres Vaterlandes und ihrer
Ahnen beym pyrmontiſchen Brunnen geſchimmert
haben. Das iſt noch lange nicht genug. Wenn
ich meiner Nachbarinn, dem witzigſten Frauenzim-
mer unſrer Gaſſe, ihre Baͤnder, Spitzen, Schmink-
fleckchen, und andre weſentliche Stuͤcke ihres Ver-
ſtandes contreband gemacht haͤtte; was wuͤrde ſie
in dieſer philoſophiſchen Ewigkeit fuͤr lange Weile
haben! Celinde wuͤrde einen noch einmal ſo ſchwe-
ren Todeskampf ausſtehen, wenn ſie befuͤrchten
muͤßte, daß ſie in jenem Leben ohne Reifrock und
Faͤcher erſcheinen ſollte. Wie klaͤglich wuͤrde es um
die Seelen unſrer galanten Stutzer ſtehen, wenn ich

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[14/0014] Ein Traum Von den Freyheiten muß ich noch etwas ſagen, welche ich mir in meinem Traume genommen habe. Jch habe meine abgeſchiednen Seelen niemals ohne Kleider, und dergleichen Geraͤthe, erſcheinen laſſen. Jch kann eben nicht ſagen, daß dieſes aus einer be- ſondern Schamhaftigkeit geſchehen waͤre, und ich muß zur Beruhigung unſrer jungen Herren und ei- niger meiner Leſerinnen hier anmerken, daß meine Frauenzimmerſeelen keine Halstuͤcher, ſondern wenn es hochkoͤmmt, nur fluͤchtige Palatine tragen. Jch habe wichtige Urſachen, warum ich will, daß meine Seelen auch noch im Tode ihre Kleidung bey- behalten ſollen. Wie viele derſelben wuͤrde ich nicht ungluͤcklich machen, wenn ich ihnen ihre praͤch- tigen Kleider naͤhme! Und waͤre ich ſo unbarmher- zig, einigen ihre reichen Weſten zu rauben, wie viel hochwohlgebohrne Seelen wuͤrde ich nicht unter den Poͤbel verſtoßen, welche doch in ihrem Leben zum unſterblichen Ruhme ihres Vaterlandes und ihrer Ahnen beym pyrmontiſchen Brunnen geſchimmert haben. Das iſt noch lange nicht genug. Wenn ich meiner Nachbarinn, dem witzigſten Frauenzim- mer unſrer Gaſſe, ihre Baͤnder, Spitzen, Schmink- fleckchen, und andre weſentliche Stuͤcke ihres Ver- ſtandes contreband gemacht haͤtte; was wuͤrde ſie in dieſer philoſophiſchen Ewigkeit fuͤr lange Weile haben! Celinde wuͤrde einen noch einmal ſo ſchwe- ren Todeskampf ausſtehen, wenn ſie befuͤrchten muͤßte, daß ſie in jenem Leben ohne Reifrock und Faͤcher erſcheinen ſollte. Wie klaͤglich wuͤrde es um die Seelen unſrer galanten Stutzer ſtehen, wenn ich ihnen

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/14>, abgerufen am 29.04.2024.