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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.
ter Nacht, und fast gar keinen Tag hat? Allein, ich
habe nicht Ursache, so viel Umstände zu machen.
Jch will es nur frey bekennen, ich habe geträumt,
damit ich schreiben wollte. Dieses kann genug
seyn, mein Verfahren zu rechtfertigen, und wer
mehr Beweis fodert, der muß von dem gelehrten
Herkommen gar nichts verstehen. Ohne Ruhm
zu melden, weis ich alles, was zu einem orthodoxen
Traume gehört. Man denkt nach; man schläft
über diesem Nachdenken unvermerkt ein; man sagt
im Traume etwas, das man vielmals nicht sagen
würde, wenn man wachend, und seiner Sinne mäch-
tig wäre; man erwacht unvermuthet. Kein einzi-
ges von diesen Stücken habe ich in meinem Traume
so beobachtet, wie es nach den Regeln eigentlich
hätte seyn sollen. Jch habe nicht nachgedacht, denn
ich bin ein Autor nach der neuesten Mode; ich bin
nicht unvermerkt darüber eingeschlafen; und was
meinen Lesern etwan wiederfahren sollte, dafür
kann ich nichts. Jch habe von allem dem, was hier
steht, nicht ein Wort im Traume gehört und gere-
det; ja, da ich ein Advocat bin, so kann ich bey mei-
nem zarten Gewissen bezeugen, daß mich dieser
Traum um manche Stunde Schlaf gebracht hat.
Jch bin nicht unvermerkt aufgewacht; dieses braucht
keines Beweises, man darf nur bis zum Ende lesen.
Mit einem Worte; alles dieses wird man in gegen-
wärtiger Schrift nicht finden, und dennoch muß sie,
trotz allen Kunstrichtern, ein Traum seyn, eben so
gut, als Herrn Zschepens Träume, nach seiner Mey-
nung, mathematische Beweise seyn sollen.

Von

von den abgeſchiednen Seelen.
ter Nacht, und faſt gar keinen Tag hat? Allein, ich
habe nicht Urſache, ſo viel Umſtaͤnde zu machen.
Jch will es nur frey bekennen, ich habe getraͤumt,
damit ich ſchreiben wollte. Dieſes kann genug
ſeyn, mein Verfahren zu rechtfertigen, und wer
mehr Beweis fodert, der muß von dem gelehrten
Herkommen gar nichts verſtehen. Ohne Ruhm
zu melden, weis ich alles, was zu einem orthodoxen
Traume gehoͤrt. Man denkt nach; man ſchlaͤft
uͤber dieſem Nachdenken unvermerkt ein; man ſagt
im Traume etwas, das man vielmals nicht ſagen
wuͤrde, wenn man wachend, und ſeiner Sinne maͤch-
tig waͤre; man erwacht unvermuthet. Kein einzi-
ges von dieſen Stuͤcken habe ich in meinem Traume
ſo beobachtet, wie es nach den Regeln eigentlich
haͤtte ſeyn ſollen. Jch habe nicht nachgedacht, denn
ich bin ein Autor nach der neueſten Mode; ich bin
nicht unvermerkt daruͤber eingeſchlafen; und was
meinen Leſern etwan wiederfahren ſollte, dafuͤr
kann ich nichts. Jch habe von allem dem, was hier
ſteht, nicht ein Wort im Traume gehoͤrt und gere-
det; ja, da ich ein Advocat bin, ſo kann ich bey mei-
nem zarten Gewiſſen bezeugen, daß mich dieſer
Traum um manche Stunde Schlaf gebracht hat.
Jch bin nicht unvermerkt aufgewacht; dieſes braucht
keines Beweiſes, man darf nur bis zum Ende leſen.
Mit einem Worte; alles dieſes wird man in gegen-
waͤrtiger Schrift nicht finden, und dennoch muß ſie,
trotz allen Kunſtrichtern, ein Traum ſeyn, eben ſo
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nung, mathematiſche Beweiſe ſeyn ſollen.

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[13/0013] von den abgeſchiednen Seelen. ter Nacht, und faſt gar keinen Tag hat? Allein, ich habe nicht Urſache, ſo viel Umſtaͤnde zu machen. Jch will es nur frey bekennen, ich habe getraͤumt, damit ich ſchreiben wollte. Dieſes kann genug ſeyn, mein Verfahren zu rechtfertigen, und wer mehr Beweis fodert, der muß von dem gelehrten Herkommen gar nichts verſtehen. Ohne Ruhm zu melden, weis ich alles, was zu einem orthodoxen Traume gehoͤrt. Man denkt nach; man ſchlaͤft uͤber dieſem Nachdenken unvermerkt ein; man ſagt im Traume etwas, das man vielmals nicht ſagen wuͤrde, wenn man wachend, und ſeiner Sinne maͤch- tig waͤre; man erwacht unvermuthet. Kein einzi- ges von dieſen Stuͤcken habe ich in meinem Traume ſo beobachtet, wie es nach den Regeln eigentlich haͤtte ſeyn ſollen. Jch habe nicht nachgedacht, denn ich bin ein Autor nach der neueſten Mode; ich bin nicht unvermerkt daruͤber eingeſchlafen; und was meinen Leſern etwan wiederfahren ſollte, dafuͤr kann ich nichts. Jch habe von allem dem, was hier ſteht, nicht ein Wort im Traume gehoͤrt und gere- det; ja, da ich ein Advocat bin, ſo kann ich bey mei- nem zarten Gewiſſen bezeugen, daß mich dieſer Traum um manche Stunde Schlaf gebracht hat. Jch bin nicht unvermerkt aufgewacht; dieſes braucht keines Beweiſes, man darf nur bis zum Ende leſen. Mit einem Worte; alles dieſes wird man in gegen- waͤrtiger Schrift nicht finden, und dennoch muß ſie, trotz allen Kunſtrichtern, ein Traum ſeyn, eben ſo gut, als Herrn Zſchepens Traͤume, nach ſeiner Mey- nung, mathematiſche Beweiſe ſeyn ſollen. Von

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/13>, abgerufen am 29.04.2024.