[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.Hinkmars von Repkow nehmen. Die Verwunderung, die sich ein Zigeu-ner bey dem Pöbel durch sein Wahrsagen zuwege bringt, ist der Verwunderung sehr gleich, die ein Rei- mer durch seinen betäubenden Witz bey dem lesenden Pöbel erhält. Unter den lesenden Pöbel aber rech- ne ich Leute von allerley Stande; und wollte man mich gerichtlich anhalten, diese Art von Pöbel ge- nauer zu bestimmen; so könnte es freylich geschehen, daß man Männer in Magister- und Doctorhüthen, Männer mit Sternen auf der Brust, Männer in ehr- würdiger Kleidung darunter anträfe. Was die Räu- bereyen der Zigeuner anbelangt, so haben sich meine Poeten gar nicht zu schämen, wenn man auch dar- innen viel ähnliches zwischen ihnen und den Zigeu- nern zu finden glaubt. Sie plündern eben sowohl als jene. Aber sie plündern ebenfalls nur aus Hun- gersnoth; und aus Hungersnoth zu rauben, ist, wie bekannt, den bürgerlichen Rechten nach, kein Diebstahl. Sie rauben also nur Berufs wegen! Jch weis nicht, warum ich mich so gern elender ses
Hinkmars von Repkow nehmen. Die Verwunderung, die ſich ein Zigeu-ner bey dem Poͤbel durch ſein Wahrſagen zuwege bringt, iſt der Verwunderung ſehr gleich, die ein Rei- mer durch ſeinen betaͤubenden Witz bey dem leſenden Poͤbel erhaͤlt. Unter den leſenden Poͤbel aber rech- ne ich Leute von allerley Stande; und wollte man mich gerichtlich anhalten, dieſe Art von Poͤbel ge- nauer zu beſtimmen; ſo koͤnnte es freylich geſchehen, daß man Maͤnner in Magiſter- und Doctorhuͤthen, Maͤnner mit Sternen auf der Bruſt, Maͤnner in ehr- wuͤrdiger Kleidung darunter antraͤfe. Was die Raͤu- bereyen der Zigeuner anbelangt, ſo haben ſich meine Poeten gar nicht zu ſchaͤmen, wenn man auch dar- innen viel aͤhnliches zwiſchen ihnen und den Zigeu- nern zu finden glaubt. Sie pluͤndern eben ſowohl als jene. Aber ſie pluͤndern ebenfalls nur aus Hun- gersnoth; und aus Hungersnoth zu rauben, iſt, wie bekannt, den buͤrgerlichen Rechten nach, kein Diebſtahl. Sie rauben alſo nur Berufs wegen! Jch weis nicht, warum ich mich ſo gern elender ſes
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0152" n="152"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Hinkmars von Repkow</hi></fw><lb/> nehmen. Die Verwunderung, die ſich ein Zigeu-<lb/> ner bey dem Poͤbel durch ſein Wahrſagen zuwege<lb/> bringt, iſt der Verwunderung ſehr gleich, die ein Rei-<lb/> mer durch ſeinen betaͤubenden Witz bey dem leſenden<lb/> Poͤbel erhaͤlt. Unter den leſenden Poͤbel aber rech-<lb/> ne ich Leute von allerley Stande; und wollte man<lb/> mich gerichtlich anhalten, dieſe Art von Poͤbel ge-<lb/> nauer zu beſtimmen; ſo koͤnnte es freylich geſchehen,<lb/> daß man Maͤnner in Magiſter- und Doctorhuͤthen,<lb/> Maͤnner mit Sternen auf der Bruſt, Maͤnner in ehr-<lb/> wuͤrdiger Kleidung darunter antraͤfe. Was die Raͤu-<lb/> bereyen der Zigeuner anbelangt, ſo haben ſich meine<lb/> Poeten gar nicht zu ſchaͤmen, wenn man auch dar-<lb/> innen viel aͤhnliches zwiſchen ihnen und den Zigeu-<lb/> nern zu finden glaubt. Sie pluͤndern eben ſowohl<lb/> als jene. Aber ſie pluͤndern ebenfalls nur aus Hun-<lb/> gersnoth; und aus Hungersnoth zu rauben, iſt,<lb/> wie bekannt, den buͤrgerlichen Rechten nach, kein<lb/> Diebſtahl. Sie rauben alſo nur Berufs wegen!</p><lb/> <p>Jch weis nicht, warum ich mich ſo gern elender<lb/> Schriftſteller annehme. Vielleicht geſchieht es bloß<lb/> aus einer allgemeinen Menſchenliebe: Vielleicht aber<lb/> koͤmmt es auch von einigen Vorurtheilen her, die<lb/> ich noch von meiner erſten Jugend behalten habe,<lb/> und welche machen, daß ich dergleichen Scribenten<lb/> nicht anſehen kann, ohne mitleidig geruͤhrt zu wer-<lb/> den. „Schreib, mein Sohn! Schreib, und ſchaͤ-<lb/> „me dich nicht! Schreib unermuͤdet; denn die<lb/> „Natur hat dir geſunde Finger gegeben!„ Die-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">ſes</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [152/0152]
Hinkmars von Repkow
nehmen. Die Verwunderung, die ſich ein Zigeu-
ner bey dem Poͤbel durch ſein Wahrſagen zuwege
bringt, iſt der Verwunderung ſehr gleich, die ein Rei-
mer durch ſeinen betaͤubenden Witz bey dem leſenden
Poͤbel erhaͤlt. Unter den leſenden Poͤbel aber rech-
ne ich Leute von allerley Stande; und wollte man
mich gerichtlich anhalten, dieſe Art von Poͤbel ge-
nauer zu beſtimmen; ſo koͤnnte es freylich geſchehen,
daß man Maͤnner in Magiſter- und Doctorhuͤthen,
Maͤnner mit Sternen auf der Bruſt, Maͤnner in ehr-
wuͤrdiger Kleidung darunter antraͤfe. Was die Raͤu-
bereyen der Zigeuner anbelangt, ſo haben ſich meine
Poeten gar nicht zu ſchaͤmen, wenn man auch dar-
innen viel aͤhnliches zwiſchen ihnen und den Zigeu-
nern zu finden glaubt. Sie pluͤndern eben ſowohl
als jene. Aber ſie pluͤndern ebenfalls nur aus Hun-
gersnoth; und aus Hungersnoth zu rauben, iſt,
wie bekannt, den buͤrgerlichen Rechten nach, kein
Diebſtahl. Sie rauben alſo nur Berufs wegen!
Jch weis nicht, warum ich mich ſo gern elender
Schriftſteller annehme. Vielleicht geſchieht es bloß
aus einer allgemeinen Menſchenliebe: Vielleicht aber
koͤmmt es auch von einigen Vorurtheilen her, die
ich noch von meiner erſten Jugend behalten habe,
und welche machen, daß ich dergleichen Scribenten
nicht anſehen kann, ohne mitleidig geruͤhrt zu wer-
den. „Schreib, mein Sohn! Schreib, und ſchaͤ-
„me dich nicht! Schreib unermuͤdet; denn die
„Natur hat dir geſunde Finger gegeben!„ Die-
ſes
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |