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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
gebaut gewesen, daß er mich in diesem Stücke zu
einer merklichen Eigenliebe, oder zu besonders sorgfäl-
tigen Beschäfftigungen bewogen hätte. Jch berufe
mich hierinnen auf den guten Geschmack meiner ver-
storbnen Frau, welche in ihrem Leben viel Körper
gekannt hat, in deren Umgange sie weit mehr an-
nehmliches und artiges zu finden vermeynte, als
bey mir. Jch verlange also, daß man wenigstens
meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ver-
dächtig seyn sollte. Jn Sachen, welche die Kör-
per und Menschengesichter angehen, kann man
dem Ausspruche solcher Frauenzimmer, wie mein
liebes Weib war, sicher trauen; in andern Dingen
hingegen, welche den Verstand betreffen, bin ich gar
wohl zufrieden, daß man gründliche Beweise fo-
dere. Diese kleine Ausschweifung ist um so viel
nöthiger gewesen, je mehr einem Geschichtschreiber
daran liegt, daß man gegen seine Erzählungen nicht
mistrauisch sey, oder seine Nachrichten für verdäch-
tig halte. Jch erwarte also von meinen Lesern ohne
weitere Complimente, daß sie in diese Gleichgültig-
keit meiner Seele gegen ihren Körper weiter keinen
Zweifel setzen. Der einzigen Chloris will ich nicht
zumuthen, solches zu glauben; denn diese beschäfftigt
sich mit nichts, als mit ihrem Gesichte, und einigen
seufzenden Schäfern, denen nichts, als ihr Körper,
und sehr wenig von der Seele bekannt ist, es müß-
ten denn eine zärtliche Seele, eine holde Seele, ei-
ne grausame Seele, eine verzweifelnde Seele, oder
andre dergleichen Seelen seyn, welche die arkadi-
schen Dichter mit verliebten Händen alle Stunden

schaffen

Ein Traum
gebaut geweſen, daß er mich in dieſem Stuͤcke zu
einer merklichen Eigenliebe, oder zu beſonders ſorgfaͤl-
tigen Beſchaͤfftigungen bewogen haͤtte. Jch berufe
mich hierinnen auf den guten Geſchmack meiner ver-
ſtorbnen Frau, welche in ihrem Leben viel Koͤrper
gekannt hat, in deren Umgange ſie weit mehr an-
nehmliches und artiges zu finden vermeynte, als
bey mir. Jch verlange alſo, daß man wenigſtens
meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ver-
daͤchtig ſeyn ſollte. Jn Sachen, welche die Koͤr-
per und Menſchengeſichter angehen, kann man
dem Ausſpruche ſolcher Frauenzimmer, wie mein
liebes Weib war, ſicher trauen; in andern Dingen
hingegen, welche den Verſtand betreffen, bin ich gar
wohl zufrieden, daß man gruͤndliche Beweiſe fo-
dere. Dieſe kleine Ausſchweifung iſt um ſo viel
noͤthiger geweſen, je mehr einem Geſchichtſchreiber
daran liegt, daß man gegen ſeine Erzaͤhlungen nicht
mistrauiſch ſey, oder ſeine Nachrichten fuͤr verdaͤch-
tig halte. Jch erwarte alſo von meinen Leſern ohne
weitere Complimente, daß ſie in dieſe Gleichguͤltig-
keit meiner Seele gegen ihren Koͤrper weiter keinen
Zweifel ſetzen. Der einzigen Chloris will ich nicht
zumuthen, ſolches zu glauben; denn dieſe beſchaͤfftigt
ſich mit nichts, als mit ihrem Geſichte, und einigen
ſeufzenden Schaͤfern, denen nichts, als ihr Koͤrper,
und ſehr wenig von der Seele bekannt iſt, es muͤß-
ten denn eine zaͤrtliche Seele, eine holde Seele, ei-
ne grauſame Seele, eine verzweifelnde Seele, oder
andre dergleichen Seelen ſeyn, welche die arkadi-
ſchen Dichter mit verliebten Haͤnden alle Stunden

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[18/0018] Ein Traum gebaut geweſen, daß er mich in dieſem Stuͤcke zu einer merklichen Eigenliebe, oder zu beſonders ſorgfaͤl- tigen Beſchaͤfftigungen bewogen haͤtte. Jch berufe mich hierinnen auf den guten Geſchmack meiner ver- ſtorbnen Frau, welche in ihrem Leben viel Koͤrper gekannt hat, in deren Umgange ſie weit mehr an- nehmliches und artiges zu finden vermeynte, als bey mir. Jch verlange alſo, daß man wenigſtens meiner Frau glaube, wenn auch mein Zeugniß ver- daͤchtig ſeyn ſollte. Jn Sachen, welche die Koͤr- per und Menſchengeſichter angehen, kann man dem Ausſpruche ſolcher Frauenzimmer, wie mein liebes Weib war, ſicher trauen; in andern Dingen hingegen, welche den Verſtand betreffen, bin ich gar wohl zufrieden, daß man gruͤndliche Beweiſe fo- dere. Dieſe kleine Ausſchweifung iſt um ſo viel noͤthiger geweſen, je mehr einem Geſchichtſchreiber daran liegt, daß man gegen ſeine Erzaͤhlungen nicht mistrauiſch ſey, oder ſeine Nachrichten fuͤr verdaͤch- tig halte. Jch erwarte alſo von meinen Leſern ohne weitere Complimente, daß ſie in dieſe Gleichguͤltig- keit meiner Seele gegen ihren Koͤrper weiter keinen Zweifel ſetzen. Der einzigen Chloris will ich nicht zumuthen, ſolches zu glauben; denn dieſe beſchaͤfftigt ſich mit nichts, als mit ihrem Geſichte, und einigen ſeufzenden Schaͤfern, denen nichts, als ihr Koͤrper, und ſehr wenig von der Seele bekannt iſt, es muͤß- ten denn eine zaͤrtliche Seele, eine holde Seele, ei- ne grauſame Seele, eine verzweifelnde Seele, oder andre dergleichen Seelen ſeyn, welche die arkadi- ſchen Dichter mit verliebten Haͤnden alle Stunden ſchaffen

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/18>, abgerufen am 29.04.2024.