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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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von den abgeschiednen Seelen.
schaffen und wieder zernichten können. Chloris
mag es also immer nicht glauben; ich bin es zufrie-
den. Sie soll mir es aber auch nicht verwehren, zu
behaupten, daß ihre Seele nach dem Tode bestän-
dig um ihren Nachttisch vor ihrem Spiegel, und um
ihren Körper herumflattern, und vielleicht selbst be-
schäfftigt seyn wird, diesen noch im Sarge zu putzen.
Jch komme wieder auf mich.

Sobald ich meinen erblaßten Körper vor
mir sahe, so eilte ich zu meinem Schreibepulte.
Das habe ich gedacht, wird die erbitterte Chloris
aus Rachbegierde rufen, das habe ich gleich ge-
dacht! Die mürrischen Gelehrten werfen uns be-
ständig den Nachttisch vor, und vielmals begehen
sie doch vor ihrem Schreibepulte eben diejenigen
Schwachheiten, welche man an uns vor unserm
Nachttische kaum warnehmen wird. Mit ihrer Fe-
der und Dinte treiben sie mehr Eitelkeiten, als wir
mit unsrer Schminke und mit dem Brenneisen. Jn
ihren Schriften bewundern sie vielmals ihre prächti-
ge Größe und gelehrte Schönheit mehr, und doch mit
wenigerer Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre
Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, andern zu ge-
fallen, ihre Eifersucht - - - - Es ist alles wahr,
Chloris, aber itzt will ich weiter erzählen! Auf
meinem Pulte lag der Entwurf zu einer Schrift,
welche ich noch den Abend vorher zu Papiere ge-
bracht hatte. Jch wollte mich mit aller der Hitze,
welche mir und vielen Gelehrten so natürlich ist,
der Feder bemächtigen, um zum Troste meiner
kritischen Mitbrüder diese wichtige Schrift zu Stan-

de
B 2

von den abgeſchiednen Seelen.
ſchaffen und wieder zernichten koͤnnen. Chloris
mag es alſo immer nicht glauben; ich bin es zufrie-
den. Sie ſoll mir es aber auch nicht verwehren, zu
behaupten, daß ihre Seele nach dem Tode beſtaͤn-
dig um ihren Nachttiſch vor ihrem Spiegel, und um
ihren Koͤrper herumflattern, und vielleicht ſelbſt be-
ſchaͤfftigt ſeyn wird, dieſen noch im Sarge zu putzen.
Jch komme wieder auf mich.

Sobald ich meinen erblaßten Koͤrper vor
mir ſahe, ſo eilte ich zu meinem Schreibepulte.
Das habe ich gedacht, wird die erbitterte Chloris
aus Rachbegierde rufen, das habe ich gleich ge-
dacht! Die muͤrriſchen Gelehrten werfen uns be-
ſtaͤndig den Nachttiſch vor, und vielmals begehen
ſie doch vor ihrem Schreibepulte eben diejenigen
Schwachheiten, welche man an uns vor unſerm
Nachttiſche kaum warnehmen wird. Mit ihrer Fe-
der und Dinte treiben ſie mehr Eitelkeiten, als wir
mit unſrer Schminke und mit dem Brenneiſen. Jn
ihren Schriften bewundern ſie vielmals ihre praͤchti-
ge Groͤße und gelehrte Schoͤnheit mehr, und doch mit
wenigerer Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre
Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, andern zu ge-
fallen, ihre Eiferſucht ‒ ‒ ‒ ‒ Es iſt alles wahr,
Chloris, aber itzt will ich weiter erzaͤhlen! Auf
meinem Pulte lag der Entwurf zu einer Schrift,
welche ich noch den Abend vorher zu Papiere ge-
bracht hatte. Jch wollte mich mit aller der Hitze,
welche mir und vielen Gelehrten ſo natuͤrlich iſt,
der Feder bemaͤchtigen, um zum Troſte meiner
kritiſchen Mitbruͤder dieſe wichtige Schrift zu Stan-

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[19/0019] von den abgeſchiednen Seelen. ſchaffen und wieder zernichten koͤnnen. Chloris mag es alſo immer nicht glauben; ich bin es zufrie- den. Sie ſoll mir es aber auch nicht verwehren, zu behaupten, daß ihre Seele nach dem Tode beſtaͤn- dig um ihren Nachttiſch vor ihrem Spiegel, und um ihren Koͤrper herumflattern, und vielleicht ſelbſt be- ſchaͤfftigt ſeyn wird, dieſen noch im Sarge zu putzen. Jch komme wieder auf mich. Sobald ich meinen erblaßten Koͤrper vor mir ſahe, ſo eilte ich zu meinem Schreibepulte. Das habe ich gedacht, wird die erbitterte Chloris aus Rachbegierde rufen, das habe ich gleich ge- dacht! Die muͤrriſchen Gelehrten werfen uns be- ſtaͤndig den Nachttiſch vor, und vielmals begehen ſie doch vor ihrem Schreibepulte eben diejenigen Schwachheiten, welche man an uns vor unſerm Nachttiſche kaum warnehmen wird. Mit ihrer Fe- der und Dinte treiben ſie mehr Eitelkeiten, als wir mit unſrer Schminke und mit dem Brenneiſen. Jn ihren Schriften bewundern ſie vielmals ihre praͤchti- ge Groͤße und gelehrte Schoͤnheit mehr, und doch mit wenigerer Gewißheit, als wir uns in Spiegeln. Jhre Eigenliebe, ihr Stolz, ihre Begierde, andern zu ge- fallen, ihre Eiferſucht ‒ ‒ ‒ ‒ Es iſt alles wahr, Chloris, aber itzt will ich weiter erzaͤhlen! Auf meinem Pulte lag der Entwurf zu einer Schrift, welche ich noch den Abend vorher zu Papiere ge- bracht hatte. Jch wollte mich mit aller der Hitze, welche mir und vielen Gelehrten ſo natuͤrlich iſt, der Feder bemaͤchtigen, um zum Troſte meiner kritiſchen Mitbruͤder dieſe wichtige Schrift zu Stan- de B 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/19>, abgerufen am 29.04.2024.