Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von den abgeschiednen Seelen.
keit bewundern, als außer ihnen sonst niemand wahr-
nehmen kann.

Vielleicht würde ich in dieser Stellung noch
lange geblieben seyn, wenn ich nicht im Traume
das freudige Schrecken wahrgenommen hätte, wel-
ches meine ungeduldigen Erben überfiel. Sie
eilten so hungrig zu meinem Bette, als wenn ein
Raub auszutheilen wäre. Jst er todt? Jst er
auch gewiß todt? schrien sie. Ja! Endlich einmal
ist er im Ernste todt! Geschwinde schickt nach dem
Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen! ant-
wortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, wel-
che durch mein Absterben alle diejenigen Tugenden
zu erben hoffte, welche gewisse gründliche Liebhaber
bey ihr zeither vergebens gesucht, und ihr um des-
willen die Freyheit zu ihrem großen Verdrusse nicht
geraubt hatten; diese Muhme vergoß viel Thränen,
und würde mich, wegen ihrer unvermutheten Be-
kümmerniß in großer Ungewißheit gelassen haben,
wenn sie nicht alsbald, unter herzlicher Aufhebung
ihrer Hände, mit lauter Stimme geseufzet hätte:
Der ehrliche Vetter! Tröste ihn Gott! Es ist ihm
recht wohl! Wir wollen ihm seine Ruhe gönnen!
Dieses war die Losung zum Plündern. Den ersten
Sturm hatte meine Geldeasse auszustehen. Mei-
nen Kleidern und meinem Geräthe gieng es eben so.
Sie thaten alles in eine Kammer, welche sie, wie ich
hörte, wollten versiegeln lassen, und zwar von einem
gewissen Manne, dessen Name mir entfallen ist, wel-
cher aber ein ehrlicher und glaubwürdiger Mann
seyn sollte, weil er ein großes Petschaft und zween Zeu-

gen
B 3

von den abgeſchiednen Seelen.
keit bewundern, als außer ihnen ſonſt niemand wahr-
nehmen kann.

Vielleicht wuͤrde ich in dieſer Stellung noch
lange geblieben ſeyn, wenn ich nicht im Traume
das freudige Schrecken wahrgenommen haͤtte, wel-
ches meine ungeduldigen Erben uͤberfiel. Sie
eilten ſo hungrig zu meinem Bette, als wenn ein
Raub auszutheilen waͤre. Jſt er todt? Jſt er
auch gewiß todt? ſchrien ſie. Ja! Endlich einmal
iſt er im Ernſte todt! Geſchwinde ſchickt nach dem
Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen! ant-
wortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, wel-
che durch mein Abſterben alle diejenigen Tugenden
zu erben hoffte, welche gewiſſe gruͤndliche Liebhaber
bey ihr zeither vergebens geſucht, und ihr um des-
willen die Freyheit zu ihrem großen Verdruſſe nicht
geraubt hatten; dieſe Muhme vergoß viel Thraͤnen,
und wuͤrde mich, wegen ihrer unvermutheten Be-
kuͤmmerniß in großer Ungewißheit gelaſſen haben,
wenn ſie nicht alsbald, unter herzlicher Aufhebung
ihrer Haͤnde, mit lauter Stimme geſeufzet haͤtte:
Der ehrliche Vetter! Troͤſte ihn Gott! Es iſt ihm
recht wohl! Wir wollen ihm ſeine Ruhe goͤnnen!
Dieſes war die Loſung zum Pluͤndern. Den erſten
Sturm hatte meine Geldeaſſe auszuſtehen. Mei-
nen Kleidern und meinem Geraͤthe gieng es eben ſo.
Sie thaten alles in eine Kammer, welche ſie, wie ich
hoͤrte, wollten verſiegeln laſſen, und zwar von einem
gewiſſen Manne, deſſen Name mir entfallen iſt, wel-
cher aber ein ehrlicher und glaubwuͤrdiger Mann
ſeyn ſollte, weil er ein großes Petſchaft und zween Zeu-

gen
B 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0021" n="21"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von den abge&#x017F;chiednen Seelen.</hi></fw><lb/>
keit bewundern, als außer ihnen &#x017F;on&#x017F;t niemand wahr-<lb/>
nehmen kann.</p><lb/>
        <p>Vielleicht wu&#x0364;rde ich in die&#x017F;er Stellung noch<lb/>
lange geblieben &#x017F;eyn, wenn ich nicht im Traume<lb/>
das freudige Schrecken wahrgenommen ha&#x0364;tte, wel-<lb/>
ches meine ungeduldigen Erben u&#x0364;berfiel. Sie<lb/>
eilten &#x017F;o hungrig zu meinem Bette, als wenn ein<lb/>
Raub auszutheilen wa&#x0364;re. J&#x017F;t er todt? J&#x017F;t er<lb/>
auch gewiß todt? &#x017F;chrien &#x017F;ie. Ja! Endlich einmal<lb/>
i&#x017F;t er im Ern&#x017F;te todt! Ge&#x017F;chwinde &#x017F;chickt nach dem<lb/>
Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen! ant-<lb/>
wortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, wel-<lb/>
che durch mein Ab&#x017F;terben alle diejenigen Tugenden<lb/>
zu erben hoffte, welche gewi&#x017F;&#x017F;e gru&#x0364;ndliche Liebhaber<lb/>
bey ihr zeither vergebens ge&#x017F;ucht, und ihr um des-<lb/>
willen die Freyheit zu ihrem großen Verdru&#x017F;&#x017F;e nicht<lb/>
geraubt hatten; die&#x017F;e Muhme vergoß viel Thra&#x0364;nen,<lb/>
und wu&#x0364;rde mich, wegen ihrer unvermutheten Be-<lb/>
ku&#x0364;mmerniß in großer Ungewißheit gela&#x017F;&#x017F;en haben,<lb/>
wenn &#x017F;ie nicht alsbald, unter herzlicher Aufhebung<lb/>
ihrer Ha&#x0364;nde, mit lauter Stimme ge&#x017F;eufzet ha&#x0364;tte:<lb/>
Der ehrliche Vetter! Tro&#x0364;&#x017F;te ihn Gott! Es i&#x017F;t ihm<lb/>
recht wohl! Wir wollen ihm &#x017F;eine Ruhe go&#x0364;nnen!<lb/>
Die&#x017F;es war die Lo&#x017F;ung zum Plu&#x0364;ndern. Den er&#x017F;ten<lb/>
Sturm hatte meine Geldea&#x017F;&#x017F;e auszu&#x017F;tehen. Mei-<lb/>
nen Kleidern und meinem Gera&#x0364;the gieng es eben &#x017F;o.<lb/>
Sie thaten alles in eine Kammer, welche &#x017F;ie, wie ich<lb/>
ho&#x0364;rte, wollten ver&#x017F;iegeln la&#x017F;&#x017F;en, und zwar von einem<lb/>
gewi&#x017F;&#x017F;en Manne, de&#x017F;&#x017F;en Name mir entfallen i&#x017F;t, wel-<lb/>
cher aber ein ehrlicher und glaubwu&#x0364;rdiger Mann<lb/>
&#x017F;eyn &#x017F;ollte, weil er ein großes Pet&#x017F;chaft und zween Zeu-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">B 3</fw><fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[21/0021] von den abgeſchiednen Seelen. keit bewundern, als außer ihnen ſonſt niemand wahr- nehmen kann. Vielleicht wuͤrde ich in dieſer Stellung noch lange geblieben ſeyn, wenn ich nicht im Traume das freudige Schrecken wahrgenommen haͤtte, wel- ches meine ungeduldigen Erben uͤberfiel. Sie eilten ſo hungrig zu meinem Bette, als wenn ein Raub auszutheilen waͤre. Jſt er todt? Jſt er auch gewiß todt? ſchrien ſie. Ja! Endlich einmal iſt er im Ernſte todt! Geſchwinde ſchickt nach dem Sarge, daß wir ihn unter die Erde bringen! ant- wortete ein Vetter von mir, und eine Muhme, wel- che durch mein Abſterben alle diejenigen Tugenden zu erben hoffte, welche gewiſſe gruͤndliche Liebhaber bey ihr zeither vergebens geſucht, und ihr um des- willen die Freyheit zu ihrem großen Verdruſſe nicht geraubt hatten; dieſe Muhme vergoß viel Thraͤnen, und wuͤrde mich, wegen ihrer unvermutheten Be- kuͤmmerniß in großer Ungewißheit gelaſſen haben, wenn ſie nicht alsbald, unter herzlicher Aufhebung ihrer Haͤnde, mit lauter Stimme geſeufzet haͤtte: Der ehrliche Vetter! Troͤſte ihn Gott! Es iſt ihm recht wohl! Wir wollen ihm ſeine Ruhe goͤnnen! Dieſes war die Loſung zum Pluͤndern. Den erſten Sturm hatte meine Geldeaſſe auszuſtehen. Mei- nen Kleidern und meinem Geraͤthe gieng es eben ſo. Sie thaten alles in eine Kammer, welche ſie, wie ich hoͤrte, wollten verſiegeln laſſen, und zwar von einem gewiſſen Manne, deſſen Name mir entfallen iſt, wel- cher aber ein ehrlicher und glaubwuͤrdiger Mann ſeyn ſollte, weil er ein großes Petſchaft und zween Zeu- gen B 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/21
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/21>, abgerufen am 29.04.2024.