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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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zum deutschen Wörterbuche.
haft, als schön, wäre; und vergötterte Leonoren
wegen ihrer ehelichen Treue. Wegen ihrer ehelichen
Treue? Das klingt sehr altväterisch! Es kann wohl
seyn; aber es ist auch schon lange, daß Phokles
gestorben ist. Er starb in eben dem Jahre, als
kein Lasterhafter glücklich, kein Philosoph ein Pe-
dant, keine junge Wittwe verbult, kein junger
Herr in sich selbst verliebt, kein vornehmer Mann
ein Verächter der schönen Wissenschaften, kein
Richter geldgierig, kein Advocat ein Lügner, kein
Wuchrer niederträchtig, und noch kein Narr ge-
ehrt war. Jn diesem Jahre starb Phokles. Jst
es also wohl ein Wunder, wenn uns seine Lobgedich-
te altväterisch vorkommen? Dieses muß ich noch er-
innern, daß Phokles alle andern Dichter für größre
Dichter hielt, als sich selbst; daß er vor Vergnü-
gen außer sich war, so oft er ein schönes Gedicht
von einem andern zu lesen bekam; daß er in frem-
den Werken die Fehler andrer übersah, und ent-
schuldigte, und nur gegen seine eignen Schriften
ein unparteyischer und unerbittlicher Richter war;
daß er niemals mehr erröthete, als wenn man der
Schönheit seiner Gedichte Gerechtigkeit widerfah-
ren ließ: und daß er aus einem kleinen Eigensinne,
oder vielmehr aus einer unzeitigen Furchtsamkeit, alle
Gelegenheit vermied, seine Gedichte unter die Leu-
te, oder, wie wir es heut zu Tage nennen, auf
die Nachwelt zu bringen; denn das muß man wissen,
daß dieser Ausdruck damals sehr selten vorkam.
Eben dieses bescheidne Mistrauen ist Ursache, daß

wir

zum deutſchen Woͤrterbuche.
haft, als ſchoͤn, waͤre; und vergoͤtterte Leonoren
wegen ihrer ehelichen Treue. Wegen ihrer ehelichen
Treue? Das klingt ſehr altvaͤteriſch! Es kann wohl
ſeyn; aber es iſt auch ſchon lange, daß Phokles
geſtorben iſt. Er ſtarb in eben dem Jahre, als
kein Laſterhafter gluͤcklich, kein Philoſoph ein Pe-
dant, keine junge Wittwe verbult, kein junger
Herr in ſich ſelbſt verliebt, kein vornehmer Mann
ein Veraͤchter der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, kein
Richter geldgierig, kein Advocat ein Luͤgner, kein
Wuchrer niedertraͤchtig, und noch kein Narr ge-
ehrt war. Jn dieſem Jahre ſtarb Phokles. Jſt
es alſo wohl ein Wunder, wenn uns ſeine Lobgedich-
te altvaͤteriſch vorkommen? Dieſes muß ich noch er-
innern, daß Phokles alle andern Dichter fuͤr groͤßre
Dichter hielt, als ſich ſelbſt; daß er vor Vergnuͤ-
gen außer ſich war, ſo oft er ein ſchoͤnes Gedicht
von einem andern zu leſen bekam; daß er in frem-
den Werken die Fehler andrer uͤberſah, und ent-
ſchuldigte, und nur gegen ſeine eignen Schriften
ein unparteyiſcher und unerbittlicher Richter war;
daß er niemals mehr erroͤthete, als wenn man der
Schoͤnheit ſeiner Gedichte Gerechtigkeit widerfah-
ren ließ: und daß er aus einem kleinen Eigenſinne,
oder vielmehr aus einer unzeitigen Furchtſamkeit, alle
Gelegenheit vermied, ſeine Gedichte unter die Leu-
te, oder, wie wir es heut zu Tage nennen, auf
die Nachwelt zu bringen; denn das muß man wiſſen,
daß dieſer Ausdruck damals ſehr ſelten vorkam.
Eben dieſes beſcheidne Mistrauen iſt Urſache, daß

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[223/0223] zum deutſchen Woͤrterbuche. haft, als ſchoͤn, waͤre; und vergoͤtterte Leonoren wegen ihrer ehelichen Treue. Wegen ihrer ehelichen Treue? Das klingt ſehr altvaͤteriſch! Es kann wohl ſeyn; aber es iſt auch ſchon lange, daß Phokles geſtorben iſt. Er ſtarb in eben dem Jahre, als kein Laſterhafter gluͤcklich, kein Philoſoph ein Pe- dant, keine junge Wittwe verbult, kein junger Herr in ſich ſelbſt verliebt, kein vornehmer Mann ein Veraͤchter der ſchoͤnen Wiſſenſchaften, kein Richter geldgierig, kein Advocat ein Luͤgner, kein Wuchrer niedertraͤchtig, und noch kein Narr ge- ehrt war. Jn dieſem Jahre ſtarb Phokles. Jſt es alſo wohl ein Wunder, wenn uns ſeine Lobgedich- te altvaͤteriſch vorkommen? Dieſes muß ich noch er- innern, daß Phokles alle andern Dichter fuͤr groͤßre Dichter hielt, als ſich ſelbſt; daß er vor Vergnuͤ- gen außer ſich war, ſo oft er ein ſchoͤnes Gedicht von einem andern zu leſen bekam; daß er in frem- den Werken die Fehler andrer uͤberſah, und ent- ſchuldigte, und nur gegen ſeine eignen Schriften ein unparteyiſcher und unerbittlicher Richter war; daß er niemals mehr erroͤthete, als wenn man der Schoͤnheit ſeiner Gedichte Gerechtigkeit widerfah- ren ließ: und daß er aus einem kleinen Eigenſinne, oder vielmehr aus einer unzeitigen Furchtſamkeit, alle Gelegenheit vermied, ſeine Gedichte unter die Leu- te, oder, wie wir es heut zu Tage nennen, auf die Nachwelt zu bringen; denn das muß man wiſſen, daß dieſer Ausdruck damals ſehr ſelten vorkam. Eben dieſes beſcheidne Mistrauen iſt Urſache, daß wir

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/223>, abgerufen am 27.11.2024.