Dieses quid enim? würde sich im Deutschen nicht besser ausdrücken lassen, als durch: Jst das wohl Wunder? Machen es unsre Frauen- zimmer nicht alle so? Was aber unsre Frauen- zimmer alle thun, das ist wohl keine Fabel.
Jch war anfänglich Willens, unter diese fehler- haften Fabeln des Phädrus seine sechste Erzählung im zweyten Buche von dem geschäfftigen Müßig- gange zu rechnen. Es hat mich aber ein guter Freund davon abzubringen gesucht, weil er glaubt, es sey dieses keine wirkliche Erzählung, sondern eine Allegorie, und gehe eigentlich auf die jungen Advocaten, welchen zwar wegen ihrer Unerfahren- heit noch niemand seinen Rechtshandel anvertraut, die aber dennoch gar zu gern sehr beschäfftigt aus- sehen wollen, und um deswillen flüchtig durch die Gassen laufen; niemals ausgehen, ohne ein Stück- chen Acten im Busen zu haben; die Richterstube belagert halten, ohne hinein zu gehen; alle Bau- ern, die ihnen begegnen, anreden; alle Gesell- schaften mit ihrem casu in Terminis quälen; von ihren gewonnenen Processen so viel Aufhebens ma- chen, als mancher junger Officier von dem schlesi- schen Feldzuge nicht thut; welche ganz erhitzt, und tiefsinnig aussehen, wenn sie Mittags um zwölf Uhr vom Rathhause kommen, damit man glauben soll sie hätten sich mit ihrem Gegner gezankt; mit einem Worte, welche vor langer Weile sterben müß-
ten,
Beytrag
Dieſes quid enim? wuͤrde ſich im Deutſchen nicht beſſer ausdruͤcken laſſen, als durch: Jſt das wohl Wunder? Machen es unſre Frauen- zimmer nicht alle ſo? Was aber unſre Frauen- zimmer alle thun, das iſt wohl keine Fabel.
Jch war anfaͤnglich Willens, unter dieſe fehler- haften Fabeln des Phaͤdrus ſeine ſechſte Erzaͤhlung im zweyten Buche von dem geſchaͤfftigen Muͤßig- gange zu rechnen. Es hat mich aber ein guter Freund davon abzubringen geſucht, weil er glaubt, es ſey dieſes keine wirkliche Erzaͤhlung, ſondern eine Allegorie, und gehe eigentlich auf die jungen Advocaten, welchen zwar wegen ihrer Unerfahren- heit noch niemand ſeinen Rechtshandel anvertraut, die aber dennoch gar zu gern ſehr beſchaͤfftigt aus- ſehen wollen, und um deswillen fluͤchtig durch die Gaſſen laufen; niemals ausgehen, ohne ein Stuͤck- chen Acten im Buſen zu haben; die Richterſtube belagert halten, ohne hinein zu gehen; alle Bau- ern, die ihnen begegnen, anreden; alle Geſell- ſchaften mit ihrem caſu in Terminis quaͤlen; von ihren gewonnenen Proceſſen ſo viel Aufhebens ma- chen, als mancher junger Officier von dem ſchleſi- ſchen Feldzuge nicht thut; welche ganz erhitzt, und tiefſinnig ausſehen, wenn ſie Mittags um zwoͤlf Uhr vom Rathhauſe kommen, damit man glauben ſoll ſie haͤtten ſich mit ihrem Gegner gezankt; mit einem Worte, welche vor langer Weile ſterben muͤß-
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[228/0228]
Beytrag
Dieſes quid enim? wuͤrde ſich im Deutſchen nicht
beſſer ausdruͤcken laſſen, als durch: Jſt das
wohl Wunder? Machen es unſre Frauen-
zimmer nicht alle ſo? Was aber unſre Frauen-
zimmer alle thun, das iſt wohl keine Fabel.
Jch war anfaͤnglich Willens, unter dieſe fehler-
haften Fabeln des Phaͤdrus ſeine ſechſte Erzaͤhlung
im zweyten Buche von dem geſchaͤfftigen Muͤßig-
gange zu rechnen. Es hat mich aber ein guter
Freund davon abzubringen geſucht, weil er glaubt,
es ſey dieſes keine wirkliche Erzaͤhlung, ſondern
eine Allegorie, und gehe eigentlich auf die jungen
Advocaten, welchen zwar wegen ihrer Unerfahren-
heit noch niemand ſeinen Rechtshandel anvertraut,
die aber dennoch gar zu gern ſehr beſchaͤfftigt aus-
ſehen wollen, und um deswillen fluͤchtig durch die
Gaſſen laufen; niemals ausgehen, ohne ein Stuͤck-
chen Acten im Buſen zu haben; die Richterſtube
belagert halten, ohne hinein zu gehen; alle Bau-
ern, die ihnen begegnen, anreden; alle Geſell-
ſchaften mit ihrem caſu in Terminis quaͤlen; von
ihren gewonnenen Proceſſen ſo viel Aufhebens ma-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/228>, abgerufen am 17.02.2025.
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