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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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wäre zwar freylich groß, weil sie gemeiniglich wei-
ter kein griechisch verstehen, als dieses; aber es wä-
re doch fein aufrichtig gehandelt.

Jch will noch eine Probe hersetzen, damit man
desto deutlicher sehen könne, wie sehr Phädrus
wider diese Regel verstoßen habe. Jst wohl eine Ge-
schichte wahrscheinlicher, als diese, daß eine häß-
lichgebildete Schwester sich über ihren Bruder
erzürnt, welcher seine schöne Bildung gegen sie
gerühmt; daß es einen jungen Menschen gegeben
habe, welcher seine Gestalt im Spiegel bewundert;
und daß ein Frauenzimmer um Rache geschrien,
als sie wegen ihrer Häßlichkeit verspottet worden?
Nimmermehr gebe ich zu, daß dieses eine Fabel
sey; und wenn man mir widersprechen wollte, so
behaupte ich, daß meine andächtige Nachbarinn,
welche ihren Mann alle Wochen wenigstens ein-
mal mit dem Pantoffel schlägt, auch unter die
Fabeln gehöre. Dieses aber wird man ihren ge-
plagten Mann, der die wirkliche Existenz seiner
Frau gar zu wohl fühlt, nimmermehr bereden.
Es scheint auch fast, als ob Phädrus seinen Fehler
selber gemerkt hätte. Er spricht.

- - Illa irascitur.
Accipiens, (quid enim?) cuncta in contumeliam.

Dieses
Zweyter Theil. P 2

zum deutſchen Woͤrterbuche.
waͤre zwar freylich groß, weil ſie gemeiniglich wei-
ter kein griechiſch verſtehen, als dieſes; aber es waͤ-
re doch fein aufrichtig gehandelt.

Jch will noch eine Probe herſetzen, damit man
deſto deutlicher ſehen koͤnne, wie ſehr Phaͤdrus
wider dieſe Regel verſtoßen habe. Jſt wohl eine Ge-
ſchichte wahrſcheinlicher, als dieſe, daß eine haͤß-
lichgebildete Schweſter ſich uͤber ihren Bruder
erzuͤrnt, welcher ſeine ſchoͤne Bildung gegen ſie
geruͤhmt; daß es einen jungen Menſchen gegeben
habe, welcher ſeine Geſtalt im Spiegel bewundert;
und daß ein Frauenzimmer um Rache geſchrien,
als ſie wegen ihrer Haͤßlichkeit verſpottet worden?
Nimmermehr gebe ich zu, daß dieſes eine Fabel
ſey; und wenn man mir widerſprechen wollte, ſo
behaupte ich, daß meine andaͤchtige Nachbarinn,
welche ihren Mann alle Wochen wenigſtens ein-
mal mit dem Pantoffel ſchlaͤgt, auch unter die
Fabeln gehoͤre. Dieſes aber wird man ihren ge-
plagten Mann, der die wirkliche Exiſtenz ſeiner
Frau gar zu wohl fuͤhlt, nimmermehr bereden.
Es ſcheint auch faſt, als ob Phaͤdrus ſeinen Fehler
ſelber gemerkt haͤtte. Er ſpricht.

‒ ‒ Illa iraſcitur.
Accipiens, (quid enim?) cuncta in contumeliam.

Dieſes
Zweyter Theil. P 2
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[227/0227] zum deutſchen Woͤrterbuche. waͤre zwar freylich groß, weil ſie gemeiniglich wei- ter kein griechiſch verſtehen, als dieſes; aber es waͤ- re doch fein aufrichtig gehandelt. Jch will noch eine Probe herſetzen, damit man deſto deutlicher ſehen koͤnne, wie ſehr Phaͤdrus wider dieſe Regel verſtoßen habe. Jſt wohl eine Ge- ſchichte wahrſcheinlicher, als dieſe, daß eine haͤß- lichgebildete Schweſter ſich uͤber ihren Bruder erzuͤrnt, welcher ſeine ſchoͤne Bildung gegen ſie geruͤhmt; daß es einen jungen Menſchen gegeben habe, welcher ſeine Geſtalt im Spiegel bewundert; und daß ein Frauenzimmer um Rache geſchrien, als ſie wegen ihrer Haͤßlichkeit verſpottet worden? Nimmermehr gebe ich zu, daß dieſes eine Fabel ſey; und wenn man mir widerſprechen wollte, ſo behaupte ich, daß meine andaͤchtige Nachbarinn, welche ihren Mann alle Wochen wenigſtens ein- mal mit dem Pantoffel ſchlaͤgt, auch unter die Fabeln gehoͤre. Dieſes aber wird man ihren ge- plagten Mann, der die wirkliche Exiſtenz ſeiner Frau gar zu wohl fuͤhlt, nimmermehr bereden. Es ſcheint auch faſt, als ob Phaͤdrus ſeinen Fehler ſelber gemerkt haͤtte. Er ſpricht. ‒ ‒ Illa iraſcitur. Accipiens, (quid enim?) cuncta in contumeliam. Dieſes Zweyter Theil. P 2

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/227>, abgerufen am 23.11.2024.