Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite
Geheime Nachricht

Die moralischen Narren lagen ihm am Herzen;
Narren, welche oftmals bey gesundem Körper den-
noch die gefährlichsten und ansteckendsten Krankheiten
haben.

Seine Dienstfertigkeit erstreckte sich über ganz
Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in
seiner Cur. Durch eine vieljährige Erfahrung, war
ihm bekannt, daß es mit der moralischen Narrheit
eben die Beschaffenheit habe, wie mit dem Podagra,
mit welchem vornehme Leute am meisten geplagt sind,
Leute von geringerm Stande aber nur selten, oder
doch wenigstens nicht so heftig befallen werden.

Vor etlichen Jahren that man ihm so vortheil-
hafte Vorschläge, daß er sich zu Westmünster nieder-
lassen, und seine Curen daselbst treiben sollte. Er hat
es aber allemal auszuschlagen gesucht, weil er glaub-
te, er sey dieser weitläuftigen Arbeit nicht gewach-
sen, und die Menge der Narren sey daselbst viel
zu zahlreich, als daß er sie in die Cur nehmen könn-
te. Jn Dublin gefiel es ihm am besten, weil da-
selbst gleich so viel Narren waren, als er bestreiten
konnte. Jndessen war er doch so billig, daß er
Westmünster und London von Hause aus mit Re-
cepten versorgte.

Er starb in seinem neun und achtzigsten Jahre,
und doch wünschte er sich selbst, noch etliche Jahre
zu leben, weil er eben im Begriffe war, mit etlichen
angesehnen Patienten eine wichtige Operation vor-

zuneh-
Geheime Nachricht

Die moraliſchen Narren lagen ihm am Herzen;
Narren, welche oftmals bey geſundem Koͤrper den-
noch die gefaͤhrlichſten und anſteckendſten Krankheiten
haben.

Seine Dienſtfertigkeit erſtreckte ſich uͤber ganz
Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in
ſeiner Cur. Durch eine vieljaͤhrige Erfahrung, war
ihm bekannt, daß es mit der moraliſchen Narrheit
eben die Beſchaffenheit habe, wie mit dem Podagra,
mit welchem vornehme Leute am meiſten geplagt ſind,
Leute von geringerm Stande aber nur ſelten, oder
doch wenigſtens nicht ſo heftig befallen werden.

Vor etlichen Jahren that man ihm ſo vortheil-
hafte Vorſchlaͤge, daß er ſich zu Weſtmuͤnſter nieder-
laſſen, und ſeine Curen daſelbſt treiben ſollte. Er hat
es aber allemal auszuſchlagen geſucht, weil er glaub-
te, er ſey dieſer weitlaͤuftigen Arbeit nicht gewach-
ſen, und die Menge der Narren ſey daſelbſt viel
zu zahlreich, als daß er ſie in die Cur nehmen koͤnn-
te. Jn Dublin gefiel es ihm am beſten, weil da-
ſelbſt gleich ſo viel Narren waren, als er beſtreiten
konnte. Jndeſſen war er doch ſo billig, daß er
Weſtmuͤnſter und London von Hauſe aus mit Re-
cepten verſorgte.

Er ſtarb in ſeinem neun und achtzigſten Jahre,
und doch wuͤnſchte er ſich ſelbſt, noch etliche Jahre
zu leben, weil er eben im Begriffe war, mit etlichen
angeſehnen Patienten eine wichtige Operation vor-

zuneh-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0234" n="234"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Geheime Nachricht</hi> </fw><lb/>
        <p>Die morali&#x017F;chen Narren lagen ihm am Herzen;<lb/>
Narren, welche oftmals bey ge&#x017F;undem Ko&#x0364;rper den-<lb/>
noch die gefa&#x0364;hrlich&#x017F;ten und an&#x017F;teckend&#x017F;ten Krankheiten<lb/>
haben.</p><lb/>
        <p>Seine Dien&#x017F;tfertigkeit er&#x017F;treckte &#x017F;ich u&#x0364;ber ganz<lb/>
Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in<lb/>
&#x017F;einer Cur. Durch eine vielja&#x0364;hrige Erfahrung, war<lb/>
ihm bekannt, daß es mit der morali&#x017F;chen Narrheit<lb/>
eben die Be&#x017F;chaffenheit habe, wie mit dem Podagra,<lb/>
mit welchem vornehme Leute am mei&#x017F;ten geplagt &#x017F;ind,<lb/>
Leute von geringerm Stande aber nur &#x017F;elten, oder<lb/>
doch wenig&#x017F;tens nicht &#x017F;o heftig befallen werden.</p><lb/>
        <p>Vor etlichen Jahren that man ihm &#x017F;o vortheil-<lb/>
hafte Vor&#x017F;chla&#x0364;ge, daß er &#x017F;ich zu We&#x017F;tmu&#x0364;n&#x017F;ter nieder-<lb/>
la&#x017F;&#x017F;en, und &#x017F;eine Curen da&#x017F;elb&#x017F;t treiben &#x017F;ollte. Er hat<lb/>
es aber allemal auszu&#x017F;chlagen ge&#x017F;ucht, weil er glaub-<lb/>
te, er &#x017F;ey die&#x017F;er weitla&#x0364;uftigen Arbeit nicht gewach-<lb/>
&#x017F;en, und die Menge der Narren &#x017F;ey da&#x017F;elb&#x017F;t viel<lb/>
zu zahlreich, als daß er &#x017F;ie in die Cur nehmen ko&#x0364;nn-<lb/>
te. Jn Dublin gefiel es ihm am be&#x017F;ten, weil da-<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t gleich &#x017F;o viel Narren waren, als er be&#x017F;treiten<lb/>
konnte. Jnde&#x017F;&#x017F;en war er doch &#x017F;o billig, daß er<lb/>
We&#x017F;tmu&#x0364;n&#x017F;ter und London von Hau&#x017F;e aus mit Re-<lb/>
cepten ver&#x017F;orgte.</p><lb/>
        <p>Er &#x017F;tarb in &#x017F;einem neun und achtzig&#x017F;ten Jahre,<lb/>
und doch wu&#x0364;n&#x017F;chte er &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, noch etliche Jahre<lb/>
zu leben, weil er eben im Begriffe war, mit etlichen<lb/>
ange&#x017F;ehnen Patienten eine wichtige Operation vor-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zuneh-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0234] Geheime Nachricht Die moraliſchen Narren lagen ihm am Herzen; Narren, welche oftmals bey geſundem Koͤrper den- noch die gefaͤhrlichſten und anſteckendſten Krankheiten haben. Seine Dienſtfertigkeit erſtreckte ſich uͤber ganz Großbritannien; und er hatte Lords und Schreiber in ſeiner Cur. Durch eine vieljaͤhrige Erfahrung, war ihm bekannt, daß es mit der moraliſchen Narrheit eben die Beſchaffenheit habe, wie mit dem Podagra, mit welchem vornehme Leute am meiſten geplagt ſind, Leute von geringerm Stande aber nur ſelten, oder doch wenigſtens nicht ſo heftig befallen werden. Vor etlichen Jahren that man ihm ſo vortheil- hafte Vorſchlaͤge, daß er ſich zu Weſtmuͤnſter nieder- laſſen, und ſeine Curen daſelbſt treiben ſollte. Er hat es aber allemal auszuſchlagen geſucht, weil er glaub- te, er ſey dieſer weitlaͤuftigen Arbeit nicht gewach- ſen, und die Menge der Narren ſey daſelbſt viel zu zahlreich, als daß er ſie in die Cur nehmen koͤnn- te. Jn Dublin gefiel es ihm am beſten, weil da- ſelbſt gleich ſo viel Narren waren, als er beſtreiten konnte. Jndeſſen war er doch ſo billig, daß er Weſtmuͤnſter und London von Hauſe aus mit Re- cepten verſorgte. Er ſtarb in ſeinem neun und achtzigſten Jahre, und doch wuͤnſchte er ſich ſelbſt, noch etliche Jahre zu leben, weil er eben im Begriffe war, mit etlichen angeſehnen Patienten eine wichtige Operation vor- zuneh-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/234
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/234>, abgerufen am 23.11.2024.