Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite

von den abgeschiednen Seelen.
"schen, und bey den chrystallnen Fluthen, welche hier
"über diese Kiesel rollen, habe Mitleiden mit dem
"Unglückseligsten!

"Laß mich seufzen, laß mich klagen,
"Und den stummen Buchen sagen,
"Wie mich Sylvia gequält!
"Gönnt mirs ihr verschwiegnen Bäume,
"Daß ich von der Marter träume,
"Die mein Mund so oft erzählt!
"Laß mich seufzen, laß mich klagen,
"Und den stummen Buchen sagen,
"Wie mich Sylvia gequält!

Hier konnte ich mich nicht länger enthalten, über
diesen Opernschäfer zu lachen. "Und du lachst
"noch! schrie er, indem er von der Erde aufsprang.
"Und du spottest noch mit meiner Verzweiflung!

"Nun weis ich Aermster nicht, was weiter übrig ist,
"Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke,
"Vielleicht liebst du mich todt, weil ich dich lebend kränke.

Kaum hatte er diese Worte gesagt, als er von
mir, und in die Sträucher eilte!

Jch erschrack, ich befürchtete; seine Verzweif-
lung dürfte nicht ohne Wirkung seyn. Jch wollte
ihm nachgehen, um seiner Raserey Einhalt zu thun,
aber mein Führer hielt mich zurück. Du kannst
ganz ruhig seyn, sagte er. Dieses ist der Schat-
ten eines von den Schäfern, welche ihr Leben am
höchsten bringen, wenn sie alle Tage verzweifeln,
und welche sich niemals besser aufbefinden, als wenn
sie von Gift und Dolche reden. Er war in seinem
Leben sehr zärtlich, und glaubte, für keine Creatur
schicke es sich besser zärtlich zu seyn, als für einen

Schäfer.

von den abgeſchiednen Seelen.
„ſchen, und bey den chryſtallnen Fluthen, welche hier
„uͤber dieſe Kieſel rollen, habe Mitleiden mit dem
„Ungluͤckſeligſten!

„Laß mich ſeufzen, laß mich klagen,
„Und den ſtummen Buchen ſagen,
„Wie mich Sylvia gequaͤlt!
„Goͤnnt mirs ihr verſchwiegnen Baͤume,
„Daß ich von der Marter traͤume,
„Die mein Mund ſo oft erzaͤhlt!
„Laß mich ſeufzen, laß mich klagen,
„Und den ſtummen Buchen ſagen,
„Wie mich Sylvia gequaͤlt!

Hier konnte ich mich nicht laͤnger enthalten, uͤber
dieſen Opernſchaͤfer zu lachen. „Und du lachſt
„noch! ſchrie er, indem er von der Erde aufſprang.
„Und du ſpotteſt noch mit meiner Verzweiflung!

„Nun weis ich Aermſter nicht, was weiter uͤbrig iſt,
„Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke,
„Vielleicht liebſt du mich todt, weil ich dich lebend kraͤnke.

Kaum hatte er dieſe Worte geſagt, als er von
mir, und in die Straͤucher eilte!

Jch erſchrack, ich befuͤrchtete; ſeine Verzweif-
lung duͤrfte nicht ohne Wirkung ſeyn. Jch wollte
ihm nachgehen, um ſeiner Raſerey Einhalt zu thun,
aber mein Fuͤhrer hielt mich zuruͤck. Du kannſt
ganz ruhig ſeyn, ſagte er. Dieſes iſt der Schat-
ten eines von den Schaͤfern, welche ihr Leben am
hoͤchſten bringen, wenn ſie alle Tage verzweifeln,
und welche ſich niemals beſſer aufbefinden, als wenn
ſie von Gift und Dolche reden. Er war in ſeinem
Leben ſehr zaͤrtlich, und glaubte, fuͤr keine Creatur
ſchicke es ſich beſſer zaͤrtlich zu ſeyn, als fuͤr einen

Schaͤfer.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0063" n="63"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">von den abge&#x017F;chiednen Seelen.</hi></fw><lb/>
&#x201E;&#x017F;chen, und bey den chry&#x017F;tallnen Fluthen, welche hier<lb/>
&#x201E;u&#x0364;ber die&#x017F;e Kie&#x017F;el rollen, habe Mitleiden mit dem<lb/>
&#x201E;Unglu&#x0364;ck&#x017F;elig&#x017F;ten!</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Laß mich &#x017F;eufzen, laß mich klagen,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Und den &#x017F;tummen Buchen &#x017F;agen,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Wie mich Sylvia gequa&#x0364;lt!</l><lb/>
          <l>&#x201E;Go&#x0364;nnt mirs ihr ver&#x017F;chwiegnen Ba&#x0364;ume,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Daß ich von der Marter tra&#x0364;ume,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Die mein Mund &#x017F;o oft erza&#x0364;hlt!</l><lb/>
          <l>&#x201E;Laß mich &#x017F;eufzen, laß mich klagen,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Und den &#x017F;tummen Buchen &#x017F;agen,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Wie mich Sylvia gequa&#x0364;lt!</l>
        </lg><lb/>
        <p>Hier konnte ich mich nicht la&#x0364;nger enthalten, u&#x0364;ber<lb/>
die&#x017F;en Opern&#x017F;cha&#x0364;fer zu lachen. &#x201E;Und du lach&#x017F;t<lb/>
&#x201E;noch! &#x017F;chrie er, indem er von der Erde auf&#x017F;prang.<lb/>
&#x201E;Und du &#x017F;potte&#x017F;t noch mit meiner Verzweiflung!</p><lb/>
        <lg type="poem">
          <l>&#x201E;Nun weis ich Aerm&#x017F;ter nicht, was weiter u&#x0364;brig i&#x017F;t,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Vielleicht lieb&#x017F;t du mich todt, weil ich dich lebend kra&#x0364;nke.</l>
        </lg><lb/>
        <p>Kaum hatte er die&#x017F;e Worte ge&#x017F;agt, als er von<lb/>
mir, und in die Stra&#x0364;ucher eilte!</p><lb/>
        <p>Jch er&#x017F;chrack, ich befu&#x0364;rchtete; &#x017F;eine Verzweif-<lb/>
lung du&#x0364;rfte nicht ohne Wirkung &#x017F;eyn. Jch wollte<lb/>
ihm nachgehen, um &#x017F;einer Ra&#x017F;erey Einhalt zu thun,<lb/>
aber mein Fu&#x0364;hrer hielt mich zuru&#x0364;ck. Du kann&#x017F;t<lb/>
ganz ruhig &#x017F;eyn, &#x017F;agte er. Die&#x017F;es i&#x017F;t der Schat-<lb/>
ten eines von den Scha&#x0364;fern, welche ihr Leben am<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ten bringen, wenn &#x017F;ie alle Tage verzweifeln,<lb/>
und welche &#x017F;ich niemals be&#x017F;&#x017F;er aufbefinden, als wenn<lb/>
&#x017F;ie von Gift und Dolche reden. Er war in &#x017F;einem<lb/>
Leben &#x017F;ehr za&#x0364;rtlich, und glaubte, fu&#x0364;r keine Creatur<lb/>
&#x017F;chicke es &#x017F;ich be&#x017F;&#x017F;er za&#x0364;rtlich zu &#x017F;eyn, als fu&#x0364;r einen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Scha&#x0364;fer.</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0063] von den abgeſchiednen Seelen. „ſchen, und bey den chryſtallnen Fluthen, welche hier „uͤber dieſe Kieſel rollen, habe Mitleiden mit dem „Ungluͤckſeligſten! „Laß mich ſeufzen, laß mich klagen, „Und den ſtummen Buchen ſagen, „Wie mich Sylvia gequaͤlt! „Goͤnnt mirs ihr verſchwiegnen Baͤume, „Daß ich von der Marter traͤume, „Die mein Mund ſo oft erzaͤhlt! „Laß mich ſeufzen, laß mich klagen, „Und den ſtummen Buchen ſagen, „Wie mich Sylvia gequaͤlt! Hier konnte ich mich nicht laͤnger enthalten, uͤber dieſen Opernſchaͤfer zu lachen. „Und du lachſt „noch! ſchrie er, indem er von der Erde aufſprang. „Und du ſpotteſt noch mit meiner Verzweiflung! „Nun weis ich Aermſter nicht, was weiter uͤbrig iſt, „Als daß ich meinen Rumpf an einen Eichbaum henke, „Vielleicht liebſt du mich todt, weil ich dich lebend kraͤnke. Kaum hatte er dieſe Worte geſagt, als er von mir, und in die Straͤucher eilte! Jch erſchrack, ich befuͤrchtete; ſeine Verzweif- lung duͤrfte nicht ohne Wirkung ſeyn. Jch wollte ihm nachgehen, um ſeiner Raſerey Einhalt zu thun, aber mein Fuͤhrer hielt mich zuruͤck. Du kannſt ganz ruhig ſeyn, ſagte er. Dieſes iſt der Schat- ten eines von den Schaͤfern, welche ihr Leben am hoͤchſten bringen, wenn ſie alle Tage verzweifeln, und welche ſich niemals beſſer aufbefinden, als wenn ſie von Gift und Dolche reden. Er war in ſeinem Leben ſehr zaͤrtlich, und glaubte, fuͤr keine Creatur ſchicke es ſich beſſer zaͤrtlich zu ſeyn, als fuͤr einen Schaͤfer.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/63
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/63>, abgerufen am 15.05.2024.