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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Ein Traum
Schäfer. Er ward also ein Schäfer, nur in der
Absicht, damit er recht regelmäßig seufzen könnte.
Tag und Nacht war er beschäfftigt, durch Lesung
solcher Schriften sich vollkommen zu machen, wel-
che von Feuer und Flammen rauchten, und von
verliebtem Mord und Todschlägen voll waren.
Und eben dadurch gerieth sein Gehirn in solche
Unordnung, daß er, als ein arkadischer Don
Quichott, auf Abentheuer ausgieng. Diese grau-
same Sylvia, für welche er dich ansah, ist nir-
gends anders, als in seiner Einbildung, möglich
gewesen. Sein ganzes Leben hat er in dergleichen
Entzückung zugebracht, und noch auf dem Tod-
bette hat er von nichts, als Klee und Milch, ge-
redet; ja so gar den Arzt, als ihm dieser an den
Puls fühlen wollen, hat er auf dem Rücken gestrei-
chelt, weil er ihn für seinen Hylax hielt. Du darfst
dich also nicht wundern, daß er dich schlechterdings
zu seiner Sylvia machen wollte. Jch glaube nicht,
daß außer ihm in der ganzen Welt noch ein Schä-
fer gewesen ist, welchen seine verderbte Einbildung
so gar sehr wahnwitzig gemacht; doch soll es, wie
man mir gesagt hat, noch hin und wieder verschied-
ne Seladonchen geben, welche einen ziemlichen An-
satz zu dieser hitzigen Krankheit haben.

Zum größten Unglücke entdeckte mich der Schat-
ten meines ehemaligen Schneiders. Es war nicht
möglich, ihm aus dem Wege zu gehen, so sehr ich es
auch wünschte, weil ich mich noch wohl erinnerte,
wie unerträglich er in seinem Leben, durch sein un-
ermüdetes und politisches Geschwätz, gewesen war.

Es

Ein Traum
Schaͤfer. Er ward alſo ein Schaͤfer, nur in der
Abſicht, damit er recht regelmaͤßig ſeufzen koͤnnte.
Tag und Nacht war er beſchaͤfftigt, durch Leſung
ſolcher Schriften ſich vollkommen zu machen, wel-
che von Feuer und Flammen rauchten, und von
verliebtem Mord und Todſchlaͤgen voll waren.
Und eben dadurch gerieth ſein Gehirn in ſolche
Unordnung, daß er, als ein arkadiſcher Don
Quichott, auf Abentheuer ausgieng. Dieſe grau-
ſame Sylvia, fuͤr welche er dich anſah, iſt nir-
gends anders, als in ſeiner Einbildung, moͤglich
geweſen. Sein ganzes Leben hat er in dergleichen
Entzuͤckung zugebracht, und noch auf dem Tod-
bette hat er von nichts, als Klee und Milch, ge-
redet; ja ſo gar den Arzt, als ihm dieſer an den
Puls fuͤhlen wollen, hat er auf dem Ruͤcken geſtrei-
chelt, weil er ihn fuͤr ſeinen Hylax hielt. Du darfſt
dich alſo nicht wundern, daß er dich ſchlechterdings
zu ſeiner Sylvia machen wollte. Jch glaube nicht,
daß außer ihm in der ganzen Welt noch ein Schaͤ-
fer geweſen iſt, welchen ſeine verderbte Einbildung
ſo gar ſehr wahnwitzig gemacht; doch ſoll es, wie
man mir geſagt hat, noch hin und wieder verſchied-
ne Seladonchen geben, welche einen ziemlichen An-
ſatz zu dieſer hitzigen Krankheit haben.

Zum groͤßten Ungluͤcke entdeckte mich der Schat-
ten meines ehemaligen Schneiders. Es war nicht
moͤglich, ihm aus dem Wege zu gehen, ſo ſehr ich es
auch wuͤnſchte, weil ich mich noch wohl erinnerte,
wie unertraͤglich er in ſeinem Leben, durch ſein un-
ermuͤdetes und politiſches Geſchwaͤtz, geweſen war.

Es
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[64/0064] Ein Traum Schaͤfer. Er ward alſo ein Schaͤfer, nur in der Abſicht, damit er recht regelmaͤßig ſeufzen koͤnnte. Tag und Nacht war er beſchaͤfftigt, durch Leſung ſolcher Schriften ſich vollkommen zu machen, wel- che von Feuer und Flammen rauchten, und von verliebtem Mord und Todſchlaͤgen voll waren. Und eben dadurch gerieth ſein Gehirn in ſolche Unordnung, daß er, als ein arkadiſcher Don Quichott, auf Abentheuer ausgieng. Dieſe grau- ſame Sylvia, fuͤr welche er dich anſah, iſt nir- gends anders, als in ſeiner Einbildung, moͤglich geweſen. Sein ganzes Leben hat er in dergleichen Entzuͤckung zugebracht, und noch auf dem Tod- bette hat er von nichts, als Klee und Milch, ge- redet; ja ſo gar den Arzt, als ihm dieſer an den Puls fuͤhlen wollen, hat er auf dem Ruͤcken geſtrei- chelt, weil er ihn fuͤr ſeinen Hylax hielt. Du darfſt dich alſo nicht wundern, daß er dich ſchlechterdings zu ſeiner Sylvia machen wollte. Jch glaube nicht, daß außer ihm in der ganzen Welt noch ein Schaͤ- fer geweſen iſt, welchen ſeine verderbte Einbildung ſo gar ſehr wahnwitzig gemacht; doch ſoll es, wie man mir geſagt hat, noch hin und wieder verſchied- ne Seladonchen geben, welche einen ziemlichen An- ſatz zu dieſer hitzigen Krankheit haben. Zum groͤßten Ungluͤcke entdeckte mich der Schat- ten meines ehemaligen Schneiders. Es war nicht moͤglich, ihm aus dem Wege zu gehen, ſo ſehr ich es auch wuͤnſchte, weil ich mich noch wohl erinnerte, wie unertraͤglich er in ſeinem Leben, durch ſein un- ermuͤdetes und politiſches Geſchwaͤtz, geweſen war. Es

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/64>, abgerufen am 23.11.2024.