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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751.

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Abhandlung
sitzt. Jch weis es wohl, daß dieses ihr gewöhnli-
cher Aufzug ist, und ich würde dabey gar nichts er-
rinnern, wenn man sie nur über solche Schriften setz-
te, welche von den Rechten unsrer Vorfahren, der
alten Deutschen, handeln. Von diesen allenfalls will
ich glauben, daß bey ihnen die Gerechtigkeit verbund-
ne Augen, und in den Händen Schwerdt und Wa-
ge gehalten habe. Allein, die Zeiten ändern alles.
Bey uns ist diese Tracht gar nicht mehr Mode. Wie
lächerlich würde es aussehen, wenn ich jenen Land-
junker, der nichts thut, als daß er trinkt, und spielt, mit
Helme und Harnische malen wollte, wie sein Groß-
vater gemalt ist, der in denen rauhen Zeiten lebte,
in welchen man es noch für rühmlich hielt, fürs Va-
terland zu sterben. Nein, itzt sind unsre Zeiten weit
gesitteter und aufgeklärter, und ich halte es für billig,
daß auch wir, jeder in seinem Stande, uns nach dem
heutigen Geschmacke richten lernen. Jch rathe es
also meinen Collegen aufrichtig: Wenn sie nützliche
Anleitungen zur güldnen Praxis schreiben wollen; so
müssen sie den Buchdruckerstock so wählen, daß die
Göttinn der Gerechtigkeit nicht allein die Augen ver-
bunden habe, sondern sie müssen ihr die Binde auch
über die Ohren recht fest machen, daß sie weder hört,
noch sieht. Die Hände hingegen müssen sie ihr
schlechterdings frey lassen, damit sie zugreifen kann,
wann die Parteyen ihren Beweis und Gegenbeweis
übergeben, es bestehe nun dieser in baarem Gelde
oder in Victualien.

Aber so strenge will ich doch nicht seyn, daß ich die
Wage ganz und gar abschaffen wollte. Nein! Sie hat

noch

Abhandlung
ſitzt. Jch weis es wohl, daß dieſes ihr gewoͤhnli-
cher Aufzug iſt, und ich wuͤrde dabey gar nichts er-
rinnern, wenn man ſie nur uͤber ſolche Schriften ſetz-
te, welche von den Rechten unſrer Vorfahren, der
alten Deutſchen, handeln. Von dieſen allenfalls will
ich glauben, daß bey ihnen die Gerechtigkeit verbund-
ne Augen, und in den Haͤnden Schwerdt und Wa-
ge gehalten habe. Allein, die Zeiten aͤndern alles.
Bey uns iſt dieſe Tracht gar nicht mehr Mode. Wie
laͤcherlich wuͤrde es ausſehen, wenn ich jenen Land-
junker, der nichts thut, als daß er trinkt, und ſpielt, mit
Helme und Harniſche malen wollte, wie ſein Groß-
vater gemalt iſt, der in denen rauhen Zeiten lebte,
in welchen man es noch fuͤr ruͤhmlich hielt, fuͤrs Va-
terland zu ſterben. Nein, itzt ſind unſre Zeiten weit
geſitteter und aufgeklaͤrter, und ich halte es fuͤr billig,
daß auch wir, jeder in ſeinem Stande, uns nach dem
heutigen Geſchmacke richten lernen. Jch rathe es
alſo meinen Collegen aufrichtig: Wenn ſie nuͤtzliche
Anleitungen zur guͤldnen Praxis ſchreiben wollen; ſo
muͤſſen ſie den Buchdruckerſtock ſo waͤhlen, daß die
Goͤttinn der Gerechtigkeit nicht allein die Augen ver-
bunden habe, ſondern ſie muͤſſen ihr die Binde auch
uͤber die Ohren recht feſt machen, daß ſie weder hoͤrt,
noch ſieht. Die Haͤnde hingegen muͤſſen ſie ihr
ſchlechterdings frey laſſen, damit ſie zugreifen kann,
wann die Parteyen ihren Beweis und Gegenbeweis
uͤbergeben, es beſtehe nun dieſer in baarem Gelde
oder in Victualien.

Aber ſo ſtrenge will ich doch nicht ſeyn, daß ich die
Wage ganz und gar abſchaffen wollte. Nein! Sie hat

noch
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[86/0086] Abhandlung ſitzt. Jch weis es wohl, daß dieſes ihr gewoͤhnli- cher Aufzug iſt, und ich wuͤrde dabey gar nichts er- rinnern, wenn man ſie nur uͤber ſolche Schriften ſetz- te, welche von den Rechten unſrer Vorfahren, der alten Deutſchen, handeln. Von dieſen allenfalls will ich glauben, daß bey ihnen die Gerechtigkeit verbund- ne Augen, und in den Haͤnden Schwerdt und Wa- ge gehalten habe. Allein, die Zeiten aͤndern alles. Bey uns iſt dieſe Tracht gar nicht mehr Mode. Wie laͤcherlich wuͤrde es ausſehen, wenn ich jenen Land- junker, der nichts thut, als daß er trinkt, und ſpielt, mit Helme und Harniſche malen wollte, wie ſein Groß- vater gemalt iſt, der in denen rauhen Zeiten lebte, in welchen man es noch fuͤr ruͤhmlich hielt, fuͤrs Va- terland zu ſterben. Nein, itzt ſind unſre Zeiten weit geſitteter und aufgeklaͤrter, und ich halte es fuͤr billig, daß auch wir, jeder in ſeinem Stande, uns nach dem heutigen Geſchmacke richten lernen. Jch rathe es alſo meinen Collegen aufrichtig: Wenn ſie nuͤtzliche Anleitungen zur guͤldnen Praxis ſchreiben wollen; ſo muͤſſen ſie den Buchdruckerſtock ſo waͤhlen, daß die Goͤttinn der Gerechtigkeit nicht allein die Augen ver- bunden habe, ſondern ſie muͤſſen ihr die Binde auch uͤber die Ohren recht feſt machen, daß ſie weder hoͤrt, noch ſieht. Die Haͤnde hingegen muͤſſen ſie ihr ſchlechterdings frey laſſen, damit ſie zugreifen kann, wann die Parteyen ihren Beweis und Gegenbeweis uͤbergeben, es beſtehe nun dieſer in baarem Gelde oder in Victualien. Aber ſo ſtrenge will ich doch nicht ſeyn, daß ich die Wage ganz und gar abſchaffen wollte. Nein! Sie hat noch

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 2. Leipzig, 1751, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung02_1751/86>, abgerufen am 25.11.2024.