Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Satyrische Briefe.

"Die letzten sechs Capitel handeln von den Cau-
"telen, welche die Richter zu beobachten haben,
"wenn sie sich auf eine vortheilhafte Art wollen be-
"stechen lassen. Eine der vornehmsten Cautelen
"ist diese: Der Richter muß spröde thun. Jch
"habe diesen Ausdruck von der Coqvetterie ent-
"lehnt. Ein Mädchen von einem zweydeutigen
"Charakter wird ihren Beruf weit glücklicher trei-
"ben können, wenn sie sich das Ansehen eines tu-
"gendhaften und eingezognen Frauenzimmers er-
"halten kann. Dergleichen Ausschweifungen,
"wenn sie mit Vorsicht geschehn, sind allemal ein-
"träglicher, und das Publicum bleibt in einer Art
"der Ungewißheit, die dem guten Namen des
"Mädchens sehr vortheilhaft ist. Sie wird, ohne
"mein Erinnern, ihre Ernsthaftigkeit so zu mäßi-
"gen wissen, daß sie von dem Wilden und Rauhen
"unterschieden bleibt, wodurch die Jugend, und
"ihre Freunde zu sehr abgeschreckt werden könnten.

"Auf eben diese Art muß sich ein Richter ge-
"berden. Er muß es einem aufmerksamen Clien-
"ten errathen lassen, daß er gegen Geschenke nicht
"unempfindlich sey; und dennoch muß er den Cli-
"enten in einer gewissen Art der Ehrfurcht zu er-
"halten wissen, daß dieser glaubt, er sey der ein-
"zige, dem es geglückt habe, ihn zu bestechen.
"Man glaubt nicht, wie sehr dieses den Preis der
"Geschenke erhöht. Die Partheyen opfern noch
"einmal so viel, um durch den ansehnlichen Werth
"des Geschenks die Verwegenheit einigermaßen

zu
Satyriſche Briefe.

„Die letzten ſechs Capitel handeln von den Cau-
„telen, welche die Richter zu beobachten haben,
„wenn ſie ſich auf eine vortheilhafte Art wollen be-
„ſtechen laſſen. Eine der vornehmſten Cautelen
„iſt dieſe: Der Richter muß ſproͤde thun. Jch
„habe dieſen Ausdruck von der Coqvetterie ent-
„lehnt. Ein Maͤdchen von einem zweydeutigen
„Charakter wird ihren Beruf weit gluͤcklicher trei-
„ben koͤnnen, wenn ſie ſich das Anſehen eines tu-
„gendhaften und eingezognen Frauenzimmers er-
„halten kann. Dergleichen Ausſchweifungen,
„wenn ſie mit Vorſicht geſchehn, ſind allemal ein-
„traͤglicher, und das Publicum bleibt in einer Art
„der Ungewißheit, die dem guten Namen des
„Maͤdchens ſehr vortheilhaft iſt. Sie wird, ohne
„mein Erinnern, ihre Ernſthaftigkeit ſo zu maͤßi-
„gen wiſſen, daß ſie von dem Wilden und Rauhen
„unterſchieden bleibt, wodurch die Jugend, und
„ihre Freunde zu ſehr abgeſchreckt werden koͤnnten.

„Auf eben dieſe Art muß ſich ein Richter ge-
„berden. Er muß es einem aufmerkſamen Clien-
„ten errathen laſſen, daß er gegen Geſchenke nicht
„unempfindlich ſey; und dennoch muß er den Cli-
„enten in einer gewiſſen Art der Ehrfurcht zu er-
„halten wiſſen, daß dieſer glaubt, er ſey der ein-
„zige, dem es gegluͤckt habe, ihn zu beſtechen.
„Man glaubt nicht, wie ſehr dieſes den Preis der
„Geſchenke erhoͤht. Die Partheyen opfern noch
„einmal ſo viel, um durch den anſehnlichen Werth
„des Geſchenks die Verwegenheit einigermaßen

zu
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0152" n="124"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi> </fw><lb/>
        <p>&#x201E;Die letzten &#x017F;echs Capitel handeln von den Cau-<lb/>
&#x201E;telen, welche die Richter zu beobachten haben,<lb/>
&#x201E;wenn &#x017F;ie &#x017F;ich auf eine vortheilhafte Art wollen be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;techen la&#x017F;&#x017F;en. Eine der vornehm&#x017F;ten Cautelen<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t die&#x017F;e: Der Richter muß <hi rendition="#fr">&#x017F;pro&#x0364;de</hi> thun. Jch<lb/>
&#x201E;habe die&#x017F;en Ausdruck von der Coqvetterie ent-<lb/>
&#x201E;lehnt. Ein Ma&#x0364;dchen von einem zweydeutigen<lb/>
&#x201E;Charakter wird ihren Beruf weit glu&#x0364;cklicher trei-<lb/>
&#x201E;ben ko&#x0364;nnen, wenn &#x017F;ie &#x017F;ich das An&#x017F;ehen eines tu-<lb/>
&#x201E;gendhaften und eingezognen Frauenzimmers er-<lb/>
&#x201E;halten kann. Dergleichen Aus&#x017F;chweifungen,<lb/>
&#x201E;wenn &#x017F;ie mit Vor&#x017F;icht ge&#x017F;chehn, &#x017F;ind allemal ein-<lb/>
&#x201E;tra&#x0364;glicher, und das Publicum bleibt in einer Art<lb/>
&#x201E;der Ungewißheit, die dem guten Namen des<lb/>
&#x201E;Ma&#x0364;dchens &#x017F;ehr vortheilhaft i&#x017F;t. Sie wird, ohne<lb/>
&#x201E;mein Erinnern, ihre Ern&#x017F;thaftigkeit &#x017F;o zu ma&#x0364;ßi-<lb/>
&#x201E;gen wi&#x017F;&#x017F;en, daß &#x017F;ie von dem Wilden und Rauhen<lb/>
&#x201E;unter&#x017F;chieden bleibt, wodurch die Jugend, und<lb/>
&#x201E;ihre Freunde zu &#x017F;ehr abge&#x017F;chreckt werden ko&#x0364;nnten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Auf eben die&#x017F;e Art muß &#x017F;ich ein Richter ge-<lb/>
&#x201E;berden. Er muß es einem aufmerk&#x017F;amen Clien-<lb/>
&#x201E;ten errathen la&#x017F;&#x017F;en, daß er gegen Ge&#x017F;chenke nicht<lb/>
&#x201E;unempfindlich &#x017F;ey; und dennoch muß er den Cli-<lb/>
&#x201E;enten in einer gewi&#x017F;&#x017F;en Art der Ehrfurcht zu er-<lb/>
&#x201E;halten wi&#x017F;&#x017F;en, daß die&#x017F;er glaubt, er &#x017F;ey der ein-<lb/>
&#x201E;zige, dem es geglu&#x0364;ckt habe, ihn zu be&#x017F;techen.<lb/>
&#x201E;Man glaubt nicht, wie &#x017F;ehr die&#x017F;es den Preis der<lb/>
&#x201E;Ge&#x017F;chenke erho&#x0364;ht. Die Partheyen opfern noch<lb/>
&#x201E;einmal &#x017F;o viel, um durch den an&#x017F;ehnlichen Werth<lb/>
&#x201E;des Ge&#x017F;chenks die Verwegenheit einigermaßen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0152] Satyriſche Briefe. „Die letzten ſechs Capitel handeln von den Cau- „telen, welche die Richter zu beobachten haben, „wenn ſie ſich auf eine vortheilhafte Art wollen be- „ſtechen laſſen. Eine der vornehmſten Cautelen „iſt dieſe: Der Richter muß ſproͤde thun. Jch „habe dieſen Ausdruck von der Coqvetterie ent- „lehnt. Ein Maͤdchen von einem zweydeutigen „Charakter wird ihren Beruf weit gluͤcklicher trei- „ben koͤnnen, wenn ſie ſich das Anſehen eines tu- „gendhaften und eingezognen Frauenzimmers er- „halten kann. Dergleichen Ausſchweifungen, „wenn ſie mit Vorſicht geſchehn, ſind allemal ein- „traͤglicher, und das Publicum bleibt in einer Art „der Ungewißheit, die dem guten Namen des „Maͤdchens ſehr vortheilhaft iſt. Sie wird, ohne „mein Erinnern, ihre Ernſthaftigkeit ſo zu maͤßi- „gen wiſſen, daß ſie von dem Wilden und Rauhen „unterſchieden bleibt, wodurch die Jugend, und „ihre Freunde zu ſehr abgeſchreckt werden koͤnnten. „Auf eben dieſe Art muß ſich ein Richter ge- „berden. Er muß es einem aufmerkſamen Clien- „ten errathen laſſen, daß er gegen Geſchenke nicht „unempfindlich ſey; und dennoch muß er den Cli- „enten in einer gewiſſen Art der Ehrfurcht zu er- „halten wiſſen, daß dieſer glaubt, er ſey der ein- „zige, dem es gegluͤckt habe, ihn zu beſtechen. „Man glaubt nicht, wie ſehr dieſes den Preis der „Geſchenke erhoͤht. Die Partheyen opfern noch „einmal ſo viel, um durch den anſehnlichen Werth „des Geſchenks die Verwegenheit einigermaßen zu

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/152
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/152>, abgerufen am 23.11.2024.