Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Satyrische Briefe.

Er giebt sich Mühe zu vergessen, wer er gewe-
sen ist, ungeachtet seine Aeltern sich dieses Sohns
mehr zu schämen haben, als er sich seines Vaters
zu schämen hat, welcher in Armut lebt, und ehr-
lich ist. Er hat für gut angesehn, eine mittelmä-
ßige Stadt zu seinem Aufenthalte zu wählen, um
seine Verdienste desto merklicher zu machen. Das
ist die Höhle, in welcher er die Beute verzehrt, die
er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen
zusammen raubt. Er hat so einträgliche Begriffe
von der Amtspflicht, daß er gerecht ist, nur seinen
Vortheil zu machen, und eben dieses Vortheils we-
gen zu andrer Zeit die größten Ungerechtigkeiten be-
geht. Der Hochmuth ist seine stärkste Leidenschaft,
eine Leidenschaft, die immer diejenigen am meisten
martert, welche die wenigsten Verdienste haben. Er
erinnert sich noch, und sagt es allen denen, die es
nöthig zu wissen haben, daß er vor zwanzig Jah-
ren neben dem Minister auf dem Canapee gesessen
hat. Er wiederholt diesen Umstand so oft als er
merkt, daß man an seiner unumschränkten Gewalt
zu schaden zweifelt. Ungeachtet dieses Hochmuths
ist er noch immer niederträchtig genug, Geschenke
zu fodern, wenn man ihm solche nicht so geschwind,
als er wünscht, entgegen bringt. Er bestimmt selbst
den Werth derselben, wenn er findet, daß sie für
seine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn sind.
Es ist gefährlich, von dem Preise abzugehen, den
er setzt. So vorsichtig ein andrer Richter ist, um
zu verbergen, daß er sich habe bestechen lassen: so

mühsam
Satyriſche Briefe.

Er giebt ſich Muͤhe zu vergeſſen, wer er gewe-
ſen iſt, ungeachtet ſeine Aeltern ſich dieſes Sohns
mehr zu ſchaͤmen haben, als er ſich ſeines Vaters
zu ſchaͤmen hat, welcher in Armut lebt, und ehr-
lich iſt. Er hat fuͤr gut angeſehn, eine mittelmaͤ-
ßige Stadt zu ſeinem Aufenthalte zu waͤhlen, um
ſeine Verdienſte deſto merklicher zu machen. Das
iſt die Hoͤhle, in welcher er die Beute verzehrt, die
er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen
zuſammen raubt. Er hat ſo eintraͤgliche Begriffe
von der Amtspflicht, daß er gerecht iſt, nur ſeinen
Vortheil zu machen, und eben dieſes Vortheils we-
gen zu andrer Zeit die groͤßten Ungerechtigkeiten be-
geht. Der Hochmuth iſt ſeine ſtaͤrkſte Leidenſchaft,
eine Leidenſchaft, die immer diejenigen am meiſten
martert, welche die wenigſten Verdienſte haben. Er
erinnert ſich noch, und ſagt es allen denen, die es
noͤthig zu wiſſen haben, daß er vor zwanzig Jah-
ren neben dem Miniſter auf dem Canapee geſeſſen
hat. Er wiederholt dieſen Umſtand ſo oft als er
merkt, daß man an ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt
zu ſchaden zweifelt. Ungeachtet dieſes Hochmuths
iſt er noch immer niedertraͤchtig genug, Geſchenke
zu fodern, wenn man ihm ſolche nicht ſo geſchwind,
als er wuͤnſcht, entgegen bringt. Er beſtimmt ſelbſt
den Werth derſelben, wenn er findet, daß ſie fuͤr
ſeine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn ſind.
Es iſt gefaͤhrlich, von dem Preiſe abzugehen, den
er ſetzt. So vorſichtig ein andrer Richter iſt, um
zu verbergen, daß er ſich habe beſtechen laſſen: ſo

muͤhſam
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <pb facs="#f0174" n="146"/>
              <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi> </fw><lb/>
              <p>Er giebt &#x017F;ich Mu&#x0364;he zu verge&#x017F;&#x017F;en, wer er gewe-<lb/>
&#x017F;en i&#x017F;t, ungeachtet &#x017F;eine Aeltern &#x017F;ich die&#x017F;es Sohns<lb/>
mehr zu &#x017F;cha&#x0364;men haben, als er &#x017F;ich &#x017F;eines Vaters<lb/>
zu &#x017F;cha&#x0364;men hat, welcher in Armut lebt, und ehr-<lb/>
lich i&#x017F;t. Er hat fu&#x0364;r gut ange&#x017F;ehn, eine mittelma&#x0364;-<lb/>
ßige Stadt zu &#x017F;einem Aufenthalte zu wa&#x0364;hlen, um<lb/>
&#x017F;eine Verdien&#x017F;te de&#x017F;to merklicher zu machen. Das<lb/>
i&#x017F;t die Ho&#x0364;hle, in welcher er die Beute verzehrt, die<lb/>
er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen<lb/>
zu&#x017F;ammen raubt. Er hat &#x017F;o eintra&#x0364;gliche Begriffe<lb/>
von der Amtspflicht, daß er gerecht i&#x017F;t, nur &#x017F;einen<lb/>
Vortheil zu machen, und eben die&#x017F;es Vortheils we-<lb/>
gen zu andrer Zeit die gro&#x0364;ßten Ungerechtigkeiten be-<lb/>
geht. Der Hochmuth i&#x017F;t &#x017F;eine &#x017F;ta&#x0364;rk&#x017F;te Leiden&#x017F;chaft,<lb/>
eine Leiden&#x017F;chaft, die immer diejenigen am mei&#x017F;ten<lb/>
martert, welche die wenig&#x017F;ten Verdien&#x017F;te haben. Er<lb/>
erinnert &#x017F;ich noch, und &#x017F;agt es allen denen, die es<lb/>
no&#x0364;thig zu wi&#x017F;&#x017F;en haben, daß er vor zwanzig Jah-<lb/>
ren neben dem Mini&#x017F;ter auf dem Canapee ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en<lb/>
hat. Er wiederholt die&#x017F;en Um&#x017F;tand &#x017F;o oft als er<lb/>
merkt, daß man an &#x017F;einer unum&#x017F;chra&#x0364;nkten Gewalt<lb/>
zu &#x017F;chaden zweifelt. Ungeachtet die&#x017F;es Hochmuths<lb/>
i&#x017F;t er noch immer niedertra&#x0364;chtig genug, Ge&#x017F;chenke<lb/>
zu fodern, wenn man ihm &#x017F;olche nicht &#x017F;o ge&#x017F;chwind,<lb/>
als er wu&#x0364;n&#x017F;cht, entgegen bringt. Er be&#x017F;timmt &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
den Werth der&#x017F;elben, wenn er findet, daß &#x017F;ie fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;eine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn &#x017F;ind.<lb/>
Es i&#x017F;t gefa&#x0364;hrlich, von dem Prei&#x017F;e abzugehen, den<lb/>
er &#x017F;etzt. So vor&#x017F;ichtig ein andrer Richter i&#x017F;t, um<lb/>
zu verbergen, daß er &#x017F;ich habe be&#x017F;techen la&#x017F;&#x017F;en: &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mu&#x0364;h&#x017F;am</fw><lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[146/0174] Satyriſche Briefe. Er giebt ſich Muͤhe zu vergeſſen, wer er gewe- ſen iſt, ungeachtet ſeine Aeltern ſich dieſes Sohns mehr zu ſchaͤmen haben, als er ſich ſeines Vaters zu ſchaͤmen hat, welcher in Armut lebt, und ehr- lich iſt. Er hat fuͤr gut angeſehn, eine mittelmaͤ- ßige Stadt zu ſeinem Aufenthalte zu waͤhlen, um ſeine Verdienſte deſto merklicher zu machen. Das iſt die Hoͤhle, in welcher er die Beute verzehrt, die er in der umliegenden Gegend von etlichen Meilen zuſammen raubt. Er hat ſo eintraͤgliche Begriffe von der Amtspflicht, daß er gerecht iſt, nur ſeinen Vortheil zu machen, und eben dieſes Vortheils we- gen zu andrer Zeit die groͤßten Ungerechtigkeiten be- geht. Der Hochmuth iſt ſeine ſtaͤrkſte Leidenſchaft, eine Leidenſchaft, die immer diejenigen am meiſten martert, welche die wenigſten Verdienſte haben. Er erinnert ſich noch, und ſagt es allen denen, die es noͤthig zu wiſſen haben, daß er vor zwanzig Jah- ren neben dem Miniſter auf dem Canapee geſeſſen hat. Er wiederholt dieſen Umſtand ſo oft als er merkt, daß man an ſeiner unumſchraͤnkten Gewalt zu ſchaden zweifelt. Ungeachtet dieſes Hochmuths iſt er noch immer niedertraͤchtig genug, Geſchenke zu fodern, wenn man ihm ſolche nicht ſo geſchwind, als er wuͤnſcht, entgegen bringt. Er beſtimmt ſelbſt den Werth derſelben, wenn er findet, daß ſie fuͤr ſeine Partheylichkeit ein zu geringer Lohn ſind. Es iſt gefaͤhrlich, von dem Preiſe abzugehen, den er ſetzt. So vorſichtig ein andrer Richter iſt, um zu verbergen, daß er ſich habe beſtechen laſſen: ſo muͤhſam

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/174
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/174>, abgerufen am 23.11.2024.