Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite

Satyrische Briefe.
mühsam ist dieser, es allen zu sagen, von denen er
itzt oder künftig Geschenke vermuthen kann. Von
alle dem, was sein Amt erfodert, versteht er wei-
ter nichts, als die Kunst, das nicht zu thun, was
er thun soll. Jn seiner Jugend war es in verschied-
nen Häusern noch Mode, daß vornehme Leute
mit der Religion leichtsinnig scherzten, daß sie in
ihrem Amte sich aus Bequemlichkeit auf den Fleiß
ihrer Untergebnen verließen, von schönen Wissen-
schaften verächtlich sprachen, und in den artigsten
Gesellschaften auf eine unflätige Art witzig waren.
Er ist bey nahe der einzige, der diese pöbelmäßige
Mode noch beybehalten hat. Mit der Religion
scherzt er leichtsinnig, weil er sich Mühe giebt, den
traurigen Gedanken von der ernsthaften Folge ei-
ner Religion zu seiner innerlichen Beruhigung zu
überwältigen. Seine Untergebnen haben die gan-
ze Last des Amts bey einem geringen Unterhalte
auf sich, weil er zu ungeschickt ist, es selbst zu ver-
walten. Jch kenne niemanden, dem es natürlicher
läßt, von den schönen Wissenschaften verächtlich zu
sprechen, als ihm, weil niemand natürlicher dumm
ist, als er. Die unflätige Sprache ist seine Mut-
tersprache. Er ist stark darinnen, noch stärker, als
sein Gesinde. Von diesem Witze ist er ein wahrer
Kenner, den weiß er zu schätzen. Die Thränen
eines nothleidenden Unterthanen rühren ihn bey
weiten so nicht, als eine unerwartete Zote; mit
dieser kann man ihn gewinnen. Er hat einen Ad-
vocaten in seiner Pflege, welcher bey einem jeden

neuen
K 2

Satyriſche Briefe.
muͤhſam iſt dieſer, es allen zu ſagen, von denen er
itzt oder kuͤnftig Geſchenke vermuthen kann. Von
alle dem, was ſein Amt erfodert, verſteht er wei-
ter nichts, als die Kunſt, das nicht zu thun, was
er thun ſoll. Jn ſeiner Jugend war es in verſchied-
nen Haͤuſern noch Mode, daß vornehme Leute
mit der Religion leichtſinnig ſcherzten, daß ſie in
ihrem Amte ſich aus Bequemlichkeit auf den Fleiß
ihrer Untergebnen verließen, von ſchoͤnen Wiſſen-
ſchaften veraͤchtlich ſprachen, und in den artigſten
Geſellſchaften auf eine unflaͤtige Art witzig waren.
Er iſt bey nahe der einzige, der dieſe poͤbelmaͤßige
Mode noch beybehalten hat. Mit der Religion
ſcherzt er leichtſinnig, weil er ſich Muͤhe giebt, den
traurigen Gedanken von der ernſthaften Folge ei-
ner Religion zu ſeiner innerlichen Beruhigung zu
uͤberwaͤltigen. Seine Untergebnen haben die gan-
ze Laſt des Amts bey einem geringen Unterhalte
auf ſich, weil er zu ungeſchickt iſt, es ſelbſt zu ver-
walten. Jch kenne niemanden, dem es natuͤrlicher
laͤßt, von den ſchoͤnen Wiſſenſchaften veraͤchtlich zu
ſprechen, als ihm, weil niemand natuͤrlicher dumm
iſt, als er. Die unflaͤtige Sprache iſt ſeine Mut-
terſprache. Er iſt ſtark darinnen, noch ſtaͤrker, als
ſein Geſinde. Von dieſem Witze iſt er ein wahrer
Kenner, den weiß er zu ſchaͤtzen. Die Thraͤnen
eines nothleidenden Unterthanen ruͤhren ihn bey
weiten ſo nicht, als eine unerwartete Zote; mit
dieſer kann man ihn gewinnen. Er hat einen Ad-
vocaten in ſeiner Pflege, welcher bey einem jeden

neuen
K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <p><pb facs="#f0175" n="147"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi></fw><lb/>
mu&#x0364;h&#x017F;am i&#x017F;t die&#x017F;er, es allen zu &#x017F;agen, von denen er<lb/>
itzt oder ku&#x0364;nftig Ge&#x017F;chenke vermuthen kann. Von<lb/>
alle dem, was &#x017F;ein Amt erfodert, ver&#x017F;teht er wei-<lb/>
ter nichts, als die Kun&#x017F;t, das nicht zu thun, was<lb/>
er thun &#x017F;oll. Jn &#x017F;einer Jugend war es in ver&#x017F;chied-<lb/>
nen Ha&#x0364;u&#x017F;ern noch Mode, daß vornehme Leute<lb/>
mit der Religion leicht&#x017F;innig &#x017F;cherzten, daß &#x017F;ie in<lb/>
ihrem Amte &#x017F;ich aus Bequemlichkeit auf den Fleiß<lb/>
ihrer Untergebnen verließen, von &#x017F;cho&#x0364;nen Wi&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
&#x017F;chaften vera&#x0364;chtlich &#x017F;prachen, und in den artig&#x017F;ten<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften auf eine unfla&#x0364;tige Art witzig waren.<lb/>
Er i&#x017F;t bey nahe der einzige, der die&#x017F;e po&#x0364;belma&#x0364;ßige<lb/>
Mode noch beybehalten hat. Mit der Religion<lb/>
&#x017F;cherzt er leicht&#x017F;innig, weil er &#x017F;ich Mu&#x0364;he giebt, den<lb/>
traurigen Gedanken von der ern&#x017F;thaften Folge ei-<lb/>
ner Religion zu &#x017F;einer innerlichen Beruhigung zu<lb/>
u&#x0364;berwa&#x0364;ltigen. Seine Untergebnen haben die gan-<lb/>
ze La&#x017F;t des Amts bey einem geringen Unterhalte<lb/>
auf &#x017F;ich, weil er zu unge&#x017F;chickt i&#x017F;t, es &#x017F;elb&#x017F;t zu ver-<lb/>
walten. Jch kenne niemanden, dem es natu&#x0364;rlicher<lb/>
la&#x0364;ßt, von den &#x017F;cho&#x0364;nen Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften vera&#x0364;chtlich zu<lb/>
&#x017F;prechen, als ihm, weil niemand natu&#x0364;rlicher dumm<lb/>
i&#x017F;t, als er. Die unfla&#x0364;tige Sprache i&#x017F;t &#x017F;eine Mut-<lb/>
ter&#x017F;prache. Er i&#x017F;t &#x017F;tark darinnen, noch &#x017F;ta&#x0364;rker, als<lb/>
&#x017F;ein Ge&#x017F;inde. Von die&#x017F;em Witze i&#x017F;t er ein wahrer<lb/>
Kenner, den weiß er zu &#x017F;cha&#x0364;tzen. Die Thra&#x0364;nen<lb/>
eines nothleidenden Unterthanen ru&#x0364;hren ihn bey<lb/>
weiten &#x017F;o nicht, als eine unerwartete Zote; mit<lb/>
die&#x017F;er kann man ihn gewinnen. Er hat einen Ad-<lb/>
vocaten in &#x017F;einer Pflege, welcher bey einem jeden<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 2</fw><fw place="bottom" type="catch">neuen</fw><lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0175] Satyriſche Briefe. muͤhſam iſt dieſer, es allen zu ſagen, von denen er itzt oder kuͤnftig Geſchenke vermuthen kann. Von alle dem, was ſein Amt erfodert, verſteht er wei- ter nichts, als die Kunſt, das nicht zu thun, was er thun ſoll. Jn ſeiner Jugend war es in verſchied- nen Haͤuſern noch Mode, daß vornehme Leute mit der Religion leichtſinnig ſcherzten, daß ſie in ihrem Amte ſich aus Bequemlichkeit auf den Fleiß ihrer Untergebnen verließen, von ſchoͤnen Wiſſen- ſchaften veraͤchtlich ſprachen, und in den artigſten Geſellſchaften auf eine unflaͤtige Art witzig waren. Er iſt bey nahe der einzige, der dieſe poͤbelmaͤßige Mode noch beybehalten hat. Mit der Religion ſcherzt er leichtſinnig, weil er ſich Muͤhe giebt, den traurigen Gedanken von der ernſthaften Folge ei- ner Religion zu ſeiner innerlichen Beruhigung zu uͤberwaͤltigen. Seine Untergebnen haben die gan- ze Laſt des Amts bey einem geringen Unterhalte auf ſich, weil er zu ungeſchickt iſt, es ſelbſt zu ver- walten. Jch kenne niemanden, dem es natuͤrlicher laͤßt, von den ſchoͤnen Wiſſenſchaften veraͤchtlich zu ſprechen, als ihm, weil niemand natuͤrlicher dumm iſt, als er. Die unflaͤtige Sprache iſt ſeine Mut- terſprache. Er iſt ſtark darinnen, noch ſtaͤrker, als ſein Geſinde. Von dieſem Witze iſt er ein wahrer Kenner, den weiß er zu ſchaͤtzen. Die Thraͤnen eines nothleidenden Unterthanen ruͤhren ihn bey weiten ſo nicht, als eine unerwartete Zote; mit dieſer kann man ihn gewinnen. Er hat einen Ad- vocaten in ſeiner Pflege, welcher bey einem jeden neuen K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/175
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/175>, abgerufen am 27.11.2024.