"Der Schleifwege zum geistlichen Schafstal- "le sind so viel, daß jemand dieser Gegend "sehr kundig seyn muß, wenn er es unterneh- "men will, sie alle, oder doch nur die meisten davon "zu beschreiben. Eines der sichersten und gewöhn- "lichsten Mittel ist dieses, wenn sich der Candidat "durch das Kammermädchen dem Herrn darstellen "läßt. Jch glaube nicht, daß jemand so abergläu- "bisch seyn und hierbey etwas bedenkliches finden "wird. Wider das Recht der Natur läuft es we- "nigstens nicht, und die Kirchengeschichte unsrer Zeit "rechtfertigt den Gebrauch. Die Gelegenheit und "der Raum verstatten mir nicht, weitläuftig zu "seyn; ausserdem würde ich mir Mühe geben, zu be- "weisen, daß die Vocation in der Hand eines sol- "chen Frauenzimmers einen doppelten Werth er- "halte. Ein Mann, der Muth genug hat, diesen "Schritt zu wagen; den weder Exempel noch Ver- "nunft abhalten können, sich mit einer Person auf "ewig zu verbinden, welche zwar nicht allemal, "doch sehr oft, von einer problematischen Tugend "ist, und gewiß nicht vergessen wird, bey der ge- "ringsten Gelegenheit ihm vorzusagen, daß er durch "sie Schutz und Amt gefunden hat; ein solcher Mann "ohne Gefühle wird gewiß auch in seinem Amte "standhaft, und immer unempfindlich bleiben; und "die größten Verfolgungen, die über sein Amt er-
"gehn,
Satyriſche Briefe.
„Der Schleifwege zum geiſtlichen Schafſtal- „le ſind ſo viel, daß jemand dieſer Gegend „ſehr kundig ſeyn muß, wenn er es unterneh- „men will, ſie alle, oder doch nur die meiſten davon „zu beſchreiben. Eines der ſicherſten und gewoͤhn- „lichſten Mittel iſt dieſes, wenn ſich der Candidat „durch das Kammermaͤdchen dem Herrn darſtellen „laͤßt. Jch glaube nicht, daß jemand ſo aberglaͤu- „biſch ſeyn und hierbey etwas bedenkliches finden „wird. Wider das Recht der Natur laͤuft es we- „nigſtens nicht, und die Kirchengeſchichte unſrer Zeit „rechtfertigt den Gebrauch. Die Gelegenheit und „der Raum verſtatten mir nicht, weitlaͤuftig zu „ſeyn; auſſerdem wuͤrde ich mir Muͤhe geben, zu be- „weiſen, daß die Vocation in der Hand eines ſol- „chen Frauenzimmers einen doppelten Werth er- „halte. Ein Mann, der Muth genug hat, dieſen „Schritt zu wagen; den weder Exempel noch Ver- „nunft abhalten koͤnnen, ſich mit einer Perſon auf „ewig zu verbinden, welche zwar nicht allemal, „doch ſehr oft, von einer problematiſchen Tugend „iſt, und gewiß nicht vergeſſen wird, bey der ge- „ringſten Gelegenheit ihm vorzuſagen, daß er durch „ſie Schutz und Amt gefunden hat; ein ſolcher Mann „ohne Gefuͤhle wird gewiß auch in ſeinem Amte „ſtandhaft, und immer unempfindlich bleiben; und „die groͤßten Verfolgungen, die uͤber ſein Amt er-
„gehn,
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Satyriſche Briefe.
„Der Schleifwege zum geiſtlichen Schafſtal-
„le ſind ſo viel, daß jemand dieſer Gegend
„ſehr kundig ſeyn muß, wenn er es unterneh-
„men will, ſie alle, oder doch nur die meiſten davon
„zu beſchreiben. Eines der ſicherſten und gewoͤhn-
„lichſten Mittel iſt dieſes, wenn ſich der Candidat
„durch das Kammermaͤdchen dem Herrn darſtellen
„laͤßt. Jch glaube nicht, daß jemand ſo aberglaͤu-
„biſch ſeyn und hierbey etwas bedenkliches finden
„wird. Wider das Recht der Natur laͤuft es we-
„nigſtens nicht, und die Kirchengeſchichte unſrer Zeit
„rechtfertigt den Gebrauch. Die Gelegenheit und
„der Raum verſtatten mir nicht, weitlaͤuftig zu
„ſeyn; auſſerdem wuͤrde ich mir Muͤhe geben, zu be-
„weiſen, daß die Vocation in der Hand eines ſol-
„chen Frauenzimmers einen doppelten Werth er-
„halte. Ein Mann, der Muth genug hat, dieſen
„Schritt zu wagen; den weder Exempel noch Ver-
„nunft abhalten koͤnnen, ſich mit einer Perſon auf
„ewig zu verbinden, welche zwar nicht allemal,
„doch ſehr oft, von einer problematiſchen Tugend
„iſt, und gewiß nicht vergeſſen wird, bey der ge-
„ringſten Gelegenheit ihm vorzuſagen, daß er durch
„ſie Schutz und Amt gefunden hat; ein ſolcher Mann
„ohne Gefuͤhle wird gewiß auch in ſeinem Amte
„ſtandhaft, und immer unempfindlich bleiben; und
„die groͤßten Verfolgungen, die uͤber ſein Amt er-
„gehn,
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/52>, abgerufen am 23.11.2024.
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