Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

Bild:
<< vorherige Seite
Satyrische Briefe.


"Es ist bey nahe keine Handlung und Be-
"schäfftigung in der Welt, welche man
"nicht in gewisse Regeln gebracht, mit
"Grundsätzen befestiget, und mit Exempeln erläu-
"tert hat. Wir haben eine Kunst zu lieben, eine
"Kunst zu trinken, eine Kunst zu regieren, eine
"Kunst zu leben. Mit solchen Kleinigkeiten be-
"schäfftigt sich unser spielender Witz, wichtigere
"Sachen verabsäumen wir. Sind wohl alle diese
"Künste dem Menschen so nöthig, als ihm die
"Kunst zu bestechen
ist? Jch schäme mich, daß
"ich der erste seyn muß, der meinen Landsleuten
"die Augen öffnet, meinen Landsleuten, die so oft
"mit einem patriotischen Stolze die Glückseligkeit
"ihrer aufgeklärten, und erleuchteten Zeiten rüh-
"men. Jch will es thun, wenigstens will ich ei-
"nen Versuch davon liefern. Es ist mir vielmals
"ganz unbegreiflich gewesen, durch welches Schick-
"sal ich zu dem Amte verstoßen worden bin, das
"ich führe; nunmehr glaube ich, es einzusehn. Die
"Kunst zu bestechen
habe ich meine Landsleute
"lehren sollen; dazu war mir mein Amt nöthig.
"Jch will diesem deutlichen Berufe folgen. Man
"wird meiner Lehre glauben können, da ich mit
"Ueberzeugung lehre. Der zärtliche Ovid lehrte
"die Kunst zu lieben; der feurige Horaz die Kunst
"zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt,
"ich lehre die Kunst zu bestechen."

Es
Satyriſche Briefe.


Es iſt bey nahe keine Handlung und Be-
„ſchaͤfftigung in der Welt, welche man
„nicht in gewiſſe Regeln gebracht, mit
„Grundſaͤtzen befeſtiget, und mit Exempeln erlaͤu-
„tert hat. Wir haben eine Kunſt zu lieben, eine
„Kunſt zu trinken, eine Kunſt zu regieren, eine
„Kunſt zu leben. Mit ſolchen Kleinigkeiten be-
„ſchaͤfftigt ſich unſer ſpielender Witz, wichtigere
„Sachen verabſaͤumen wir. Sind wohl alle dieſe
„Kuͤnſte dem Menſchen ſo noͤthig, als ihm die
„Kunſt zu beſtechen
iſt? Jch ſchaͤme mich, daß
„ich der erſte ſeyn muß, der meinen Landsleuten
„die Augen oͤffnet, meinen Landsleuten, die ſo oft
„mit einem patriotiſchen Stolze die Gluͤckſeligkeit
„ihrer aufgeklaͤrten, und erleuchteten Zeiten ruͤh-
„men. Jch will es thun, wenigſtens will ich ei-
„nen Verſuch davon liefern. Es iſt mir vielmals
„ganz unbegreiflich geweſen, durch welches Schick-
„ſal ich zu dem Amte verſtoßen worden bin, das
„ich fuͤhre; nunmehr glaube ich, es einzuſehn. Die
„Kunſt zu beſtechen
habe ich meine Landsleute
„lehren ſollen; dazu war mir mein Amt noͤthig.
„Jch will dieſem deutlichen Berufe folgen. Man
„wird meiner Lehre glauben koͤnnen, da ich mit
„Ueberzeugung lehre. Der zaͤrtliche Ovid lehrte
„die Kunſt zu lieben; der feurige Horaz die Kunſt
„zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt,
„ich lehre die Kunſt zu beſtechen.„

Es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0084" n="56"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Satyri&#x017F;che Briefe.</hi> </fw><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>&#x201E;<hi rendition="#in">E</hi>s i&#x017F;t bey nahe keine Handlung und Be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;cha&#x0364;fftigung in der Welt, welche man<lb/>
&#x201E;nicht in gewi&#x017F;&#x017F;e Regeln gebracht, mit<lb/>
&#x201E;Grund&#x017F;a&#x0364;tzen befe&#x017F;tiget, und mit Exempeln erla&#x0364;u-<lb/>
&#x201E;tert hat. Wir haben eine Kun&#x017F;t zu lieben, eine<lb/>
&#x201E;Kun&#x017F;t zu trinken, eine Kun&#x017F;t zu regieren, eine<lb/>
&#x201E;Kun&#x017F;t zu leben. Mit &#x017F;olchen Kleinigkeiten be-<lb/>
&#x201E;&#x017F;cha&#x0364;fftigt &#x017F;ich un&#x017F;er &#x017F;pielender Witz, wichtigere<lb/>
&#x201E;Sachen verab&#x017F;a&#x0364;umen wir. Sind wohl alle die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;Ku&#x0364;n&#x017F;te dem Men&#x017F;chen &#x017F;o no&#x0364;thig, als ihm <hi rendition="#fr">die<lb/>
&#x201E;Kun&#x017F;t zu be&#x017F;techen</hi> i&#x017F;t? Jch &#x017F;cha&#x0364;me mich, daß<lb/>
&#x201E;ich der er&#x017F;te &#x017F;eyn muß, der meinen Landsleuten<lb/>
&#x201E;die Augen o&#x0364;ffnet, meinen Landsleuten, die &#x017F;o oft<lb/>
&#x201E;mit einem patrioti&#x017F;chen Stolze die Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit<lb/>
&#x201E;ihrer aufgekla&#x0364;rten, und erleuchteten Zeiten ru&#x0364;h-<lb/>
&#x201E;men. Jch will es thun, wenig&#x017F;tens will ich ei-<lb/>
&#x201E;nen Ver&#x017F;uch davon liefern. Es i&#x017F;t mir vielmals<lb/>
&#x201E;ganz unbegreiflich gewe&#x017F;en, durch welches Schick-<lb/>
&#x201E;&#x017F;al ich zu dem Amte ver&#x017F;toßen worden bin, das<lb/>
&#x201E;ich fu&#x0364;hre; nunmehr glaube ich, es einzu&#x017F;ehn. <hi rendition="#fr">Die<lb/>
&#x201E;Kun&#x017F;t zu be&#x017F;techen</hi> habe ich meine Landsleute<lb/>
&#x201E;lehren &#x017F;ollen; dazu war mir mein Amt no&#x0364;thig.<lb/>
&#x201E;Jch will die&#x017F;em deutlichen Berufe folgen. Man<lb/>
&#x201E;wird meiner Lehre glauben ko&#x0364;nnen, da ich mit<lb/>
&#x201E;Ueberzeugung lehre. Der za&#x0364;rtliche Ovid lehrte<lb/>
&#x201E;die Kun&#x017F;t zu lieben; der feurige Horaz die Kun&#x017F;t<lb/>
&#x201E;zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt,<lb/>
&#x201E;ich lehre die Kun&#x017F;t zu be&#x017F;techen.&#x201E;</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">Es</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[56/0084] Satyriſche Briefe. „Es iſt bey nahe keine Handlung und Be- „ſchaͤfftigung in der Welt, welche man „nicht in gewiſſe Regeln gebracht, mit „Grundſaͤtzen befeſtiget, und mit Exempeln erlaͤu- „tert hat. Wir haben eine Kunſt zu lieben, eine „Kunſt zu trinken, eine Kunſt zu regieren, eine „Kunſt zu leben. Mit ſolchen Kleinigkeiten be- „ſchaͤfftigt ſich unſer ſpielender Witz, wichtigere „Sachen verabſaͤumen wir. Sind wohl alle dieſe „Kuͤnſte dem Menſchen ſo noͤthig, als ihm die „Kunſt zu beſtechen iſt? Jch ſchaͤme mich, daß „ich der erſte ſeyn muß, der meinen Landsleuten „die Augen oͤffnet, meinen Landsleuten, die ſo oft „mit einem patriotiſchen Stolze die Gluͤckſeligkeit „ihrer aufgeklaͤrten, und erleuchteten Zeiten ruͤh- „men. Jch will es thun, wenigſtens will ich ei- „nen Verſuch davon liefern. Es iſt mir vielmals „ganz unbegreiflich geweſen, durch welches Schick- „ſal ich zu dem Amte verſtoßen worden bin, das „ich fuͤhre; nunmehr glaube ich, es einzuſehn. Die „Kunſt zu beſtechen habe ich meine Landsleute „lehren ſollen; dazu war mir mein Amt noͤthig. „Jch will dieſem deutlichen Berufe folgen. Man „wird meiner Lehre glauben koͤnnen, da ich mit „Ueberzeugung lehre. Der zaͤrtliche Ovid lehrte „die Kunſt zu lieben; der feurige Horaz die Kunſt „zu dichten; und ich, berechtiget durch mein Amt, „ich lehre die Kunſt zu beſtechen.„ Es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/84
Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/84>, abgerufen am 17.05.2024.