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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752.

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Satyrische Briefe.

"Es wird nicht leicht jemand zu finden seyn,
"der in seinem Leben nicht wenigstens einmal, es
"sey nun als Kläger, oder als Beklagter, in die
"traurige Nothwendigkeit wäre gebracht worden,
"daß er einen Theil seines Glücks, oder wohl gar
"sein ganzes Glück der zufälligen Einsicht des
"Richters, und den von dessen Willkühr abhan-
"genden Gesetzen Preis geben müssen *. Und was
"ist hierbey wohl nöthiger, als die Kunst zu beste-
"chen? Will er sich auf seine gerechte Sache ver-
"lassen, das ist ein leerer Name, ein Wort ohne
"Bestimmung. Wer soll entscheiden, ob seine
"Sache gerecht ist; da man noch in den wenigsten
"Richterstuben einig ist, was Gerechtigkeit sey?
"Soll man diese Entscheidung aus den Gesetzen
"nehmen? Aber müssen die Gesetze nicht so wollen,
"wie der Richter will? Oder ist der Richter etwan
"wegen der Gesetze da? Vielleicht; aber selten. Jst
"es wohl sicher, sich auf die Erfahrung und
"billige Einsicht des Richters zu verlassen? Wer
"leistet uns die Gewähr, daß der Richter er-
"fahren, und billig, und einsehend sey? Es ist
"möglich, daß er es seyn kenn; doch Sachen,
"die möglich sind, machen noch keine Wahr-
"scheinlichkeit aus; und was dann und wann ge-
"schieht, das kann keine allgemeine Regel werden.

Rich-
* So oft ich in dieser Abhandlung eines Richters erwähne, so
oft nehme ich dieses in dem allgemeinsten Verstande und
begreife darunter alle diejenigen, denen Amts- oder Commis-
sionswegen, oder auf andere Art die Entscheidung, oder
auch nur die Untersuchung einer Sache aufgetragen ist.
D 5
Satyriſche Briefe.

„Es wird nicht leicht jemand zu finden ſeyn,
„der in ſeinem Leben nicht wenigſtens einmal, es
„ſey nun als Klaͤger, oder als Beklagter, in die
„traurige Nothwendigkeit waͤre gebracht worden,
„daß er einen Theil ſeines Gluͤcks, oder wohl gar
„ſein ganzes Gluͤck der zufaͤlligen Einſicht des
„Richters, und den von deſſen Willkuͤhr abhan-
„genden Geſetzen Preis geben muͤſſen *. Und was
„iſt hierbey wohl noͤthiger, als die Kunſt zu beſte-
„chen? Will er ſich auf ſeine gerechte Sache ver-
„laſſen, das iſt ein leerer Name, ein Wort ohne
„Beſtimmung. Wer ſoll entſcheiden, ob ſeine
„Sache gerecht iſt; da man noch in den wenigſten
„Richterſtuben einig iſt, was Gerechtigkeit ſey?
„Soll man dieſe Entſcheidung aus den Geſetzen
„nehmen? Aber muͤſſen die Geſetze nicht ſo wollen,
„wie der Richter will? Oder iſt der Richter etwan
„wegen der Geſetze da? Vielleicht; aber ſelten. Jſt
„es wohl ſicher, ſich auf die Erfahrung und
„billige Einſicht des Richters zu verlaſſen? Wer
„leiſtet uns die Gewaͤhr, daß der Richter er-
„fahren, und billig, und einſehend ſey? Es iſt
„moͤglich, daß er es ſeyn kenn; doch Sachen,
„die moͤglich ſind, machen noch keine Wahr-
„ſcheinlichkeit aus; und was dann und wann ge-
„ſchieht, das kann keine allgemeine Regel werden.

Rich-
* So oft ich in dieſer Abhandlung eines Richters erwaͤhne, ſo
oft nehme ich dieſes in dem allgemeinſten Verſtande und
begreife darunter alle diejenigen, denen Amts- oder Commiſ-
ſionswegen, oder auf andere Art die Entſcheidung, oder
auch nur die Unterſuchung einer Sache aufgetragen iſt.
D 5
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[57/0085] Satyriſche Briefe. „Es wird nicht leicht jemand zu finden ſeyn, „der in ſeinem Leben nicht wenigſtens einmal, es „ſey nun als Klaͤger, oder als Beklagter, in die „traurige Nothwendigkeit waͤre gebracht worden, „daß er einen Theil ſeines Gluͤcks, oder wohl gar „ſein ganzes Gluͤck der zufaͤlligen Einſicht des „Richters, und den von deſſen Willkuͤhr abhan- „genden Geſetzen Preis geben muͤſſen *. Und was „iſt hierbey wohl noͤthiger, als die Kunſt zu beſte- „chen? Will er ſich auf ſeine gerechte Sache ver- „laſſen, das iſt ein leerer Name, ein Wort ohne „Beſtimmung. Wer ſoll entſcheiden, ob ſeine „Sache gerecht iſt; da man noch in den wenigſten „Richterſtuben einig iſt, was Gerechtigkeit ſey? „Soll man dieſe Entſcheidung aus den Geſetzen „nehmen? Aber muͤſſen die Geſetze nicht ſo wollen, „wie der Richter will? Oder iſt der Richter etwan „wegen der Geſetze da? Vielleicht; aber ſelten. Jſt „es wohl ſicher, ſich auf die Erfahrung und „billige Einſicht des Richters zu verlaſſen? Wer „leiſtet uns die Gewaͤhr, daß der Richter er- „fahren, und billig, und einſehend ſey? Es iſt „moͤglich, daß er es ſeyn kenn; doch Sachen, „die moͤglich ſind, machen noch keine Wahr- „ſcheinlichkeit aus; und was dann und wann ge- „ſchieht, das kann keine allgemeine Regel werden. Rich- * So oft ich in dieſer Abhandlung eines Richters erwaͤhne, ſo oft nehme ich dieſes in dem allgemeinſten Verſtande und begreife darunter alle diejenigen, denen Amts- oder Commiſ- ſionswegen, oder auf andere Art die Entſcheidung, oder auch nur die Unterſuchung einer Sache aufgetragen iſt. D 5

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Zitationshilfe: [Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satyrischer Schriften. Bd. 3. Leipzig, 1752, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung03_1752/85>, abgerufen am 23.11.2024.