Werden meine Leser nunmehr noch einen Au- genblick zweifeln können, daß alte Liebe nicht rostet?
Ehe ich schließe, will ich noch eine Anmerkung machen. Jch kenne Leute, welche glauben, daß die Liebe einer unverheiratheten Mannsperson ge- gen ein verehlichtes Frauenzimmer die empfindlich- ste und dauerhafteste Liebe sey. Die Ursachen, die man davon anführen wollen, sind bekannt; man weis auch solche durch verschiedne Exempel erheblich zu machen, da eine solche Liebe sich erst nach vielen Jahren mit dem Tode geendigt hat. Es kann seyn; und dennoch bin ich einer ganz an- dern Meynung. Die Provinz Grenada hatte in vorigen Zeiten verschiedne besondere Rechte, die ihren Ursprung noch von den barbarischen Mauren haben mochten. Unter solchen war ein schreckli- ches Gesetz, welches dergleichen Liebe auf diese Art bestrafte. Ward eine Frau oder ein Mann eines solchen Umganges überzeugt, so trennte man zuvörderst die Ehe, nöthigte den ungetreuen Theil, diejenige Person, welche sie wider die Gesetze ge- liebt hatte, so fort zu heirathen; und eine solche Ehe konnte nimmermehr wieder getrennt werden. Jch läugne es nicht, diese Gerechtigkeit ist entsetz- lich. Gegen diese sind alle andre Strafen, so unnatürlich sie auch zu seyn scheinen, doch nur ein Spiel. Man stelle sich einmal eine unglückliche Mannsperson vor, welche auf eine solche Art ge- nöthigt wird, eine Frau auf ewig zu heirathen, die er nur wegen ihrer Laster liebt. Hat dieser
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Werden meine Leſer nunmehr noch einen Au- genblick zweifeln koͤnnen, daß alte Liebe nicht roſtet?
Ehe ich ſchließe, will ich noch eine Anmerkung machen. Jch kenne Leute, welche glauben, daß die Liebe einer unverheiratheten Mannsperſon ge- gen ein verehlichtes Frauenzimmer die empfindlich- ſte und dauerhafteſte Liebe ſey. Die Urſachen, die man davon anfuͤhren wollen, ſind bekannt; man weis auch ſolche durch verſchiedne Exempel erheblich zu machen, da eine ſolche Liebe ſich erſt nach vielen Jahren mit dem Tode geendigt hat. Es kann ſeyn; und dennoch bin ich einer ganz an- dern Meynung. Die Provinz Grenada hatte in vorigen Zeiten verſchiedne beſondere Rechte, die ihren Urſprung noch von den barbariſchen Mauren haben mochten. Unter ſolchen war ein ſchreckli- ches Geſetz, welches dergleichen Liebe auf dieſe Art beſtrafte. Ward eine Frau oder ein Mann eines ſolchen Umganges uͤberzeugt, ſo trennte man zuvoͤrderſt die Ehe, noͤthigte den ungetreuen Theil, diejenige Perſon, welche ſie wider die Geſetze ge- liebt hatte, ſo fort zu heirathen; und eine ſolche Ehe konnte nimmermehr wieder getrennt werden. Jch laͤugne es nicht, dieſe Gerechtigkeit iſt entſetz- lich. Gegen dieſe ſind alle andre Strafen, ſo unnatuͤrlich ſie auch zu ſeyn ſcheinen, doch nur ein Spiel. Man ſtelle ſich einmal eine ungluͤckliche Mannsperſon vor, welche auf eine ſolche Art ge- noͤthigt wird, eine Frau auf ewig zu heirathen, die er nur wegen ihrer Laſter liebt. Hat dieſer
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Abhandlung von Spruͤchwoͤrtern.
Werden meine Leſer nunmehr noch einen Au-
genblick zweifeln koͤnnen, daß alte Liebe nicht
roſtet?
Ehe ich ſchließe, will ich noch eine Anmerkung
machen. Jch kenne Leute, welche glauben, daß
die Liebe einer unverheiratheten Mannsperſon ge-
gen ein verehlichtes Frauenzimmer die empfindlich-
ſte und dauerhafteſte Liebe ſey. Die Urſachen,
die man davon anfuͤhren wollen, ſind bekannt;
man weis auch ſolche durch verſchiedne Exempel
erheblich zu machen, da eine ſolche Liebe ſich erſt
nach vielen Jahren mit dem Tode geendigt hat.
Es kann ſeyn; und dennoch bin ich einer ganz an-
dern Meynung. Die Provinz Grenada hatte in
vorigen Zeiten verſchiedne beſondere Rechte, die
ihren Urſprung noch von den barbariſchen Mauren
haben mochten. Unter ſolchen war ein ſchreckli-
ches Geſetz, welches dergleichen Liebe auf dieſe
Art beſtrafte. Ward eine Frau oder ein Mann
eines ſolchen Umganges uͤberzeugt, ſo trennte man
zuvoͤrderſt die Ehe, noͤthigte den ungetreuen Theil,
diejenige Perſon, welche ſie wider die Geſetze ge-
liebt hatte, ſo fort zu heirathen; und eine ſolche
Ehe konnte nimmermehr wieder getrennt werden.
Jch laͤugne es nicht, dieſe Gerechtigkeit iſt entſetz-
lich. Gegen dieſe ſind alle andre Strafen, ſo
unnatuͤrlich ſie auch zu ſeyn ſcheinen, doch nur ein
Spiel. Man ſtelle ſich einmal eine ungluͤckliche
Mannsperſon vor, welche auf eine ſolche Art ge-
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[Rabener, Gottlieb Wilhelm]: Sammlung satirischer Schriften. Bd. 4. Leipzig, 1755, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rabener_sammlung04_1755/139>, abgerufen am 23.11.2024.
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